Heute ein Hype und morgen die Zukunft
Spätestens seit der Präsentation von ChatGPT ist die sogenannte künstliche Intelligenz in aller Munde. Doch ist ChatGPT nur ein Anwendungsgebiet, und – auf Sicht gesehen – noch nicht einmal das wichtigste. IT-Pionier Walter Wintersteiger sagt, was die Zukunft bringen wird, und warum er eigentlich gar nicht gerne von künstlicher Intelligenz sprechen mag: „Weil dieser Begriff die Menschen auf eine falsche Spur lockt.“
Laut einer Erhebung der Wirtschaftsprüfungsagentur Deloitte geben in Österreich nur 13 Prozent der Unternehmen an, künstliche Intelligenz regelmäßig zu nutzen. 44 Prozent verwenden aktuell keine KI und haben auch nicht vor, dies zu tun. Das passt zu einer weiteren Umfrage, die den Menschen erst im Juli bescheinigte, relativ wenig über KI zu wissen, den Technologien dafür mit hoher Skepsis gegenüberzustehen. Die „Welt am Sonntag“ schrieb da: „Und wenn sich beim breiteren Publikum ein neues Gleichgewicht in der Einstellung zur künstlichen Intelligenz herausbildet, dann ist es eines der Geringschätzung. Das passt zur menschlichen Neigung, Vorstellungskraft aus haushälterischen Gründen kaloriensparend einzusetzen.“
22. November 2022
Doch was ist künstliche Intelligenz eigentlich? Ist sie gar der menschlichen Intelligenz gleichzusetzen? Beginnen wir doch mit dem 22. November 2022, also mit dem Tag, an dem OpenAI, ein US-amerikanisches Softwareunternehmen, ChatGPT vorgestellt hatte – einen Chatbot, der in der Lage ist, mit Nutzern über textbasierte Nachrichten und Bilder zu kommunizieren. Kostenfrei für die Öffentlichkeit freigegeben, hatte das System bereits nach fünf Tagen eine Million Nutzer weltweit, bis heute ist die Zahl auf 200 Millionen Nutzer angestiegen. Dank seiner immensen Leistungsfähigkeit, auch dank seiner rapiden Verbreitung ist ChatGPT heute für viele Menschen der Inbegriff künstlicher Intelligenz.
Wobei das so nicht ganz stimmt. Denn ChatGPT – der Mensch fragt, der Computer gibt in Echtzeit Antwort – ist in seinen Ergebnissen zwar faszinierend, aber nur einer von insgesamt drei Zweigen künstlicher Intelligenz, wie IT-Pionier Walter Wintersteiger erklärt: „Und ich vermute, dass die beiden anderen Anwendungen auf Sicht gesehen wesentlich wichtiger sein werden.“ Die Rede ist von: Deep Learning. Und Data Analytics.
Drei Anwendungen
Wo liegen die Unterschiede? ChatGPT gehört zum ersten Zweig künstlicher Intelligenz, zu den generativen Systemen. Diese Systeme machen laut Wintersteiger „im Grunde genommen nichts anderes, als Fragen zu beantworten, die man mit einem sogenannten Prompter, also mit einer Aufgabenstellung, eingibt.“
Im Rahmen von Deep Learning, dem zweiten Zweig, erkennt der Computer aus der Analyse der ihm eingegebenen Massendaten Muster und lernt daraus, wie er sich verhalten soll. „Die Firma Eberle Automatische Systeme in Dornbirn trainiert beispielsweise Computer darauf, auf fotografisch in Werkstücken erkennbare Fehler entsprechend zu reagieren.“
Und bei Data Analytics, dem dritten Zweig, geht es schließlich darum, riesige Datenmengen auf Gesetzmäßigkeiten zu untersuchen. Das findet beispielsweise in der Medizin Anwendung: Computer können auf der Basis massenhaft zugrunde gelegter Patientendaten Krankheiten in einem weitaus früheren Stadium entdecken, als dies einem menschlichen Spezialisten am Bildschirm möglich wäre.
Ein kurzer Abriss
Künstliche Intelligenz gibt es schon sehr lange. Verschiedentlich heißt es, die Wurzeln der KI würden gar bis ins antike Griechenland zurückreichen, als Philosophen über den Prozess des Denkens und der Logik nachzudenken begannen. Die moderne KI begann jedoch in den 1950er-Jahren, sie begann laut IT-Pionier Walter Wintersteiger damit, dass Wissenschaftler wie Alan Turing und John McCarthy die Möglichkeit intelligenter Maschinen theoretisierten.
Wintersteiger selbst war erstmals in den 1960er-Jahren mit KI konfrontiert worden – als sein damaliger Chef bei der ITT Data Service in Stuttgart gemeinsam mit einem Mitstreiter die ersten Schachprogramme geschrieben habe. Mit einem Ziel: Die Computer zu befähigen, im Schachspiel dem Menschen langsam aber sicher überlegen zu werden. „Das waren für uns die ersten gut erkennbaren, und auch irgendwo noch verständlichen Anwendungen der sogenannten künstlichen Intelligenz.“
Warum der sogenannten künstlichen Intelligenz? „Weil die Menschen damit auf eine völlig falsche Spur gelenkt werden“, sagt Wintersteiger, „die sogenannte künstliche Intelligenz hat mit der menschlichen Intelligenz überhaupt nichts zu tun. Lieber wäre mir der Ausdruck maschinelle Intelligenz.“
Ein wichtiger Unterschied
Der Unterschied liegt demnach „in der Natur, in der Funktionsweise, in der Flexibilität und im Lernprozess der beiden Formen der Intelligenz“. Während menschliche Intelligenz ein Produkt von Evolution und biologischen Prozessen ist, basiert künstliche Intelligenz auf Technologie und Mathematik. Exakter gesprochen?
Menschliche Intelligenz ist gemäß Definition ein biologisches Phänomen, das durch die neuronale Struktur des Gehirns und kognitive Prozesse wie Wahrnehmung, Denken, Lernen und Gedächtnis entsteht. Menschliche Intelligenz umfasst kreative Fähigkeiten, Emotionen, Bewusstsein und den Umgang mit komplexen und emotionalen Situationen. Menschen lernen durch Erfahrung, Nachahmung und das Verstehen abstrakter Konzepte wie Ethik, Moral und soziale Normen.
Künstliche Intelligenz beruht dagegen auf mathematischen Modellen, Algorithmen und maschinellem Lernen. Sie ahmt bestimmte kognitive Fähigkeiten des Menschen nach, ist jedoch rein technischer Natur. KI verarbeitet Daten, erkennt Muster und trifft Entscheidungen auf Basis dieser Daten. Künstliche Intelligenz hat jedoch kein Bewusstsein, keine Emotionen, keine Selbstwahrnehmung.
Der Mensch gibt den Auftrag
Wintersteiger sagt: „Hätten wir nicht Computer der heutigen Leistungsstärke, wäre das Thema der künstlichen Intelligenz überhaupt nie aufgekommen.“ Computer könnten gar nichts anderes, als Daten zu sammeln und zu verarbeiten: „Künstliche Intelligenz ist also nichts anderes als das Nützen dieser Fähigkeit, große Datenmengen schnell zu verarbeiten, um damit Ergebnisse zu erzielen, die wir bisher nicht erzielen konnten. KI ist: Mächtige Datenverarbeitung. Den Auftrag gibt der Mensch.“
Gewisse Verarbeitungsformen spielen dabei eine wichtige Rolle. So fußen die Programme in aller Regel auf künstlich geschaffenen neuronalen Netzen. „Das heißt, dass unendlich viele Verknüpfungsstellen angezapft werden können, vergleichbar mit den Neuronen in unserem Gehirn.“ Seine erste Begegnung mit einem solchen neuronalen Netz hatte der IT-Pionier vor mittlerweile 30 Jahren: Als Elgar Fleisch – ein an der HSG und ETH in Zürich tätiger Wissenschaftler – im Rahmen seiner Dissertation ein kleines neuronales Netzwerk mit 123 Inputunits entwickelt habe; ein Netz, das half, die Einlastung von Aufträgen in eine Fertigung mit mehreren Maschinen zur Optimierung der Durchlaufzeit zu ermitteln. „Heute haben wir Programme, die Milliarden von Knoten verknüpfen können.“ Und die damit, beispielsweise, in der Lage sind, auf mathematischem Wege voraussagen zu können, welches Wort einem bestimmten Wort vermutlich folgen muss. Damit sind wir wieder: Bei ChatGPT. Dieses Programm reiht aufgrund von schier unendlichen Wahrscheinlichkeitsberechnungen ein Wort an das andere: „Und damit kommen verdammt interessante und wertvolle Ergebnisse heraus.“
Ein Hype
Machen wir an dieser Stelle einen kurzen Einschub. Von Roy Charles Amara, einem US-amerikanischen Zukunftsforscher stammt der Satz: „Wir neigen dazu, die Auswirkungen einer Technologie auf kurze Sicht zu überschätzen und auf lange Sicht zu unterschätzen. “
Was Amara einst sagte, wird in dem von der Analystin Jackie Fenn geprägten Hype-Zyklus (siehe Grafik links unten) dargestellt. Dort ist zu sehen, welche Phasen der öffentlichen Aufmerksamkeit eine neue Technologie bei deren Einführung durchläuft. Dem technologischen Auslöser folgen überzogene Erwartungen, dann Enttäuschung, anschließend Erleuchtung, bevor dann – final – das Plateau der Produktivität erreicht ist. Aber dieses Plateau der Produktivität wird nur dann erreicht, wenn die Vorteile einer neuen Technologie allgemein anerkannt und akzeptiert werden. „Wenn ich richtig informiert bin“, sagt Wintersteiger, „hat die KI im Moment den Gipfel der überzogenen Erwartungen überschritten.“ Darauf folgt, laut Hype-Zyklus: Das Tal der Enttäuschungen.
In der deutschen „Welt am Sonntag“ fanden sich da jüngst interessante Worte. Dort hieß es, dass seit der Präsentation von ChatGPT im November sehr viel und gleichzeitig sehr wenig passiert sei: „Sehr viel, weil ChatGPT im Zeitraffer viele Cousins aus Konzernen wie Google und Meta bekommen hat und zugleich erwachsen geworden ist. Und sehr wenig, weil der Alltag für die meisten Verbraucher der gleiche geblieben ist und für die meisten Beschäftigten auch.
Der Hype scheint vorerst vorbei zu sein. „Die Weltherrschaft ist vertagt, berichtete die Süddeutsche, das Handelsblatt stellte die Frage: „Ist die Luft aus der KI-Blase bald raus?“ Zukunftsforscher Matthias Horx hatte jüngst geschrieben, dass KI immer dümmer werde, je weiter sie sich entwickle. Warum? „Da die Ergebnisse der KI immer wieder in die KI-Systeme eingespeist werden, entsteht eine regressive Schleife: Das Wiederholte wird wiederholt, und das wiederholt Wiederholte wird wieder wiederholt… Die KI wird mit ihren eigenen Produkten überfüttert.“
Mensch und Maschine
Wintersteiger findet diese Einschätzung „etwas übertrieben, um nicht zu sagen: überheblich.“ Denn das gelte eben nur für die generative Textverarbeitung, nicht aber für die anderen beiden Zweige; also nicht für Deep Learning und nicht für Data Analytics.
Ihm zufolge werde die Menschheit dank KI noch Ergebnisse erwarten dürfen, die heute noch gar nicht benannt werden können. Aber: „Wir werden mit der KI in absehbarer Zeit an die Grenzen stoßen; weil die Leistungsfähigkeit der Computer nicht unendlich ausgeweitet werden kann. Selbst für Quantencomputer gibt es eine Obergrenze der Leistungsfähigkeit.“
Und da unterscheide sich Mensch und Maschine. „Denn der Kreativität der Menschen ist keine Grenze gesetzt, erst recht nicht der kollektiven Kreativität, der maschinellen Leistungsfähigkeit dagegen schon.“ Und deswegen ist die Annahme, dass Computer eines Tages schlauer sein könnten als der Mensch, für Wintersteiger: „Einer der dümmsten Sätze, die jemals formuliert worden sind. Formuliert in Unkenntnis, oder in falscher Euphorie im Hype-Cycle. Denn die menschliche Intelligenz wird bis auf weiteres nicht an ihre Grenzen stoßen. Die der Maschinen dagegen schon.“
Die Zukunft
KI ist heute ein Hype. Aber morgen die Zukunft. Sie wird die Zukunft prägen. Ihr Einsatz wird allgegenwärtig sein. „Ich erwarte mir noch schier unendlich viele Anwendungsmöglichkeiten“, sagt Wintersteiger. Wie wichtig wird KI in Zukunft sein?
Fragen wir doch ChatGPT. Die generierte Antwort: „KI wird in Zukunft eine zentrale Rolle in vielen Bereichen wie Medizin, Bildung und Industrie spielen. Sie wird Prozesse automatisieren und Innovationen vorantreiben, die unser tägliches Leben grundlegend verändern.“
Die KI-Strategie der Wirtschaftskammer Vorarlberg
Die Fortschritte im Bereich der KI verlaufen exponenziell. Dieser digitale Transformationsprozess stellt für viele Unternehmen eine Herausforderung dar. Als Servicestelle und Interessenvertretung will die Wirtschaftskammer Vorarlberg mit ihrer neu ausgearbeiteten KI-Strategie ihre Mitglieder dabei unterstützen, ihre Dienstleistungen, Prozesse und Anwendungen durch KI zu optimieren und zu erweitern.
Das Angebot der Wirtschaftskammer Vorarlberg fokussiert sich dabei auf folgende Schlüsselbereiche: Service, Qualifizierung, Kommunikation. Ziel dabei ist, dass die Integration von KI nicht nur als technologische Herausforderung, sondern als Chance für Effizienzsteigerung, Kostensenkungen und neue Geschäftsmodelle verstanden wird. „Unsere Mission ist es, die Wirtschaft in Vorarlberg durch die Integration von künstlicher Intelligenz zu transformieren. Wir streben danach, unseren Mitgliedern – von EPU bis hin zu Großunternehmen – das Wissen, die Ressourcen und das Netzwerk zur Verfügung zu stellen, um KI-basierte Lösungen effektiv zu entwickeln, zu implementieren und zu nutzen“, sagt André Kranz von der wirtschaftspolitischen Abteilung der WKV. „Durch die Förderung von Bildung, Innovation und Angebot wollen wir eine inklusive, nachhaltige und zukunftsorientierte Wirtschaftsregion aufbauen. Gleichzeitig soll Vorarlberg als interessanter Standort und Markt für Unternehmen, die Leistungen aus dem Bereich anbieten, positioniert werden.“ Verfolgt werden dabei kurz-, mittel- und langfristige Ziele – von der Bewusstseinsbildung in der breiten Öffentlichkeit und der Schaffung von Qualifizierungsmöglichkeiten, über gezielte Ausbildungsprogramme und Partnerschaften mit Bildungseinrichtungen bis hin zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit.
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