Matthias Sutter

*1968 in Hard, arbeitet auf dem Gebiet der experimentellen Wirtschaftsforschung und Verhaltensökonomik, ist Direktor am Max Planck Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn und lehrt an den Universitäten Köln und Innsbruck. Der Harder war davor auch an der Universität Göteborg und am European University Institute (EUI) in Florenz tätig.

Beim Blick in die Kristallkugel schneiden Frauen schlechter ab

November 2024

– und was Beförderungen damit zu tun haben.

Schon bei der Einstellung von neuen Mitarbeitern spielt neben den Leistungen in der Vergangenheit die Einschätzung über die künftige Arbeit einer Person eine entscheidende Rolle. Das „Potenzial“ für die Zukunft ist erst recht bedeutsam, wenn jemand innerhalb eines Unternehmens befördert wird. Ein amerikanisches Beispiel zeigt, warum Frauen beim Blick in die Kristallkugel benachteiligt sind.

Dieses Mal soll es um Beförderungsentscheidungen innerhalb von Unternehmen gehen und welche Rolle dabei das Geschlecht spielt. Das ist ein wichtiger Aspekt, weil ein großer Teil der Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen nicht etwa daher kommt, dass Frauen und Männer für dieselbe Arbeit unterschiedlich bezahlt werden, sondern weil sie vielfach in unterschiedlichen Funktionen arbeiten, die wiederum zu unterschiedlichen Gehältern führen. Damit aber gewinnen Entscheidungen über Beförderungen auf bestimmte Karrierestufen eine wichtige Bedeutung zur Erklärung von Gehaltsunterschieden. Deshalb lohnt es sich, diese Aspekte der Arbeitswelt genauer anzusehen.
Jemand wird in der Regel aus zwei Gründen befördert: einmal aufgrund sehr guter vergangener Leistungen und dann aufgrund der Einschätzung über das Potenzial der betreffenden Person für die Zukunft. Der erste Grund ist vergangenheitsbezogen und deshalb kann man dabei auf die Erfahrungen mit einer bestimmten Person zurückgreifen, also vergangene Leistungen und das Verhalten. Auch wenn „Leistung“ in manchen Fällen gar nicht so objektiv gemessen werden kann, wie man das gerne hätte, gibt es doch Mitarbeiterbeurteilungen aus der Vergangenheit, die eine recht gute Einschätzung ermöglichen. Der zweite Grund ist wesentlich subjektiver, weil er nach einer Prognose künftiger Leistungen verlangt, also quasi einen Blick in die Kristallkugel, wie sich jemand nach einer Beförderung weiter entwickeln und verhalten wird. Gehobenere Positionen verlangen nämlich oftmals andere Fähigkeiten und Arbeitsabläufe als in der bisherigen Position, weshalb vergangene Leistungen nicht einfach in die Zukunft fortgeschrieben werden können. Trotz dieser Unsicherheiten spielt die Einschätzung des Potenzials eine wichtige Rolle für Beförderungen. Das gilt in mehr oder weniger großem Ausmaß in den meisten Unternehmen, wenn sie über Beförderungen entscheiden.
Ein Beispiel einer großen amerikanischen Einzelhandelskette mit über 4000 Standorten in den USA illustriert, welche Bedeutung die Einschätzung des Potenzials für Beförderungen hat und dass dabei Frauen systematisch schlechter abschneiden als Männer. Alan Benson von der University of Minnesota hat gemeinsam mit Danielle Li und Kelly Shue Daten von rund 30.000 Mitarbeitern dieser Kette im Zeitraum von 2011 bis 2015 analysiert. Diese Mitarbeiter wurden jährlich auf einer dreistufigen Skala (hoch / mittel / tief) im Hinblick auf ihre Leistung im vergangenen Jahr und im Hinblick auf ihr Potenzial für das Unternehmen in der Zukunft bewertet. Bei der vergangenen Leistung wurden Frauen deutlich besser als Männer beurteilt und sie erhielten häufiger die beste Bewertung („hoch“). Dieses Muster drehte sich vollkommen um bei der Bewertung des Potenzials. Dabei bekamen Frauen die beste Bewertung um etwa 30 Prozent weniger wahrscheinlich als Männer. Die Bewertung des Potenzials spielte aber für Beförderungen eine große Rolle – statistisch sogar eine größere als die Leistungen in der Vergangenheit –, sodass Frauen aufgrund der schlechteren Bewertung beim Potenzial weniger oft befördert wurden. Ungefähr die Hälfte der um 10 bis 15 Prozent geringeren Beförderungswahrscheinlichkeit von Frauen ließ sich auf die schlechtere Potenzialbewertung zurückführen. Weniger Beförderungen erklärten wiederum einen Großteil der Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen.
Nun ließe sich die schlechtere Potenzialbewertung von Frauen dann erklären, wenn sie in der Zukunft wirklich weniger gute Leistungen erbringen würden. Die Daten von Benson und Koautoren zeigen aber, dass die Leistungen von Frauen auch in den Folgejahren besser als jene der Männer beurteilt wurden. Wenn sich so ein Muster über mehrere Jahre wiederholt, würde man erwarten können, dass die Vorgesetzten ihre Beurteilungen des Potenzials von Frauen über die Zeit anpassen würden. Leider finden Benson und Kolleginnen keinen Hinweis darauf. Im ganzen Beobachtungszeitraum wurde die vergangene Leistung von Frauen als besser, ihr Potenzial für die Zukunft aber als schlechter eingestuft. Eine andere Erklärung könnte sein, dass die schlechtere Potenzialeinschätzung daher kommt, weil Frauen häufiger in der Zukunft ausfallen (aufgrund von Betreuungspflichten) oder gar das Unternehmen verlassen. Karenzzeiten waren bei Frauen zwar relativ häufiger, aber in Summe derart selten, dass damit die Unterschiede kaum erklärbar sind. Männer hingegen verließen das Unternehmen nach einer Beförderung signifikant häufiger als Frauen (und dann war das „Potenzial“ einfach weg). Eine andere Erklärung, besteht darin, dass die Manager, die die Beurteilungen abzugeben haben, Frauen deswegen weniger Potenzial zuschreiben, weil sie diese (sehr gut arbeitenden) Frauen nicht in ihrer Abteilung als Leistungsträgerinnen verlieren wollen, indem sie befördert werden. Das nennt man in der Literatur „Talente horten“, indem man den eigenen Abteilungsmitarbeitern, die gut sind, gerade nicht zu besseren Positionen verhilft. Die Daten lassen den Schluss zu, dass dieses Motiv eine Rolle spielen könnte. Es ist aber wichtig zu betonen, dass es keine Rolle spielte, ob die übergeordneten Manager Männer oder Frauen waren. In beiden Fällen wurden Frauen beim Blick in die Glaskugel schlechter bewertet als Männer, obwohl sie beim Blick in die Vergangenheit besser abschnitten.

 

Kommentare

To prevent automated spam submissions leave this field empty.