Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Das Zeichen eines Neuanfangs“

Oktober 2022

„Das Zeichen eines Neuanfangs“

Marbod Fritsch (58), Zeichner und Konzeptkünstler, organisiert ab Mitte Oktober die Ausstellungen in der neuen „KUNSTHALLE FRO“ im ORF-Landesstudio, zum Auftakt präsentieren Bianca Tschaikner und Bildstein|Glatz ihre Arbeiten. Fritsch im Interview – über die Frage, was Kunst im Idealfall sein kann, über die „Schwere der vergangenen Jahre“ – und seine Hoffnung, die Ausstellung wieder zu einem offenen Ort des Diskurses zu machen.

Herr Fritsch, Sie sind der neue Kurator des Ausstellungsprogramms im ORF … 
Ich will mich nicht als Kurator bezeichnen. Vom Wortsinn her sorgt sich ein Kurator um die Künstler, das will ich nicht, ich will die Künstler als Partner unterstützen. Man hat die Verantwortung der Künstler in den vergangenen Jahren immer mehr auf die Kuratoren verschoben. Offenbar traut man der Kunst selbst nicht mehr so viel zu, deswegen gibt es diesen Einschub, diese dritte Ebene. Das will ich ändern. Der Künstler soll für seine Arbeit verantwortlich sein und niemand anderer. Im Übrigen ist es ein Luxus, Menschen aussuchen zu dürfen, die den ORF mit ihrer Kunst bespielen; es ist eine sehr privilegierte Situation für einen Künstler, die eigenen Interessen durch Dritte visualisieren zu können. Und ich will Kunst sehen, die mich interessiert, die mich irritiert, die Dinge kritisch hinterfragt; Kunst also, die mein Spektrum im besten Fall erweitert – aber jedenfalls nicht verkleinert. 

Was wird im ORF zu sehen sein?
Ich will das Programm so aufsetzen, dass sich die eingeladenen Künstler und Künstlerinnen speziell mit dem Ort und seiner Tätigkeit auseinandersetzen, also mit Kommunikation in jeder Form. Der ORF ist ein Medienunternehmen, also muss das Ausstellungsprogramm charakteristisch sein, damit wir uns von der Ausstellungslandschaft unterscheiden können, die in Vorarlberg und anderswo immer gleichförmiger wird. 

Immer gleichförmiger?
Ein Beispiel: Ich war vor Kurzem auf der Documenta, da war das Individuum nicht mehr sichtbar, da waren nur noch Gruppen-Arbeiten ausgestellt. Allerdings schließt sich Demokratisierung in der Kunst aus. Kunst zu schaffen, das hat etwas zutiefst Undemokratisches. Da muss einer vorangehen, da muss einer die Verantwortung übernehmen. Man kann nicht in einer Konferenz aushandeln, dass heute blau und morgen grün gemalt wird, das geht nicht. 

In der Gesellschaft regiert das Individuelle, in der Kunst geht man den gegenläufigen Weg?
Es scheint so zu sein: Das „Ich“ versteckt sich wieder in der Gruppe.
Was soll Kunst im öffentlichen Raum sein, wenn wir den ORF zum öffentlichen Raum zählen?
Überspitzt formuliert: Im besten Falle eine Bewusstseinserweiterung für den Betrachter. Natürlich ist das ein hehres Ziel, ich weiß ja selbst, wie schnell man konsumiert, wie schnell man durch eine Ausstellung geht. Aber es gibt immer wieder Arbeiten, die Widerhaken haben und einen deswegen länger nicht mehr loslassen. Es gibt Arbeiten, an die sich Betrachter auch noch Jahre später erinnern. 

Sie suchen also Kunst mit Widerhaken?
Wenn ich Arbeiten betrachte, denke ich mir oftmals: Das ist gut gemacht. Und doch irritiert mich etwas daran. Aber was irritiert mich? Was genau? Stelle ich mir diese Fragen, kann ich viel über mich selbst erfahren. Die klassische Frage lautet, was uns ein Künstler mit seinem Bild sagen will. Daran glaube ich nicht. Es geht darum, was der Betrachter erlebt, in dem Moment, in dem er ein Werk sieht. Je größer der Wissensstand ist, desto differenzierter ist übrigens der Blick des Betrachters. Es ist ja nicht so, dass man bereits richtig sehen kann, nur weil man zwei Augen hat; auch das muss man lernen. Sehen ist mit Bewusstsein verbunden. Genauso wie auch Musikhören mit Bewusstsein verbunden ist.

Kann Kunst denn heute überhaupt noch irritieren, provozieren? Und damit auch gesellschaftspolitische Debatten anstoßen?
Es muss unser Anspruch sein, auch wenn das schwierig ist, in dieser Gesellschaft der Partikularinteressen. Ich sage immer: Wir Künstler verändern nichts. Aber wir sind ein Zustandsbeschreiber, wir sind ein Stück weit ein gesellschaftlicher Seismograf. Wobei man selbstredend aufpassen muss: Natürlich bewegt sich auch die Kunst in einer Blase, in einem selbstreferenziellen Raum, in dem der eine dem anderem recht gibt.

Zurück zum ORF. Sie geben dem Ausstellungsraum den Namen „Kunsthalle FRO“.
Ich wollte auf sprachlicher Ebene das Zeichen eines Neuanfangs setzen, die Idee aber stammt von meiner Frau Nina. Sie hat gesagt, nimm ORF rückwärts. Ich fand die Idee genial. Weil das so simpel ist und gleichzeitig so positiv, nach dieser Schwere, die dieser Raum in den vergangenen fünf Jahren mitgetragen hat, auch durch diese Geschichte mit der Ernennung meines Vorgängers. Im Wissen, was vorgefallen ist, habe ich mit allen, die damals involviert waren, das Gespräch gesucht und gefragt, ob es überhaupt Sinn macht, wenn ich übernehme; aber die Signale seitens der Künstler und seitens der Redaktion waren derart positiv, dass ich keine Ausrede mehr hatte, das nicht zu machen. Im Übrigen war eine meiner Vorbedingungen, dass die ausstellenden Künstler ein Honorar bekommen. Wenn ein Künstler ausstellt, darf sich das nicht negativ auf sein Konto auswirken, die rein verbale Wertschätzung kenne ich aus meiner langjährigen Tätigkeit.

Trotzdem: Es hat in den vergangenen Jahren zwischen ORF-Intendanten Markus Klement und großen Teilen der Kunstszene Bruchlinien gegeben, gröbere Bruchlinien …
Deswegen waren mir die Gespräche mit den Beteiligten ja so wichtig. Zudem wäre es sehr schade, wenn die Tradition der ORF-Ausstellung, die sich über Jahrzehnte erstreckt hat, aufgrund persönlicher Differenzen beendet würde. Ich hoffe, dass das Publikum neugierig ist und zu den Ausstellungen kommt; ich hoffe, dass die Kunsthalle wieder ein offener Ort des Diskurses wird und dass im medialen Raum auch entsprechend berichtet wird. Denn Kunst muss Präsenz haben, muss sich daher auch in den Zeitungen wiederfinden. Da herrschte die vergangenen Jahre das große Schweigen. Ich bin ein Skeptiker, im Grunde meines Herzens aber ein Optimist. Und deswegen sage ich: Das wird schon.

Vielen Dank für das Gespräch!

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