Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Durch dieses Nichtstun verlieren wir“

Dezember 2024

Die Ökonomin Monika Köppl-Turyna (39) erklärt im Interview, wie sehr der Wirtschaftsstandort Österreich derzeit unter Druck steht, und warum andere Länder weitaus besser dastehen. Von der Politik fordert die Direktorin des Wirtschaftsforschungs­instituts EcoAustria unverzüglich Reformen ein: „Wenn wir jetzt nicht die Weichen für eine bessere Entwicklung stellen, dann werden wir in zehn, in fünfzehn Jahren wesentlich weniger Industrie und Unternehmen haben. Wir müssen diesen Prozess jetzt stoppen.“

Frau Professorin Köppl-Turyna, wie dramatisch ist die Situation? Wie sehr leidet der Wirtschaftsstandort Österreich derzeit? 
Wir befinden uns zwar nicht in einer tiefen Rezession. Aber: Es ist insbesondere mittel- oder langfristig keine Wachstumsausrichtung zu sehen. Wenn wir in diesem Niedrigwachstumszustand verharren, heißt das: Investitionen bleiben aus, Österreichs Exportwirtschaft gerät weiter unter Druck, das Problem mit unserer Wettbewerbsfähigkeit wird größer. Wenn wir also jetzt nicht die Weichen für eine bessere Entwicklung stellen, dann werden wir in zehn, in fünfzehn Jahren wesentlich weniger Industrie und Unternehmen haben. Wir müssen diesen Prozess jetzt stoppen.

Und woran leidet der Wirtschaftsstandort?
Wir haben einerseits hohe Energiekosten und Lohnabschlüsse, die die Kosten der Unternehmen treiben und die Wettbewerbsfähigkeit geschwächt haben. Zum anderen gibt es eine sehr ungünstige demographische Situation und schwache Produktivitätsentwicklung, die mittel- und langfristig das Potenzialwachstum niedrig halten.

Sie sagten jüngst in einem Vortrag: „Wenn die Kosten weiter so steigen, wird man in der Produktion die Arbeitskräfte nicht mehr weiter halten können.“
Die Konjunkturforschung zeigt, dass wir möglicherweise in Zukunft ein Problem bekommen mit der industriellen Produktion. Wir sehen die Warnzeichen. Wir sehen die wirtschaftliche Abschwächung. Und wenn das zweite Jahr oder das dritte Jahr in Folge die Auftragslage in der Industrie nicht gut aussieht, wird es irgendwann so sein, dass die Umsätze die gestiegenen Arbeitskosten nicht mehr decken können und Arbeitskräfte freigesetzt werden. Noch ist unser Arbeitsmarkt relativ stark. Aber je länger dieser Zustand andauert, desto wahrscheinlicher ist es, dass noch mehr Leute ihren Job verlieren.

Blum-Finanzchef Gerhard Humpeler warnte dieser Tage mit deutlichen Worten: „Im nun dritten Rezessionsjahr in Folge muss sich dringend einiges ändern, damit österreichische Betriebe ihrer Heimat nicht den Rücken kehren und die Produktion zunehmend ins attraktivere Ausland verlegen.“ 
Wir haben höhere Energiepreise, Lohnabschlüsse oder Bürokratiekosten als andere Länder. Auch sehen wir in den Daten, dass die Investitionen bereits zurückgehen. Österreich hatte immer eine hohe Investitionsquote, das war eine der Stärken unseres Landes; heute sehen wir, dass sich unser Land von anderen Ländern in Europa langsam zu entkoppeln beginnt. 

Die Industrie warnt seit Monaten. Es sei „Feuer am Dach“. Hat die Politik die Warnungen der Wirtschaft, auch der Ökonomen, zu lange ignoriert? Nicht ernstgenommen?
Man muss die Politik insofern etwas in Schutz nehmen, als sie stets zwischen unterschiedlichen Interessen vermitteln muss. Auch tut sich jemand, der nicht vom Fach ist, durchaus schwer damit, zu unterscheiden, was nun ernst ist und was nur gesagt wird, um Einfluss zu nehmen. Aber: Fachleute, wie wir oder die Kollegen und Kolleginnen von anderen Forschungsinstituten, haben auf diese Probleme schon länger hingewiesen. Doch ob die Politik der Sache nun zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt hat, ändert nichts an der Tatsache: Man hat entsprechende Maßnahmen nicht auf die Prioritätenliste gesetzt und dafür tragen wir jetzt die Kosten. 

In Deutschland wird die Frage gestellt, ob die deutsche Wirtschaft wieder der kranke Mann Europas ist. 
Die objektiven Zahlen sind nicht gut. Der IFO-Geschäftsklimaindex ist sehr schlecht, insbesondere, was die Zukunftserwartungen betrifft. Auch in Deutschland sind sehr lange keine Strukturreformen vorgenommen worden, die Belastung ist stetig gestiegen, durch Bürokratie, durch Steuern. Mit einer starken Industrie konnte man sich irgendwie noch durchkämpfen, aber jetzt ist auch dieser Motor weg. Deutschland steht vor derselben Situation: Unternimmt man keine entscheidenden Schritte, wird es strukturell und langfristig einfach weniger Wachstum geben. Oder gar kein Wachstum mehr.

Für Österreichs Wirtschaft ist das, was in Deutschland passiert, fatal.
Deutschland ist unser wichtigster Handelspartner. Natürlich beeinflussen die dortigen Entwicklungen die österreichische Wirtschaft. Aber ich halte wenig davon, dass wir das als Ausrede nehmen. Die Politik in Österreich tendiert dazu, zu sagen: Die Situation in Österreich ist der Situation in Deutschland geschuldet. Doch das ist nur zum Teil wahr. Denn viele unserer Probleme sind hausgemacht. Wir haben zum Beispiel wesentlich höhere Lohnstückkosten. Die Deutschen haben schon früher erkannt, dass zu hohe Lohnanpassungen die Wettbewerbsfähigkeit gefährden. Aber …

Ja, bitte?
Österreichs Wirtschaft muss künftig unabhängiger werden von einzelnen Entwicklungen. Ob das nun die Frage der Gaslieferungen ist, oder die Fixierung auf Zulieferungen; in vielen Bereichen zeigt sich immer wieder derselbe strategische Fehler: Alle Eier in einen Korb zu legen. Wer sein ganzes Investment in nur eine Anlage steckt, hat ein höheres Verlustrisiko, heißt es an der Börse. Wir dürfen diesen Moment also genau nicht dafür nützen, uns rauszureden. Vielmehr müssen wir sagen: Lasst uns unsere Wirtschaft umstrukturieren, unabhängiger von der deutschen Wirtschaft machen und eigene strukturelle Schritte setzen!

In den wirtschaftspolitischen Blättern steht, dass die standortpolitischen Herausforderungen zwar auch durch globale Entwicklungen determiniert sind, sich aber „auch auf innerösterreichische Ursachen zurückführen lassen“. Auch Blum soll da nochmals zitiert sein: „Die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Österreich ist bedroht. Die Gründe dafür sind zu einem guten Teil hausgemacht.“
Das ist richtig. Natürlich wirken auch globale Faktoren negativ. Aber unser Problem ist, dass wir durch Nichtstun gegenüber der Konkurrenz an Boden verlieren. Es gibt Länder, die besser durch diese Krisen gekommen sind als wir. Warum? Weil sie ihre Wirtschaften entsprechend angepasst haben. Da wurden Reformen verabschiedet, die die jeweiligen Standorte wirklich in neue Bahnen gebracht haben. Ich verweise da zum Beispiel auf Steuersenkungen in Irland oder auf die Pensionsreform in Schweden; bestimmte Länder haben ihre Budgets derart in den Griff bekommen, dass sie aus den öffentlichen Haushalten nun auch wieder Zukunftsinvestitionen finanzieren können. Die haben jetzt die Nase vorne. Ich hoffe, dass auch wir es schaffen, neue Nischen, neue Märkte zu erschließen, in neuen Technologien. Aber dafür braucht es eben auch konkrete Standortreformen. 

Die Standortnachteile – hohe Energiepreise, enormer Bürokratieaufwand, hohe Steuern und Abgaben, Facharbeitermangel – haben eines gemein: Es ist in keinem Bereich Besserung in Sicht.
Ich bin da noch nicht so pessimistisch. Ich hoffe sehr, dass die Regierungsverhandlungen erfolgreich sein werden und dass dort ein großes Standortpaket geschnürt wird. 

Bringen die Verhandler den Agenden der Wirtschaft wirklich die notwendige Gewichtung entgegen?
Ich kann mich natürlich nicht in die Köpfe der Verhandler versetzen, aber es ist spürbar, dass das ein zentrales Thema sein wird. Was aber jedenfalls klar ist: Dass die Verhandler längerfristig denken müssen. Wir haben uns von diesem kurzfristigen Denken zu verabschieden, sowohl politisch als auch ökonomisch. Österreich braucht endlich eine strategische Vision. Und die Verhandler müssen verstehen, dass wirkliche Reformen unangenehm sein werden; für die Parteien selbst, möglicherweise kurzfristig auch für die Wirtschaft.

Kann man so hart formulieren, dass auch das gewerkschaftliche Agieren in den Kollektivvertragsverhandlungen die Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Industrie belastet?
Man kann keinem böse sein, wenn er eigene Interessen vertreten will. Allerdings glaube ich, dass auch die Vertreter der Arbeitnehmer inzwischen verstehen, dass es – wenn es so weitergeht wie bisher – einfach kostentechnisch unmöglich sein wird, wettbewerbsfähig zu bleiben. Unser Vorschlag: Der Staat soll zurückstecken und mit Steuern und Abgaben runtergehen. Denn so könnte man auch die Nettoeinkommen der Menschen garantieren, ohne dass die Kosten für Unternehmen steigen. Wenn wir es schaffen, unsere hohe Abgabequote zu reduzieren, dann gibt es auch keinen Grund für die Gewerkschaften, diese hohen Bruttolöhne zu verlangen. Aber das benötigt eben diese unangenehmen Reformen und die ausgabenseitige Sanierung des Budgets.

Apropos. Laut Fiskalrat muss Österreich 2025 zumindest 4,4 Milliarden Euro einsparen. Das Budgetdefizit engt den Handlungsspielraum stark ein. Da kann der Staat kaum zurückstecken.
Dass wir keine fünf Milliarden im Budget finden, das ist einfach nicht wahr. Wir könnten viel, viel größere Summen mobilisieren. Es ist wissenschaftlicher Konsens unter Kollegen und Kolleginnen, dass man die Treffsicherheit der Förderungen zu verbessern hat, etwa beim Klimabonus oder der Bildungskarenz. Oder bei unzähligen anderen kleinen Förderungen, die sich sehr wohl aber auf Milliarden summieren. Aber das meiste Geld liegt in den großen Strukturreformen: Im Bildungs- oder im Gesundheitsbereich. Beim Föderalismus. Bei den Pensionen. Allein ein Jahr länger arbeiten brächte beinahe drei Milliarden Euro pro Jahr! In der öffentlichen Verwaltung liegt ein immenses Einsparungs-Potenzial. Internationale Benchmarks zeigen, dass sich durch die Umleitung von Geldströmen und eine Verbesserung der Anreize zehn bis 18 Milliarden Euro einsparen ließen. Und das bei gleichbleibender Leistung! Andere Länder zeigen es vor, wie man mit viel weniger Steuern und Abgaben genauso gute Ergebnisse in der öffentlichen Dienstleistung erzielen kann, Dänemark, Schweden, Niederlande, die Schweiz. Daran müssen wir uns orientieren, mit konkreten Reformen. 

Da macht es sich die Politik also über Gebühr einfach, wenn sie sagt, es gebe keinen Spielraum?
Ja. Sie macht es sich zu einfach. Sie will Probleme stets nach dem Motto „Throw Money at the Problem“ lösen: Einfach immer noch ein bisschen mehr Geld ausgeben, dann wird sich das Problem mit der Zeit schon lösen. Aber das hat in der Vergangenheit nicht funktioniert, und es wird genauso wenig in der Zukunft funktionieren. Es braucht Strukturreformen.

Was sagen die Prognosen? Erholt sich die Wirtschaft von der Rezession 2023, 2024? 
Die meisten Prognosen gehen schon nächstes Jahr von einem Plus aus, aber das steht natürlich alles noch auf ziemlich wackeligen Beinen. Der erhoffte Konsumanstieg ist bis jetzt noch nicht eingetreten. Die Leute haben Angst, ihr Geld auszugeben. Das wird sich erst ändern, wenn die Zuversicht wieder steigt. Und deswegen muss die künftige Regierung zuallererst glaubwürdig zeigen: Dass sie sich wirklich zum Standort bekennt. Und dass sie gewillt ist, Reformen umzusetzen. 

Abschließende Frage: Es gibt ja nach wie vor Menschen, die meinen: Weniger sei mehr. Was ist denen zu entgegnen? Was würde weniger Wachstum auf Dauer denn in der Realität bedeuten?
Weniger Wachstum bedeutet einen geringeren Lebensstandard. 

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person

Monika Köppl-Turyna
* 1985 in Warschau, ist Direktorin von EcoAustria. Zu den Forschungsschwerpunkten der Professorin zählen Öffentliche Finanzen, Verteilungsfragen, Arbeitsmarkt und Fragen der politischen Ökonomie. Nach ihrer Promotion 2011 an der Universität Wien und Tätigkeiten als Assistenzprofessorin und Senior Economist ist sie heute in zahlreichen wissenschaftlichen Beiräten aktiv und lehrt als Professorin an der Seeburg Universität in Seekirchen und an der Universität Warschau.

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