Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Die Nachfrage am Arbeitsmarkt nach Fachkräften wird weiter steigen“

Dezember 2022

Die Wirtschaft braucht dringend Fachkräfte, die Initiative Chancenland Vorarlberg verfolgt neue Ansätze, dem Mangel entgegenzuwirken. Welche Ansätze das sind, das erklärt Jimmy Heinzl (51), der Geschäftsführer der WISTO, im Interview. 

Herr Heinzl, wie stellt sich die Situation im Land in Sachen Fachkräftemangel dar? 
Das Wirtschaftswachstum geht in Vorarlberg in etwa zu zwei Dritteln auf echte Produktivitätssteigerungen und zu einem Drittel auf zusätzliche Beschäftigung zurück. Und da angesichts unserer guten Unternehmer und unserer guten Arbeitnehmer davon auszugehen ist, dass sich dieses Wirtschaftswachstum fortsetzen wird, heißt das zugleich: Der Bedarf wächst. Die Nachfrage am Arbeitsmarkt nach Fachkräften wird weiter steigen. 

Und das Angebot? 
Die Demografie ist entscheidend. Also die Frage: Wie viele Menschen stehen denn überhaupt zur Verfügung? Und da haben nicht nur wir, da hat in Wahrheit ganz Europa ein Problem: Die Geburtenrate ist zu gering. Das ist schon seit Jahren so. In Vorarlberg lag die Fertilitätsrate 2021 zwar bei 1,66 und damit höher als in Österreich, aber auch unsere Rate ist viel zu niedrig. Und die geburtenstarken Jahrgänge gehen in den nächsten Jahren in Pension. Das bereits bestehende Problem wird sich also nochmals verschärfen, und das nicht nur am Arbeitsmarkt, sondern auch in Bezug auf das Pensionssystem: Immer weniger junge Menschen müssen für immer mehr ältere Menschen die Pension erwirtschaften. Wir werden irgendwann zu viele Menschen in Pension und zu wenige in Arbeit haben. 

Experten zufolge wird der Fachkräftemangel Volkswirtschaften massiv schädigen, Ökonom Bert Rürup sagte, der Fachkräftemangel werde zum „Wachstumshemmnis Nummer eins“. 
Wir dürfen davon ausgehen, dass in den vergangenen Jahren ein noch stärkeres Wachstum möglich gewesen wäre, wenn die zusätzlich benötigten Fachkräfte zur Verfügung gestanden wären. Wir hätten stärker wachsen können, wir hätten mehr Wertschöpfung generieren können. Und das gilt nicht nur für Vorarlberg, das gilt für ganz Österreich.

In welchen Branchen ist der Mangel in Vorarlberg denn besonders eklatant?
Er ist fast flächendeckend. In all den Bereichen, in denen Vorarlberger Unternehmen mit Erfolg tätig sind, brauchen wir mehr Fachkräfte: Im IT-Bereich, in der Textiltechnik, im Maschinenbau, in der Elektronik. In all den Feldern, welche die klassischen Stärken unseres Wirtschaftsstandorts bilden, haben wir eine Verknappung. Also: Es gibt maßnahmenseitig drei große Bereiche, in denen wir tätig werden müssen.

Die da wären?
Erstens: Ein Wirtschafts- und Arbeitsstandort sollte immer versuchen, seine eigenen Potenziale besser zu nutzen. Um das zu erreichen, gibt es unterschiedliche Ansätze, aber eine der Hauptmaßnahmen wird sein, die Erwerbstätigkeit von Frauen zu erhöhen. Und das wird uns nur mit einer besseren flächendeckenden Kinderbetreuung und mit flexibleren Arbeitszeitmodellen in der Wirtschaft gelingen. Nur so kann der Erfordernis, Kinder und Beruf unter einen Hut bringen zu können, entsprochen werden. Übrigens bin ich der Meinung, und das ist nicht nur aus volkswirtschaftlicher Sicht sinnvoll: Eine flächendeckende Kinderbetreuung ist ein Erfordernis einer modernen Gesellschaft. 

Wie lautet die zweite Maßnahme?
Wir brauchen in Vorarlberg eine durchgehende Höherqualifizierung über alle Bildungsniveaus hinweg. Das ist wesentlich. Wir haben im Land immer noch den größten Anteil an Geringqualifizierten in ganz Österreich. Daran wird entsprechend zu arbeiten sein. Hilft uns die erste Maßnahme also bei der Quantität, wird uns die zweite Maßnahme bei der Qualität helfen: Beides ist notwendig, um gut wirtschaften zu können.

Bleibt Maßnahme drei …
Es muss in jenen Bereichen eine qualifizierte Zuwanderung erfolgen, in denen der hiesige Arbeitsmarkt den hohen Bedarf der Wirtschaft nicht decken kann. Wir handeln da im Rahmen des Projektes „Chancenland Vorarlberg“ und im Schulterschluss mit weiteren Akteuren wie etwa der Wirtschaftskammer. Innerhalb dieses Punktes gibt es eine Reihe von Maßnahmen: Wir versuchen beispielsweise, mehr Vorarlberger Studenten nach Ende ihres Studiums wieder zur Rückkehr ins Land zu animieren. Es ist schwer zu messen und je nach Jahrgang und Studium auch unterschiedlich, aber es kehren im Durchschnitt nur etwa 60 bis 70 Prozent nach Abschluss ihres Studiums wieder zurück.

Und wie will man mehr junge Leute zu einer Rückkehr ins Land animieren?
Unter anderem mit einer Community, die darauf schaut, dass Vorarlberger Studenten an den Standort angebunden bleiben. Da gibt es unter anderem auch Netzwerktreffen, in deren Rahmen sich Vorarlberger Leitbetriebe mit Studenten austauschen. Im Übrigen gibt es zwei Wellen, in denen diese jungen Menschen wieder zurückkehren: Unmittelbar nach Ende des Studiums. Und bei der Familiengründung. Unabhängig davon setzen wir auf eine Werbelinie, wir bewerben damit unseren Lebens- und Arbeitsstandort. Und schließlich rekrutieren wir auch international, das machen wir zusammen mit der Wirtschaftskammer, insbesondere der Außenwirtschaft. Da setzen wir derzeit vor allem auf den Schwerpunkt IT. Aber: Wir haben im Rahmen unserer bisherigen Bemühungen, beispielsweise in Spanien Leute zu rekrutieren, auch eines gelernt …

Ja bitte?
Man muss die richtigen Leute fragen, ob sie bei uns arbeiten wollen: Ein Madrilene, der am Morgen gerne mit der U-Bahn zur Arbeit fährt, wird nicht lange in Vorarlberg bleiben. Der wechselt, sobald er einen Job in einer großen Stadt findet. Wir wollen also jene Menschen ansprechen und rekrutieren, die unsere Lebensart teilen und die das schätzen, was unser Land an Schönem zu bieten hat. Es gibt nämlich meines Erachtens wenige Standorte mit vergleichbar hoher Lebensqualität. Man muss dafür halt empfänglich sein, das ist nicht bei jedem gleich. 

Vielen Dank für das Gespräch!

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