„Österreich ist eines der Negativbeispiele“
Geht es um Deregulierung und einen schlanken Staat, ist dieser Tage wieder viel die Rede von Friedrich August Hayek, der 1974 den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften erhalten hatte. Warum die kritischen Erkenntnisse des österreichi-schen Nationalökonomen (1899 – 1992) auch heute noch relevant sind, das erklärt im Interview der am Hayek-Institut in Wien tätige Ökonom Martin Gundinger. Er sagt unter anderem: „In einem starken Staat sah Hayek stets eine Bedrohung für die Freiheit des Einzelnen.“
Herr Gundinger, in diesen Tagen ist wieder viel die Rede von Friedrich A. Hayek. Was lässt sich vom 1992 verstorbenen, österreichischen Nationalökonomen denn heute noch lernen?
Der Wert der Dezentralisierung. Die Bedeutung der spontanen Ordnung. Die eklatanten Nachteile der Planwirtschaft. Ich möchte gar nicht so sehr auf ökonomische Detailbereiche eingehen, sondern direkt das Wesentliche nennen: Sein kritischer Blick auf gesellschaftliche Phänomene und sein kritisches Hinterfragen sind Dinge, die wir von Hayek lernen sollten, weil sie heute mindestens so relevant sind wie damals.
Elon Musk empfiehlt Hayeks Hauptwerk „Der Weg zur Knechtschaft“, er nennt es ein großartiges Buch. Was könnte denn ausgerechnet diesem Umstrittenen daran gefallen?
Ich habe mit Musk noch nicht darüber geredet (lacht). Aber es könnte daran liegen, dass Hayek sehr viel Wert auf unternehmerisches Handeln und Innovation gelegt hat. Musk dürfte zudem sehen, welche enormen Probleme sich viele Staaten in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten geschaffen haben, in ihrem Versuch, die Wirtschaft zu steuern. Hayek beschreibt die Probleme, die staatliche Interventionen hervorrufen, sehr genau.
Der Versuch die Wirtschaft zu steuern, ist auch in Österreich offenkundig.
Österreich ist in dieser Hinsicht eines der Negativbeispiele, nicht nur in der Europäischen Union, sondern sogar weltweit. Was in den vergangenen Jahren gemacht wurde, ist einer der Gründe, warum die österreichische Wirtschaft gegenwärtig vor so großen Problemen steht. Es gäbe sehr viel Potenzial, Regulierungen zurückzufahren und den Wirtschaftsakteuren viel mehr Freiraum zu geben. Und den Wettbewerb einfach zuzulassen, indem man sich von der Auffassung verabschiedet, man müsse alles steuern und kontrollieren. Da wäre aktuell sehr viel zu tun, um die Wirtschaft wieder auf Vordermann zu bringen.
Hayek blieb ein Leben lang ein entschiedener Gegner des Sozialismus. Warum?
Weil er die durch Sozialismus und Planwirtschaft verursachten Probleme klar gesehen hat. In dem angesprochenen Buch „Der Weg zur Knechtschaft“ geht es um die Interventionsspirale. Diese Idee wurde bereits von Hayeks Haupteinfluss Ludwig von Mises klar beschrieben. Sie besagt, dass es nie bei einer einzigen staatlichen Intervention bleibt, sondern dass jeder Eingriff des Staates in komplexe Prozesse wie den Wirtschaftsprozess immer unbeabsichtigte Folgen mit sich bringt, welche weitere Interventionen notwendig machen. So entsteht eine Tendenz zunehmender Eingriffe, die letztlich in die Planwirtschaft führen. In der Planwirtschaft kommt es aufgrund fehlender Informationen zu Fehlentscheidungen, die letztlich zu Mangelwirtschaft und Verarmung führen.
Von Hayek ist heute oft die Rede, wenn es um Entbürokratisierung, um Deregulierung geht. Er wollte einen schlanken Staat …
Hayek war ein Fan des Dezentralismus. Ein schlanker Staat war ihm deswegen stets sehr wichtig. Er wollte einen Staat, der im Optimalfall überhaupt nicht interveniert; oder möglichst wenig, um die Interventionsspirale nicht in Gang zu setzen. Hayek wollte einen Staat, der möglichst wenig in individuelle Freiheiten eingreift. In einem starken Staat sah Hayek stets eine Bedrohung für die Freiheit des Einzelnen.
Weil ein starker Staat den freien Markt, den freien Wettbewerb unterbindet?
Für Hayek war der freie Markt ein Koordinationsinstrument, dessen Effektivität mit zunehmender staatlicher Intervention abnimmt. Mit anderen Worten: Der Versuch staatlicher Ordnung über Interventionen führt zu Chaos.
Was würde Hayek dem heutigen Staat Österreich raten? Wie würde seine Diagnose lauten?
In der jetzigen Situation würde er wahrscheinlich in einem ersten Schritt zu einer Deregulierung und einer Dezentralisierung raten. Und zwar nicht verstanden als ein zauderndes Drehen an kleinen Stellschrauben, sondern als ein umfassendes Zurückdrängen staatlicher Institutionen und ein Aufwerten kleinerer Strukturen wie Gemeinden. Im Zuge einer damit verbundenen Entbürokratisierung und einem Steuerwettbewerb durch Dezentralisierung würde er auch Steuersenkungen befürworten, um die ökonomischen Anreize zu verbessern. Die EU würde er als die politische Union, wie sie sich heute präsentiert, sehr kritisch sehen – er hätte jedoch wenig gegen eine EU als Markt ohne Handelsschranken einzuwenden.
Hayek wurde stets vorgeworfen, ein unsozialer Mensch zu sein. Dabei ging es ihm zeitlebens um die Freiheit des Menschen, er sorgte sich vor Freiheitsverlust.
Ja. Die Freiheit war ihm immens wichtig. Der Aussage vieler, dass Hayek ein unsozialer Mensch war, stimme ich absolut nicht zu. Es gibt von ihm eine großartige Abhandlung über das Wort „sozial“. Dort führt er aus, dass man dieses Wort nahezu beliebig jedem Begriff voransetzen kann, um damit den eigentlichen Begriff seiner Bedeutung zu berauben. Was heutzutage mit dem Begriff „sozial“ angestellt wird! Und noch etwas …
Ja, bitte?
Wir sehen im Rückblick, dass es heute den Menschen in jenen Staaten gutgeht, die zumindest in der Vergangenheit relativ liberale Systeme hatten. Während es den Menschen in den Ländern, die früher primär auf den „sozialen“ Aspekt ausgerichtet waren, heute wesentlich schlechter geht. Venezuelas Weg in die Diktatur illustriert Hayeks prognostizierten „Weg in die Knechtschaft“ nahezu perfekt. Er hat stets und vollkommen zu Recht argumentiert, dass wirtschaftliche Freiheit und persönliche Freiheit sehr, sehr eng miteinander verknüpft sind. Unsozial sind aus meiner Sicht jene, die im Namen ihrer Idee des „Guten“ bereit sind, andere Menschen zu zwingen, so zu handeln, wie sie es gerne sehen würden.
Hayek beklagte: „Schritt für Schritt haben wir jene Freiheit der Wirtschaft aufgegeben, ohne die es persönliche und politische Freiheit in der Vergangenheit nie gegeben hätte.“
Dem Verlust der wirtschaftlichen Freiheit folgt notwendigerweise der Verlust der persönlichen Freiheit. Es ist wichtig, das zu erkennen.
Muss man, wenn man über Hayek spricht, zwingend auch über Demokratie sprechen?
Ja. Hayek war nicht grundsätzlich ein Gegner der Demokratie, er hat aber sehr wohl deren Probleme erkannt und thematisiert. Und an vielen dieser Probleme leiden wir heute.
Beispielsweise?
Dass die Demokratie immer auf einen „gesamtgesellschaftlichen“ Konsens setzen muss, den es in modernen Massendemokratien nicht geben kann. Nur, weil wir uns bei einem Thema auf der Ebene abstrakter Lippenbekenntnisse einig sind, heißt das nicht, dass wir uns auf eine konkrete Ausgestaltung einigen können. Nehmen Sie nur einmal das Thema Bildung. Wir alle wollen gute Bildung. Was aber ist das genau? Der eine Mensch versteht unter guter Bildung doch etwas vollkommen anderes als der nächste. Trifft die Politik also bei diesem Thema, oder bei vielen anderen Themen, eine Entscheidung, ist die Meinungsdiversität der Gesellschaft nicht ausreichend abgebildet. Ein marktwirtschaftliches System könnte diese Meinungsdiversität deutlich besser abbilden. Das ist ein Aspekt, warum Hayek die Demokratie zumindest in Teilen kritisch gesehen hat.
Also gibt es für Marktwirtschaftler gar keine ideale Staatsform?
Für mich gibt es drei wichtige Kategorien – Selbstbestimmung, Mitbestimmung, Fremdbestimmung –, wobei es nur für zwei dieser Kategorien ein politisches Äquivalent gibt. Bei Fremdbestimmung ist das die Diktatur, bei Mitbestimmung die Demokratie. Nur für Selbstbestimmung gibt es kein politisches Äquivalent. Wobei man sich übrigens keinen Illusionen hingeben darf: In größeren Strukturen ist die angebliche Mitbestimmung eines Menschen in praktisch allen Fällen eine Fremdbestimmung. Oder glauben Sie tatsächlich, dass eine einzelne Stimme jemals schon eine Wahl auf Bundesebene entschieden hätte? Daraus folgt: Jede Art der Politik ist so stark wie möglich zu beschränken.
Was uns zur Politik führt, und abermals zu einem Zitat aus der ‚Knechtschaft‘. Hayek schrieb: „Die Unfähigkeit demokratischer Körperschaften, einen anscheinend eindeutigen Auftrag des Volkes auszuführen, ruft Unzufriedenheit mit den demokratischen Einrichtungen wach. Parlamente werden dann als nutzlose, unfähige Schwatzbuden betrachtet.“ Das ist eine Beschreibung gegenwärtiger Zustände!
Ja. Weil die Politik nicht ehrlich mit sich selbst ist, und damit auch nicht ehrlich mit der Bevölkerung. Wäre sie ehrlich, würde sie das zuvor angesprochene Dilemma offen thematisieren: Dass man sich in einer Demokratie bei vielen Themen oftmals eben nur in abstrakten Lippenbekenntnissen, nicht aber in konkreten Ausgestaltungen einig sein kann. Daran schließt das nächste Problem an: All die immer wieder und von allen Parteien getätigten Wahlversprechen finden in einem Vakuum statt, das auf die Kosten kaum Rücksicht nimmt. Die wirtschaftliche und die budgetäre Situation ist auch wegen all dieser Wahlversprechen so angespannt. Hinzu kommt: Politiker betrachten sich selbst als sehr wichtig, und umgeben sich auch ausschließlich mit Leuten, die sie in diesem Irrglauben immer wieder bestätigen. Hayek hätte den Politikern klargemacht, dass sie gar nicht so wichtig sind, wie sie glauben. Das aber hört man in der Politik nicht gerne, und das dürfte auch einer der Gründe sein, warum die Philosophie Hayeks nicht nur in Österreich, sondern auch in den allermeisten Ländern nie wirklich angekommen ist.
Da könnten wir ja mit einem weiteren Zitat von Hayek unser Gespräch schließen: „Nach unseren Maßstäben ist hier wenig Grund für Enthusiasmus vorhanden …“
Dem stimme ich nur teilweise zu. Erstens kann Enthusiasmus immer etwas Gefährliches sein, vor allem, wenn es um politische oder gesellschaftliche Themen geht. Zweitens gibt es auch positive Entwicklungen, die den Wettbewerb neu entfachen; von Kryptowährungen bis hin zu den sozialen Medien, die den traditionellen Strukturen den Rang ablaufen. Also würde ich das, was Hayek da sagte, anders formulieren: Es gibt wenig Grund für Enthusiasmus, aber zumindest einen gewissen Grund für Optimismus.
Vielen Dank für das Gespräch!
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