
Der Frühling ist gelb
Im heurigen Winter kam die Natur – zumindest in Tallagen – nicht wirklich zur Ruhe: Nur wenige Tage lag eine geschlossene Schneedecke, und kurz waren die Perioden stärkeren Frosts. Immer wieder lockte der Föhn Insekten aus ihren Verstecken hervor, und schon Anfang Februar flogen vereinzelte Schmetterlinge. Mit dem März kommt nun endgültig der Frühling, und die Farbe des Frühlings ist Gelb.
Bereits Mitte Februar zeigten sich die ersten Blütenknospen des Huflattichs (Tussilago farfara), und nun ist er kaum mehr zu übersehen. Als Pionierpflanze besiedelt er wechselfeuchte, lehmige oder tonige Rohböden. Frische Rutschhänge sind solche Standorte, oder auch Anrisse an Bach- und Flussufern. Noch häufiger aber finden wir ihn an Sekundärstandorten aus Menschenhand – an Straßenböschungen und Sandgruben, an Baustellen, Erddeponien und Steinbrüchen, ja selbst auf Bahndämmen. An günstigen Stellen wächst er bisweilen in Massen. Treten dann auch noch spezielle Rispengräser und andere Wechselfeuchtezeiger hinzu, so kann gar von einer eigenen Pflanzengesellschaft gesprochen werden. In ihr ist der Huflattich die einzige auffällige Blütenpflanze. Die Huflattichflur wird in der Regel nach wenigen Jahren durch nachfolgende Gesellschaften abgelöst. Doch der Mensch gestaltet die Landschaft und schafft immer wieder neue Flächen, die der Huflattich als einer der ersten Bewohner besiedelt. So hat die Huflattichflur durch menschliches Zutun eine enorme Ausweitung ihres Verbreitungsgebiets erfahren.
Der Huflattich ist eine mehrjährige Pflanze. Ihr langer Wurzelstock breitet sich unter der Erdoberfläche waagerecht aus. Aus ihm erscheinen Blütenstiele mit jeweils nur einer hellgelben Blüte. Ihr reichlicher Nektar lockt Bienen, Schwebfliegen und Käfer als Bestäuber herbei. Auch Selbstbestäubung kommt vor. Bei kaltem Wetter öffnen sich die Blüten nicht, und auch bei Regen bleiben sie geschlossen. In der Nacht sind die Blütenköpfchen nach unten geneigt. Noch sind keine Blätter sichtbar. Nur bräunlich bis rötlich gefärbte, behaarte Blattschuppen zieren vorerst den Stängel.
Eine Huflattich-Pflanze produziert bis zu 8000 Früchte. Die Botanik klassifiziert sie als Nussfrucht. Ihr flaumig-seidiger Haarkranz ermöglicht (wie beim Gewöhnlichen Löwenzahn) die Verbreitung der Samen im Wind. Auch wie Kletten an Säugetiere geheftet oder durch Ameisen werden sie weitergetragen. Erst nach dem Verblühen sprießen die grundständigen Blätter, deren Form der Pflanze zu ihrem Populärnamen verholfen hat. Sie sind lang gestielt, herz- bis hufeisenartig geformt und flachbuchtig gezähnt, und sie erreichen bis zu 20 Zentimeter im Durchmesser. Damit sind sie deutlich kleiner als die sehr ähnlichen Blätter der Pestwurz. Durch die filzige Blattunterseite ist das stark-nervige Adernetz nur undeutlich sichtbar. Die Pflanze erreicht Wuchshöhen von 30 Zentimetern und mehr.
Wie viele andere Blumen, die um diese Jahreszeit blühen, ist der Huflattich gelb. Die Farbe signalisiert den Bestäubern, „hier gibt es etwas zu fressen“. Doch Insekten sehen Farben völlig anders als wir Menschen. Bei den Bienen ist das Spektrum des wahrnehmbaren Lichts in den UV-Bereich hinein verschoben: Sie sehen zwar einen Teil des ultravioletten Lichts, können aber Rot nicht mehr wahrnehmen. Was uns als gleichfarbig gelbe Blüten erscheint, bietet sich den Bienen je nach Anteil des reflektierten UV-Lichts in drei völlig verschiedenen Farbtönen: „Bienengelb“ sowie zwei Varianten von „Bienenpurpur“. Grüne Blätter hingegen reflektieren alle für Bienen sichtbaren Farbbereiche gleich schwach. Sie werden als „Bienengrau“ (mit schwachem Farbstich ins „Bienengelb“) wahrgenommen. Damit sehen Bienen die Blüten als bunte Farbtupfer, die sich von einem mehr oder minder unbunten Hintergrund gut abheben. Die für uns roten Blüten nehmen die Bienen lediglich als schwarze Flecken wahr. Auch wenn wir die Tiere nicht fragen können – andere Insekten sehen das ähnlich.
Gleich den Bienen wurde auch der Mensch früh auf die Qualitäten des Huflattichs aufmerksam. Bereits im 1. Jahrhundert n. Chr. nennt Gaius Plinius Secundus in seiner Naturgeschichte den Huflattich mit dem Namen, unter dem er auch heute wissenschaftlich bekannt ist. Das lateinische „tussis“ bezeichnet den Husten, und Tussilago soll ihn bannen. Huflattich wirkt schleimlösend. Und die frischen, als Umschlag verwendeten Blätter sollen Gicht- und Rheumaschmerzen lindern. 1994 war der Huflattich daher in Deutschland noch „Heilpflanze des Jahres“. Heute sieht man dies differenzierter. Zu den Inhaltsstoffen zählen unter anderem Polysaccharide, Schleimstoffe, Sterole, Bitterstoffe und Gerbstoffe, und nicht alle sind gern gesehen. Speziell manche Pyrrolizidin-Alkaloide, von denen es eine Vielzahl gibt, und deren Abbauprodukte wirken auf die Leber stark giftig und gelten als potenziell krebserregend. Die im Huflattich verborgenen Vertreter dieser Gruppe sind vergleichsweise harmlos. Dennoch ist Vorsicht geboten: Die uneingeschränkte Nutzung der Pflanze ist aus heutiger Sicht nicht mehr vertretbar. Die Anwendung etwa als Tee darf nicht mehr als vier bis sechs Wochen im Jahr betragen. Und während der Schwangerschaft ist der Huflattich als Heilpflanze gänzlich zu meiden. Lassen wir ihn also dort, wo er hingehört, in der Natur – als Nahrungsquelle für Bienen, als Futterpflanze für die Raupen mancher Schmetterlinge, und als Freude fürs menschliche Auge!
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