Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Vertrauen ist verdammt leicht verspielt“

September 2024

Laut aktuellen Umfragen* steht die FPÖ bei 27, die ÖVP bei 24 und die SPÖ bei 21 Prozent. Ist kurz vor der Nationalratswahl am 29. September bereits alles entschieden? Ein Gespräch mit Meinungsforscher Peter Hajek (53).

Herr Hajek, die Umfragen sprechen eine klare Sprache. Haben ÖVP und SPÖ überhaupt noch eine Chance, die FPÖ bei der Nationalratswahl an Platz eins zu hindern? 
Der Abstand zwischen Blau und Schwarz ist nicht signifikant, der zwischen den Freiheitlichen und den Sozialdemokraten schon. Das heißt: Statistisch gesehen hat die ÖVP noch eine Chance. Bei der SPÖ ist das eher unwahrscheinlich. Wobei davon auszugehen ist, dass die Freiheitlichen die besten Karten haben. Die EU-Wahl war ein Vorbote. Die FPÖ wird bei der Nationalratswahl allein aufgrund der Wählermobilisierung einen Vorteil haben.

Wie hoch ist denn noch der Anteil der Unentschlossenen, der Last-Minute-Wähler? 
Quantifizieren ließe sich das erst am Wahltag. Aber: Von den 15 Prozent, die sich vor einer Wahl unentschlossen nennen, nennt auf Nachfrage in aller Regel die Hälfte der Befragten eine Partei, die für sie am ehesten in Frage kommt. Das heißt: Es gibt gar nicht so viele Unentschlossene. Die werden medial meistens überschätzt. Sie werden bei dieser Wahl keine entscheidende Rolle spielen. Auch deswegen spielen Wahlkämpfe keine große Rolle.

Wie ist denn das zu verstehen?
Bei Wahlkämpfen wird stets versucht, noch etwas Neues zu bringen. Aber das verfestigt sich nicht bei den Wählern. Eine Wahl gewinnt man in den viereinhalb Jahre vorher. Es wird am Wahltag meistens die Partei honoriert, die in der Legislaturperiode auf die richtigen Themen gesetzt und politische Arbeit geleistet hat. Wohingegen jene Parteien, die erst ein halbes Jahr vor einer Wahl sagen „Ups, wir brauchen jetzt noch neue Ideen“ meist nicht gewinnen. Unsere Erfahrung ist, dass eine Partei in einem Wahlkampf noch maximal ein bis zwei Punkte rauf oder runter bewegen kann. Wobei es sich abwärts leichter bewegt.

Die Last-Minute-Idee nützt den Parteien also auch nichts?
Nein. Es ist ein Gedankenfehler, sowohl der Politiker als auch von Medien, anzunehmen, dass es im Wahlkampf noch neue Themen brauche. 

Was könnte denn noch zu einer massiven Verschiebung führen?
Ein echtes Großereignis. Ibiza ist das klassische Beispiel. Oder ein großer Fehler. Um eine Anleitung aus dem Fußball zu nehmen: Wahlkampf ist Catenaccio. Die Null muss stehen. Man darf im Wahlkampf keinen Fehler machen. Denn Vertrauen ist verdammt leicht verspielt. Das geht ganz, ganz schnell. 

Die FPÖ scheint auf ein Thema reduziert zu sein: Österreich zu einer Festung zu machen. Das reicht für Platz eins? Ehrlich?
Es ist ja nicht nur diese Botschaft. Kickl bespielt das Thema Migration und Integration in seiner ganzen Bandbreite. Bis hin zur Sicherheit. Und das ist aktuell sehr vielen Menschen ein Anliegen. Hinzu kommt, dass er sich als Anti-Establishment-Politiker positioniert hat. Da spielt er das alte Spiel. Er hat ein großes strategisches Gefühl. Die Frage ist, ob das am Ende des Tages dann auch ausreicht, um einen Staat zu lenken und zu leiten.

Großes strategisches Gefühl kann man wiederum den Sozialdemokraten nicht unterstellen. Die zerfleischen sich gerade selbst. Wie sehr schadet den Roten der interne Machtkampf?
Was glauben’s? (lacht) Eine ungeeinte Partei ist eine ungeeinte Partei. Und das ist ein Problem; ein Problem, das durch ein Machtvakuum an der Spitze entsteht. Das wäre unter einem Vranitzky undenkbar gewesen. Wir haben dieses Problem nicht im Burgenland bei Doskozil, nicht in Wien bei Ludwig, nicht in Kärnten bei Kaiser. Nur im Bund. In einem sind Parteien übrigens besonders gnadenlos: Wenn der an der Spitze keinen Erfolg bringt. Dann werden sie vollkommen unrund, und zwar alle Parteien.

Und Kanzler Nehammer? Kann er noch reüssieren? Es scheint ja so zu sein, als hätte sich die ÖVP zumindest stabilisiert, sie war ja in Umfragen schon weiter hinten.
Die ÖVP hat wieder Tritt gefasst. Der Abstand, der bei der EU-Wahl nicht so groß war wie gedacht, hat ihnen eine wirkmächtige Erzählung in die Hand gegeben: Dass es gar nicht so ist, wie die Meinungsforscher sagen. Dementsprechend haben die derzeit gute Stimmung. Und die brauchen sie auch, um überhaupt in dieses Match mit der freiheitlichen Partei zu kommen. Die ÖVP sucht das Kanzlerduell. Aus zwei Gründen: Zum einen, weil die Menschen trotz guter Umfragewerte für die FPÖ einen Vorbehalt gegenüber Kickl haben. Und zweitens, weil man damit den zweiten Mitbewerber, die SPÖ, an den Rand drängt. Wie gesagt: Statistisch ist der Abstand zwischen FPÖ und ÖVP nicht signifikant. Mehr können wir nicht sagen. Wir werden das erst am 29. September um 17.05 Uhr wissen.

Und die Grünen? Werden die als Regierungspartei bald Geschichte sein?
Ha! Also da wäre ich vorsichtig, Herr Dünser! Sie wissen eh: Am Montag nach der Wahl sind die Karten immer neu gemischt. 

Sie werden sich nicht festlegen …
(lacht)

…aber was ist denn die wahrscheinlichste Koalitionsvariante nach dieser Wahl?
Das kann Ihnen kein Mensch sagen. Da gibt es zu viele Szenarien. Ein Beispiel? Wird die ÖVP zweit und die SPÖ mit klarem Abstand dritt, wird’s eine schwarz-rote Koalition, erst recht, wenn Babler infolge einer klaren Niederlage gehen muss …

Wie stark wird sich das Ergebnis der Nationalratswahl auf die nur zwei Wochen später stattfindende Landtagswahl in Vorarlberg auswirken?
Die Auswirkungen werden gering sein. Mit einer Ausnahme: Wenn das Ergebnis der Nationalratswahl dazu führt, dass sich mühsame Regierungs- und Koalitionsgespräche abzeichnen. Dann werden die Landeshauptleute Wallner, nachfolgend auch Drexler und Doskozil, mit einer Botschaft in die Wahl gehen: Keine Experimente! Der Einzug vieler Kleinparteien in den Nationalrat, eine komplizierte Situation, langwierige Verhandlungen, gar sich abzeichnende Neuwahlen: Das wäre ein Beispiel für ein externes Ereignis, das eine Wahl noch beeinflussen könnte. Das wäre sozusagen ein Klassiker. Ich als Berater würde versuchen, das zu nutzen. Wenn es denn so ausgeht.

Vielen Dank für das Gespräch!

* Beispiel: Kurier-OGM-Umfrage, 25.8.2024

Peter Hajek * 1971 in Wien, ist Geschäftsführer und Eigentümer der „Peter Hajek Public Opinion Strategies GmbH“. Der Politikwissenschaftler und Markt- und Meinungsforscher beschäftigt sich seit 25 Jahren mit empirischer Sozialforschung und hat Lehraufträge an Universitäten und Fachhochschulen. 

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