Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Reden wir über das Bild der Gesellschaft“

Oktober 2024

Herr Landeshauptmann, die Nationalrats­wahl ist geschlagen, sie endete mit einem klaren Sieg der FPÖ. Sie sagten dem ORF, Sie hätten mit einem knapperen Rennen gerechnet … 
Das ist wahr. In den letzten Wochen schien sich ein knapperes Rennen abzuzeichnen. Aber offensichtlich haben die Freiheitlichen doch besser mobilisiert, als das der Volkspartei gelungen ist. Das gilt es anzuerkennen. Jetzt muss man sich anschauen, wie eine Regierung zustande kommen kann, leicht wird das nicht. Meine Konzentration gilt jetzt aber zur Gänze Vorarlberg.
 
In Vorarlberg wählten bei der Nationalratswahl 29,2 Prozent ÖVP, 27,2 Prozent FPÖ (Stand 30. September). Die Landtagswahl am 13. Oktober scheint nun zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen zu werden.
Es ist sehr knapp. Erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik wird sich in Vorarlberg die Frage ernsthaft stellen, welche Partei den Vorarlberger Landeshauptmann stellen wird. Das heißt, dass jede Stimme zählt und dass es ein knappes Rennen bis zum Schluss sein wird. Es geht jetzt um alles. Es geht auch um die Stabilität dieses Landes, die zu wichtig ist, um sie populistischen Themen zu opfern …
 
Sie sagten vor Jahren einmal, Sie seien kein guter Zeitgeistsurfer.
Daran hat sich nichts geändert. Weil ich nach wie vor der Auffassung bin, dass man in der Landespolitik – in der Politik generell – auf langfristige Ziele setzen und langfristige Entwicklungen im Auge haben sollte. Der Zeitgeist ändert sich zu schnell. Und auf einer Zeitgeistwelle zur nächsten zu surfen, wie ein Fähnchen im Wind, das wäre gefährlich.
 
Was stört Sie an einer Politik, die sich am Zeitgeist orientiert?
Neben diversen Inhalten? Die Sprache. Die ist viel aggressiver geworden, sie hat im Umgang untereinander vieles verändert, hat stark zur Polarisierung beigetragen. Auch so manches am Umgang mit den Sozialen Medien stört mich: Die Politik soll sich auf ihre Aufgaben konzentrieren, sie hat nicht von Click zu Click zu springen. Ein Politiker, der sich der Logik der Sozialen Medien komplett unterwirft, ist ein Zeitgeistsurfer.

Orientiert sich die Politik besonders vor anstehenden Wahlen zu sehr an Umfragewerten? 
Das ist mit Sicherheit so. Früher waren Umfragen die Aufnahme eines Meinungsbildes, heute wird mit Umfragen oft Politik gemacht. Von allen möglichen Seiten: Von Parteien, von Medien, manchmal auch von Umfrageinstituten selbst. Den Trend, den sie aufzeigen, den beeinflussen sie selbst. Das muss man sich ehrlicherweise eingestehen. Ich wäre der Meinung, dass man nur noch mit einem ordentlichen Respektabstand zu einer Wahl Umfragen veröffentlichen sollte. Man sollte der Bevölkerung den Spielraum lassen, sich eine eigene Meinung zu bilden.
 
Die Legislaturperiode war geprägt von multiplen Krisen, beginnend mit der Pandemie. Welche politischen Schlüsse sind daraus zu ziehen?
Die Pandemie war ein schwerer Einschlag. Da wurde an Grundfesten gerüttelt. Man hat infolge der Pandemie aber auch eines schmerzhaft gemerkt: Wie abhängig wir in Wahrheit sind. Aus der Analyse der Ereignisse leitet sich deshalb eine Schlussfolgerung ab.
 
Die da lautet?
Vorarlberg ist zwar extrem stark in der Substanz; weder die Corona-Krise – noch die daran anschließenden Krisen – haben unser Land aus der Bahn geworfen. Aber: Wie kann die Region im Kern noch resistenter und krisenfester werden? Die Antwort: Wir haben Abhängigkeiten zu reduzieren. Wo immer wir können, sollten wir uns auf eigene Beine stellen und die Teile der Gesellschaft stärken, die uns in der Substanz mehr Kraft geben, die uns krisenresistent erhalten. Das geht durch alle Bereiche durch, das betrifft die Energieversorgung, die Wirtschaft, das Sozialwesen, das Ehrenamt. Das ist Politik, das ist die politische Aufgabe: Die Grundfesten zu sehen, am Fundament zu bauen, damit es bei Einschlägen nicht zerbröselt. Denn die nächsten Krisen kommen bestimmt. Da hilft dieses Zeitgeistsurfen nicht. Man muss sehr an der Substanz arbeiten, und dabei langfristig denken.
 
Die Wirtschaft braucht, unter anderem: Weniger Bürokratie.
Ständig entstehen neue Gesetze. Weniger im Land, wesentlich mehr im Bund, massiv viele in der Europäischen Union. Aber reden wir doch auch über das Gesellschaftsbild. Es entstehen ja auch deswegen ständig neue Regeln, weil wir in einer Gesellschaft leben, die alles und jedes sofort geregelt haben will. Dieses Thema ist also eine Grundsatzdiskussion wert: Will man eine komplett regulierte Gesellschaft? Oder wollen wir der Gesellschaft mehr Raum, dafür aber auch mehr Unschärfe lassen? Durch weniger Bürokratie mehr Freiheit zu geben, heißt: Mehr Eigenverantwortung zu geben. Ich fände das gut. Man sollte einen Antibürokratie-Konvent veranstalten, um eben dieses Grundsatzthema zu klären.
 
Richten Sie diese Forderung an die neue Bundesregierung?
Ja. Aber eigentlich an alle Gebietskörperschaften. Also auch an uns selbst, an das Land. Wir hatten gerade erst im September eine Novelle im Bereich der erneuerbaren Energie in Begutachtung, da wollen wir Regeln wieder zurücknehmen. Das ist aber nur ein Beispiel. Wir brauchen in unserer Verwaltung eine eigene Abteilung, die sich strukturell um den Abbau von Bürokratie kümmert. Und mittlerweile bin ich auch der Meinung, dass wir Gesetzen und Verordnungen zwingend ein Ablaufdatum anfügen müssen. Dann hat man sich nach fünf bis sieben Jahren zwingend jede Regelung anzuschauen und zu fragen: Braucht es die überhaupt noch? Kann man sie nicht einsparen? Es braucht in jeder Legislaturperiode zudem zwingend ein Deregulierungspaket, in dem das Vorhandene durchgebürstet wird, auch im Hinblick auf die Frage: Was können wir digitalisieren?
 
Die Wirtschaft braucht Raum zum Entwickeln. Wird in den entsprechenden Debatten zum Thema nicht mitunter vergessen, wie bedeutsam die Wirtschaft für das Land ist?
Von meiner Seite wird das bestimmt nicht vergessen, auch gesetzlich ist das klar. Beispielsweise im Raumplanungsgesetz ist als Grundsatzbestimmung enthalten: Existenzsicherung für Betriebe und für die Wirtschaft im Land. Also muss die Wirtschaft ihren Platz finden können. Wir schauen vorrangig darauf, dass eine Entwicklung am Standort möglich ist; wir werden mehr darauf schauen müssen, dass wir in die Höhe mehr zulassen. Da ist noch ein gewisses Potenzial vorhanden. Vor allem die familiengeführten Unternehmen, die sich zum Standort bekennen und sowohl eine Bindung zum Land als auch zu ihren Mitarbeitern haben, sind Gold wert. Sie sind in der Krise fest gestanden. Sie erhöhen die Resilienz des Standortes. Man investiert also sehr in die Krisenfestigkeit, wenn man den eigenen Unternehmen im Land Entwicklungsmöglichkeiten gibt.
 
Was die Wirtschaft dringend braucht, ist eine leistungsfähige Straßenverbindung.
Dass wir zwei Autobahnen durch das Rheintal haben, die nicht verbunden sind, ist ein historischer „Strickfehler“. Es braucht eine hochrangige Verbindung. Aber von grüner Seite – insbesondere vom Bund, aber auch mit Komplizenschaft im Land – werden wir blockiert. Wobei der letzte Versuch ja geradezu abenteuerlich war: Zu sagen, das Land Vorarlberg soll auf die gesetzliche Verpflichtung des Bundes verzichten. Das kommt überhaupt nicht in Frage! Jetzt kann man ja lebhaft über Varianten diskutieren, aber die Finanzierung, die Planung und der Bau einer hochrangigen Verbindung, das ist eine Grundsatzverpflichtung, die der Bund hat. Eigentlich müssten wir sagen: Wo bleiben die Ergebnisse? Da ist Vorarlberg nicht in einer Position des Bittstellers.
 
Sie sagten anderen Medien, Ministerin Gewessler sprenge die Koalition von außen.
Mit Vorgänger Johannes Rauch war im Regierungsprogramm klar paktiert: Es gibt keinen Eingriff in laufende Planungen und laufende Verfahren. Ansonsten hätte es damals keinen Eintritt der Grünen in die Landesregierung geben können. Und jetzt? Greift Gewessler in ein laufendes Verfahren ein, redet mit der Schweiz keinen Ton und macht uns irgendwelche unmoralische Angebote, die nicht einmal im Ansatz funktionieren. So kann man mit uns nicht umgehen. Ich verlange, dass man die berechtigten und artikulierten Interessen eines Bundeslandes ernst nimmt. Da hat sie einen Sprengsatz angebracht, vor allem mit der Aussage, das Land Vorarlberg solle auf sein gesetzliches Recht verzichten.
 
Werden Sie das in allfälligen Koalitionsgesprächen berücksichtigen?
Die Frage nach einem Koalitionspartner wird sich weniger an Befindlichkeiten orientieren, sondern maßgeblich an zwei Fragen orientieren: Was braucht das Land und mit welchem Partner können wir das am besten realisieren? Infrastruktur- und Wirtschaftspolitik werden wichtige Themen sein. Es braucht aber auch eine klare Linie in der Integrationspolitik. Wer bei uns bleiben will, der muss sich auch integrieren. Wer sich weigert, muss mit Sanktionen rechnen. Auch da hat mich das Verhalten der Grünen irritiert.
 
Sie sagten in einem News-Interview, Sie möchten in Vorarlberg weiterhin „die Mitte stärken und kein Abdriften nach rechts oder links“ haben.
Weil ich Vorarlberg eben genau dort sehe. Es schließt auch den Kreis zur Frage, was man aus Krisen lernen kann: Man muss die gesellschaftliche Mitte sehr stark im Auge behalten. Dass man diese Mitte – den Mittelstand, die Familien, die Familienbetriebe – nie aus den Augen verloren hat, ist ein Erfolgsrezept Vorarlbergs. Denn der Wohlstand des Landes wird in der Mitte erwirtschaftet, und nicht ganz rechts oder ganz links.
 
Was erwarten Sie bei der Landtagswahl?
Das Vorarlberger Ergebnis der Nationalratswahl hat gezeigt, dass es sehr eng geworden ist. Es geht jetzt um alles und vor allem um die Frage, wen die Vorarlbergerinnen und Vorarlberger als ihren Landeshauptmann haben wollen. Ich stelle mich dieser Wahl und werbe um einen möglichst klaren Regierungsauftrag.
 
Vielen Dank für das Gespräch!

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