Ein Gulasch für die Kaiserin
Der alte Bahnhof und die Gulaschbrücke auf dem heutigen Seestadtareal wurden abgerissen, da das wertvolle Gelände – so die hoffnungsfrohe Erwartung vor 32 Jahren – zügig einer städtebaulichen Nutzung zugeführt werden sollte.
An einer Hauswand in der Bregenzer Weiherstraße empört sich bis heute der Text auf einer Tafel über den Abriss eines Bregenzer Wahrzeichens, das über 100 Jahre das Stadtbild geprägt hatte: „Zur Erinnerung an die Gulaschbrücke 1891 bis 1991. Sie wurde am 18. Januar 1991 unter Bürgermeister Siegfried Gasser demoliert. Nachdem UNIV.PROF.DIPL.ING.DR.TECH. Ferdinand Tschemmernegg dem Bauwerk einen bemerkenswert guten Zustand bescheinigt hatte, stimmten die Stadträte in der Abstimmung vom 15. Jänner 1991 wie folgt…“ Genannt werden dann drei Stadträte, die den Abriss abgelehnt hatten, sowie fünf weitere, die die Demontage befürwortet hatten. Mit dieser Abstimmung wurde das Schicksal der Gulaschbrücke, die die Gleise überquerend vom alten Bregenzer Bahnhof zum Bodensee geführt hatte, endgültig besiegelt. Dass sie abgebrochen werden sollte, hatte sich schon länger abgezeichnet, denn bereits 1987 wurde von Seiten der ÖBB laut darüber nachgedacht.
Die Inbetriebnahme des neuen – jetzigen – Bahnhofs machte den alten historischen Bahnhof auf dem heutigen Seestadtareal überflüssig. Der Bahnhof wurde abgerissen, da das wertvolle Gelände – so die hoffnungsfrohe Erwartung vor 32 Jahren – zügig einer städtebaulichen Nutzung zugeführt werden sollte. Die ÖBB wollten die Brücke der Stadt zum Geschenk machen, die dann auch für die Sanierung und die Erhaltung aufkommen sollte. Eine Berechnung hatte ergeben, dass die Sanierung des historischen Übergangs etwa drei Millionen Schilling kosten würde, die die ÖBB nicht bereit waren zu bezahlen. Die Stadt hatte aber mit dem Geschenk keine Freude und so beschlossen die ÖBB die Gulaschbrücke abzutragen. Am 29. Juni 1990 rückten die Kräne an, wobei die Teile vorerst aber nur beiseitegelegt wurden, da über die endgültige Nutzung noch nicht entschieden war. Obwohl ein metallurgisches Gutachten der Brücke einen guten Zustand beschieden hatte, erfolgte dann der genannte Stadtratsbeschluss und die sofortige Zerlegung der Brücke. Mit Schweißgeräten wurde sie in ein bis vier Meter lange Teile zerkleinert, die zunächst in Götzis zu kleinen Stücken gepresst wurden, um dann in den Hochöfen der VOEST in Linz endgültig eingeschmolzen zu werden. Im Vorfeld der Entscheidung war ein heftiger, nicht nur in den Medien ausgetragener Kampf um den Erhalt der Gulaschbrücke entbrannt, so hatten sich etwa Befürworter der Brücke im Verein „Kultur direkt“ organisiert. Auch namhafte Architekten wie Hans Purin, der im Namen der Zentralvereinigung der Architekten Österreichs, Landesverband Vorarlberg auftrat, brachten ihren „Zorn und Abscheu über diesen dummen und kulturbarbarischen Akt“ in einer öffentlichen Stellungnahme zum Ausdruck.
Dass die Bevölkerung eine so emotionale Bindung zu einer Brücke eingehen konnten, ist vielleicht auch mit ihrem einprägsamen Namen geschuldet. Für dessen Herkunft bot Emmerich Gmeiner, ehemaliger Stadtarchivar von Bregenz, unterschiedliche Erklärungen an. Die Legende, die den zahlreichen Touristen am See wohl am besten gefallen würde, geht auf Sisi, die österreichische Kaiserin Elisabeth, zurück, die bei ihrer Ankunft mit dem Zug als ersten Eindruck eine Nase voll Gulasch-Aroma aufgefangen haben soll. Der köstliche Duft aus der Küche des legendären Wirtes Ettenberger aus der Bregenzer Bahnhofs-Restauration soll sie motiviert haben, sofort einen Lakaien auszuschicken, einen Teller Gulasch zu besorgen. Wahrscheinlicher ist jedoch eine andere Erklärung, dass nämlich die Gulaschkanone des Kochs Francesco di Ignatio Baccini der Grund für den Namen sein könnte. Ende des 19. Jahrhunderts reisten nämlich jährlich bis zu 50.000 Italiener auf Arbeitssuche nach Deutschland und die Schweiz. Da die meisten von ihnen in Bregenz auf ein Bodenseeschiff umsteigen mussten und die Kapazität der umliegenden Gasthäuser bei Weitem nicht ausreichte, verpflegte Baccini die vielen Esser – jedenfalls die die es sich leisten konnten – mit einem Gulasch und einer Schnitte Brot, und das genau bei der Brücke, die zum See führte.
Der Bau der Gulaschbrücke resultierte unmittelbar aus dem Beginn des Eisenbahnzeitalters in Vorarlberg. Am 1. Juli 1872 wurde der Bahnbetrieb von Bludenz über Feldkirch und Bregenz bis an die bayerische Grenze aufgenommen, was auch den Bau eines Bahnhofs in Bregenz notwendig machte. Mit der Eröffnung der Arlbergbahn 1884 und somit dem Anschluss an das Eisenbahnnetz der Monarchie musste dieser schon nach wenigen Jahren wesentlich erweitert werde. Im Zuge dieser Baumaßnahmen wurden durch Aufschüttungen sowohl die Bahntrasse als auch ein großes seeseitiges Areal dem Bodensee abgerungen. Damit waren die Bregenzer Seeanlagen als Erholungsgebiet geboren, was für die zahlreichen Besucher Verbindungen über die Gleise notwendig machte. Das war im Süden die Gulaschbrücke, nördlich davon eine ähnliche sogenannte Passerelle, die direkt beim Hafengebäude hinüber zur Post führte. Diese Verbindung wurde allerdings schon 1955 wieder abgerissen.
Es ist immer wieder faszinierend zu sehen, wie mit Hilfe der landeskundlichen Sammlung der Landesbibliothek Vergangenes nachvollzogen und erforscht werden kann. Im Fall der Gulaschbrücke findet sich in der Stiftsbibliothek etwa die prunkvolle Konzessionsurkunde für die Vorarlbergbahn, die 1869 an ein Konsortium rund um die Firmen Getzner, Ganahl und Mutter vergeben wurde. Die ausführlichste Quelle zur Geschichte der Brücke und Grundlage für den vorliegenden Artikel ist aber das solide recherchierte Büchlein „Die Bregenzer Gulaschbrücke – Wie ein Wahrzeichen zum alten Eisen kam.“ In der Bibliothek findet es sich nicht nur in der Standardausführung, sondern auch in der auf 101 Stück limitierten Luxusauflage, bei der Künstler und Schlosser Wilfried Kofler Metallteile in den Einband einarbeitete. Eine Rezension in einer Bodenseezeitschrift bescheinigt den Autoren dieser Schrift, dass ihnen neben dem Nachruf auf die Gulaschbrücke auch eine Dokumentation der Bregenzer Eisenbahngeschichte und Stadtentwicklung gelungen sei. Dort findet sich auch eine Einschätzung über das ehemalige Bahnhofsareal, die auch heute noch gelten könnte: „Vorerst ‚aufgeräumt‘ bietet sich der ehemalige Bahnhofsplatz seit Jänner dieses Jahres ohne Gulaschbrücke. Ein leerer Anblick, wie Nostalgiker meinen.“ Die Gulaschbrücke ist schon längst in Vergessenheit geraten, die Leere ist geblieben.
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