Der Populismus und das Ressentiment
Im Mittelpunkt populistischer Politik steht das Ressentiment: ein Minderwertigkeitsgefühl verbindet sich mit einer daraus abgeleiteten Wut und sinnt nach Vergeltung. So werden Gefühle und Affekte mit politischem und sozialem Denken verknüpft. Eine Empörung über Ungerechtigkeiten, soziale Diskriminierungen und wirtschaftliche Abstiegsängste kann Zorn, Wut und Hass hervorrufen. Populistische Politik holt diese Gefühle ab, bündelt sie, verspricht Anerkennung und Hilfe und benennt einen oder mehrere Schuldige.
Populismus und repräsentative Demokratie schließen sich nicht aus. Die Demokratie sichert formale Gleichheit, also Gleichheit vor dem Gesetz und schützt die Minderheiten. Materielle Gleichheit kann die Demokratie nicht herstellen, weil wir mit unterschiedlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen konfrontiert sind. So werden wir in unterschiedliche Familienstrukturen hineingeboren, die beträchtliche soziale, ökonomische und kulturelle Differenzen aufweisen. Entwicklungs- und Aufstiegschancen sind somit ungleich verteilt. Wenn diese Ungleichheiten nicht in Gemeinschaften, aktiven Zivilgesellschaften oder politischen Parteien aufgefangen und neutralisiert werden, können Ressentiments entstehen, die auf dem Gefühl „weniger wert zu sein“ beruhen. So wird das Ressentiment zum Verbindungsglied zwischen der Psyche und der Politik und damit zur wichtigsten Ressource für Populisten, die an tatsächlichen oder vermeintlichen Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen anknüpfen können.
Der nächste Schritt ist dann die Spaltung der Gesellschaft: die da unten gegen die da oben, das Volk gegen die Eliten, wir und die anderen. Spaltung soll Homogenität erzeugen, die Gruppe einen und sie politisch instrumentalisierbar machen. Das Ziel ist der Aufbau einer eigenen Gruppenidentität. Wird die Spaltung stark forciert, entstehen Freund-Feind-Verhältnisse, die dann noch – wie bei Carl Schmitt – zum konstitutiven Element der Politik erklärt werden können. Eva Illouz beschreibt in ihrem Buch „Undemokratische Emotionen“ die innenpolitische Situation Israels und liefert damit ein hochaktuelles Anschauungsmaterial praktizierter populistischer Politik auf der Basis von Ressentiments.
Am 24. Mai 1948 ruft David Ben Gurion die Unabhängigkeit Israels aus. In den folgenden Jahren wandern Juden aus Europa, Asien und Afrika in Israel ein. Illouz beschreibt nun detailreich, wie die europäischen Juden (Aschkenasen) die afrikanischen und asiatischen Juden (Mizrachim) diskriminiert und abgewertet haben. Damit wurde die Gesellschaft tief gespalten, Ressentiments und Opferrollen wurden erzeugt, die am Ende die rechten Parteien gestärkt haben. So gewann die nationalkonservative Likud- Partei 1977 die Wahlen und stellte mit David Ben Gurion den Präsidenten. Obwohl die Likud-Partei, inzwischen der Likud-Block, seit 40 Jahren Teil der Regierung ist, wurde die Ungleichheit zwischen den Aschkenasen und den Mizrachim nicht beseitigt. Auch heute noch werden die schon längst abgewählten linken Regierungen dafür verantwortlich gemacht. Anstatt mehr soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit herzustellen, schreibt Illouz, konzentriert sich die Regierung Netanjahus darauf, alte Verletzungen und Feindschaften zwischen den Mizrachim und den Aschkenasen zu fördern und Rachegefühle politisch zu verwerten. So wurde die Likud-Partei Teil einer persönlichen Identität vieler mizrachischer Wähler.
Die US-Politologin Wendy Brown nennt diesen Vorgang „Bindung an die eigene Verwundung“. So wird die Opferrolle weiter bedient und die Politik des Ressentiments als ein „Wiederkäuen von Verletzungen“ prolongiert. Die Mizrachim grenzen sich damit von anderen gesellschaftlichen Gruppen ab und pflegen ihre eigene verfolgte Identität.
Ähnlich wie Donald Trump in den USA greift Benjamin Netanjahu das Establishment an, das er selbst repräsentiert. Er stellt sich als Opfer dar, der von den Demonstranten, der Justiz und den Medien verfolgt wird. Damit verwendet er die Opferrolle um das Band zwischen den mizrachischen Wählern und dem „Führer“ zu stärken.
Die mangelnde Anerkennung erzeugt eine Unsichtbarkeit der Individuen und deshalb wollen die Menschen des Ressentiments in Erscheinung treten. Auch Nichtwähler haben Ressentiments. Adolf Hitler konnte im Jahre 1933 über fünf Millionen Nichtwähler mobilisieren. Dies bedeutet: Unpolitisch sein heißt nicht, neutral zu sein; unpolitisch sein beinhaltet ein Verbergen des persönlichen Ressentiments. Die Politik des Ressentiments wird in vielen Ländern praktiziert. So auch in Österreich, wo mit dem Anspruch, die Balkan-Route geschlossen zu haben, die Ablehnung des „Fremden“ politisch instrumentalisiert und mit Wahlsiegen belohnt wurde.
Das Ressentiment kann die Funktionsfähigkeit einer Demokratie – siehe das Beispiel Israel – gefährden. Es ist daher wichtig, die Motive menschlichen Handelns zu verstehen, zu wissen, wie sich Ängste, Bindungssehnsüchte, und Verschmelzungswünsche auswirken und wie unbewusste Affekte unser Handeln und Denken beeinflussen. Ein Mittel der Analyse ist die Sprache, wenn sie nicht als normales Kommunikationsmittel, sondern als Waffe gegen die Anderen benutzt wird. Hinweise auf diesen Gebrauch sind Beleidigungen, Herabsetzungen, Diffamierungen und Verleumdungen. Die Sprache kann Zorn und Ablehnung des Anderen verbalisieren. Wenn der Hass zum Ressentiment wird, ist es zur Verschwörung nicht mehr weit.
Ressentimentbesetzte Menschen leben in einem Wertesystem – einer Blase –, aus der sie sich nicht befreien können. Der Rückzug auf sich selbst und seine Gewissheiten führt zu einer Isolierung und zu dem Gefühl, vom Gemeinsamen ausgeschlossen zu sein. Aus dem Ressentiment herauszukommen, erfordert oft mehrere Generationen, um nicht mehr jene Gefühle und Affekte zu reproduzieren, die aus dem Umfeld kommen, aus dem man stammt.
Im Menschen sind Rationalität und Irrationalität wirksam. Der Appell an die Vernunft ist sinnvoll, mit der Irrationalität zu rechnen, ist klug.
Kommentare