

Energieautonomie Vorarlberg - Die Richtung stimmt noch
16 Jahre ist es her, dass die Energieautonomie Vorarlberg einstimmig von allen im Landtag vertretenen Parteien als strategisches Ziel festgesetzt wurde. Es schien ambitioniert, fast kühn. Das Monitoring 2024 macht deutlich: Vorarlberg ist auf Kurs, aber das Tempo muss steigen.
Vorarlberg verfolgt mit der Energieautonomie 2050 eines der ambitioniertesten energiepolitischen Ziele im deutschsprachigen Raum: Bis 2050 soll der gesamte Energiebedarf bilanziell ausschließlich durch erneuerbare, regional verfügbare Energieträger gedeckt werden. Die Vision ist eine leistbare, umweltverträgliche und unabhängige Energieversorgung, bei der Wasser- und Sonnenkraft sowie heimische Biomasse zentrale Rollen spielen. Die ursprüngliche Vision wurde 2021 mit dem Projekt Energieautonomie+ 2030 konkretisiert, das drei zentrale Zwischenziele festlegte, um die Umsetzung greifbarer zu machen.
Bis 2030 soll mindestens die Hälfte des gesamten Endenergiebedarfs in Vorarlberg durch erneuerbare, heimische Energieträger gedeckt werden. Das bedeutet eine deutliche Steigerung gegenüber dem Vergleichsjahr 2005, in dem der Anteil bei 36 Prozent lag. Die Treibhausgasemissionen sollen bis 2030 halbiert werden, gemessen am Stand von 2005. Dieses Ziel orientiert sich an den Vorgaben der EU und des österreichischen Klimaschutzgesetzes. Die Reduktion soll alle relevanten Sektoren umfassen, darunter Industrie, Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft, Abfallwirtschaft und F-Gase (fluorierte Treibhausgase). Ab 2030 soll der gesamte Stromverbrauch in Vorarlberg bilanziell ausschließlich aus erneuerbaren Quellen wie Wasser-, Sonnen- und Windkraft stammen.
Die Strategie sieht vor, dass die Maßnahmen und Programme flexibel an neue Rahmenbedingungen angepasst werden, um die Zielerreichung sicherzustellen. Seit dem Beschluss haben sich die Gegebenheiten dramatisch verändert. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine, eine unsichere Gasversorgung und stark gestiegene Energiepreise verschärfen die Notwendigkeit einer raschen und konsequenten Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen.
Wo steht Vorarlberg aktuell? Der jährliche Monitoringbericht zur Energieautonomie zeigt die Entwicklung des Energieverbrauchs und der Treibhausgas-Emissionen sowie die Einhaltung der Etappenziele der Energieautonomie+ 2030.
Im Zeitraum 2005 bis 2022 ist die Vorarlberger Bevölkerung um zwölf Prozent gewachsen, die Zahl der Pkw hat um 31 Prozent zugenommen, die Gesamtwohnfläche um 22 Prozent und der Produktionsindex der Wirtschaft um 80 Prozent. Trotzdem konnte der Treibhausgasausstoß um 20 Prozent reduziert werden, im Pro-Kopf-Verhältnis angesichts der gestiegenen Bevölkerungszahl sogar um 27 Prozent. Erfreulich: Der Gesamtenergieverbrauch war trotz der massiven Wachstumsdaten 2022 nur um 2,5 Prozent höher als 2005.
9467 GWh an Endenergie (exklusive Kraftstoffexport) wurde in Vorarlberg im Bilanzjahr 2022 verbraucht und damit 2,5 Prozent mehr als im Basisjahr 2005. 2022 war geprägt durch einen im Vergleich zum Vorjahr reduzierten Heizbedarf aufgrund tieferer Temperaturen und einen reduzierten Dieselabsatz. Größter Verbrauchssektor von Energie war mit einem Anteil von 49 Prozent der Sektor Gebäude, gefolgt von der Industrie (28 Prozent) und dem Inlandsverkehr (21 Prozent).
Der Energieverbrauch konnte zu 43 Prozent aus heimischen Energiequellen gedeckt werden. Das Etappenziel einer Steigerung des Anteils heimischer Energiequellen auf 48 Prozent im Jahr 2022 wurde nicht erreicht.
Der Ausstoß von Treibhausgasen nahm gegenüber 2005 um 20 Prozent ab. Die bedeutendsten Treibhausgas-Emissionen im aktuellen Jahr (2022) waren die Sektoren Verkehr (43 Prozent), Gebäude (19 Prozent) und Industrie (18 Prozent).
Rund 76 Prozent der Netzabgabe elektrischer Energie konnten bilanziell aus heimischen Erzeugungsanlagen v.a. aus Wasserkraftanlagen gedeckt werden. Der Zielwert einer Eigendeckung von 88 Prozent im Jahr 2022 wurde trotz Rekordzuwachs bei der Photovoltaik aufgrund einer deutlich unterdurchschnittlichen Stromproduktion aus Wasserkraft verfehlt.
Das Monitoring 2024 bescheinigt Vorarlberg Fortschritte bei fast allen Kernzielen, aber auch Handlungsbedarf: Besonders im Verkehrssektor sind die Emissionen trotz massiver Investitionen in den öffentlichen Verkehr und die E-Mobilität weniger stark gesunken als erhofft.
Für Martin Reis, der seit Oktober 2023 Geschäftsführer des Energieinstituts Vorarlberg ist, wird es darauf ankommen, wie die neuen Technologien in die Breite gebracht werden können. Die gesamte Energietechnik werde in Richtung Strom gehen, „weil wir da grundsätzlich unabhängiger sind.“ Und sie ist klar effizienter. „Ein Elektroauto braucht nur ein Viertel Energie von einem Verbrenner. Eine Wärmepumpe braucht als Betriebsenergie maximal ein Drittel der Energie, die eine normale Heizung benötigt. Das heißt, wir haben den Effizienzgewinn und wir haben die Chance, dass der Energieträger potenziell heimisch erzeugbar ist“, sagt Reis.
Im Energiebereich gebe es drei Ziele: Die Energie sollte möglichst wirtschaftlich sein, heißt günstig verfügbar. Sie sollte möglichst krisensicher, resilient sein. Und drittens, sie sollte auch ökologisch verträglich sein.
Bedenken äußert Reis bezüglich des bürokratischen Fördersystems der Bundesregierung etwa für Photovoltaikanlagen. Eine Mehrwertsteuerbefreiung wäre für die Branche wie für die Kunden viel komfortabler. Bis 2030 soll die Stromversorgung im Land zu 100 Prozent mit erneuerbaren Energieträgern abgedeckt werden. Die Nutzung vor allem großer Dachflächen zur Stromerzeugung aus Photovoltaik ist dafür unverzichtbar.
Während die Wärmepumpe als nachhaltige Technologie ihren Siegeszug fortsetzt, bleibt die politische Landschaft in Sachen Förderungen und langfristiger Klimastrategien nebulös. Installateure fürchten massive Auftragseinbrüche und den Verlust tausender Arbeitsplätze. Dabei sind in Vorarlberg immer noch 37.171 Gasheizungen und 23.644 Ölheizungen in Verwendung.
Skurril sei dabei, „dass man auf der einen Seite die Zielsetzung beibehalten, und auf der anderen Seite die Mittel genommen hat, um diese Zielsetzung zu erreichen“, betont der Geschäftsführer des Energieinstituts Vorarlberg. Das birgt auf Dauer eine gewisse Gefahr für das Ziel Energieautonomie 2050. „Das Ziel 2050 schafft man nur, wenn die Gesamtrahmenbedingungen stimmen.“
Die Herausforderungen für die Zukunft sieht er im Umbau der Infrastruktur. Das bislang ausgebaute Stromnetz in Vorarlberg erweist sich als große Stärke, weil viel Regelenergie geliefert werden kann. Auf das Speichernetz wird es künftig ankommen.
Auch das Thema Finanzierung habe höchste Relevanz: „Wir dürfen dieses Ziel nicht aus den Augen verlieren und müssen dementsprechend für diese Transformation auch die Ressourcen bereitstellen. Um die Wertschöpfung im Lande zu halten, gilt es den weiteren Stromnetzausbau zu forcieren, aber auch zu finanzieren“, erklärt Reis. Letztlich gehe es um das Aufbauen von Vertrauen in neue Technologien und um einen Umstieg, der wirtschaftlich und sozial verträglich ist.
Investieren, modernisieren, dekarbonisieren
Vorarlberger Unternehmen stehen vor der Herausforderung, all diese Ziele in ihre betrieblichen Prozesse zu integrieren. Unternehmen müssen dafür ihre Geschäftsmodelle überdenken, nachhaltige Produktionsprozesse einführen und den Verbrauch von Rohstoffen drastisch reduzieren. Dabei spielt die Dekarbonisierung – also die Umstellung auf CO2-arme und letztlich CO2-freie Technologien – eine zentrale Rolle.
Laut Monitoringbericht hat die Industrie im Jahr 2022 rund 2666 GWh an Endenergie verbraucht. Das sind zwar um 17 Prozent mehr als 2005, aber der Produktionsindex stieg in diesem Zeitraum um 80 Prozent. Damit konnte der Energieverbrauch pro Produktionsoutput auf 65 Prozent des Ausgangswerts 2005 gesenkt werden. Die Energieintensität pro Wirtschaftsleistung hat im Zeitraum 2005-2021 um 50 Prozent abgenommen.
Dies zeigt, dass die Vorarlberger Unternehmen bei der Umsetzung der Energieautonomie-Ziele entschlossen voranschreiten. Sie investieren in neue Technologien. Gepaart mit guten Effizienz- und Monitoringmaßnahmen gelingen ihnen oftmals starke Rückgänge bei den CO2-Emissionen. Besonders sichtbar wird dieser Trend im Rahmen des Ökoprofit-Programms, das derzeit rund 220 Betriebe motiviert, aktiv an den Energieautonomie-Pfaden mitzuwirken. Die Unternehmen verfolgen zunehmend systematische Dekarbonisierungsstrategien und setzen bewusst auf eine kontinuierliche Reduktion ihrer Emissionen.
Elektrifizierung als Schlüsselstrategie
Ein besonders dynamischer Trend ist die Elektrifizierung: Immer mehr Betriebe verabschieden sich von fossilen Energieträgern wie Gas, Öl, Benzin und Diesel.
In der Mobilität etwa nehmen Elektrofahrzeuge eine immer zentralere Rolle ein – sowohl im Pkw- und Busbereich als auch zunehmend bei Lkw. Vorarlberger Unternehmen bauen ihre Elektroflotten konsequent aus und reduzieren damit ihren CO2-Fußabdruck nachhaltig.
Doch der Umbruch geht weit über die Mobilität hinaus: Auch in der Raumwär me und in industriellen Produktionsprozessen setzt sich die Elektrifizierung durch. Gas- und ölbetriebene Anlagen werden zunehmend durch elektrische, deutlich effizientere Alternativen ersetzt. Insbesondere der Einsatz von Wärmepumpen revolutioniert die industrielle Energieversorgung: Durch einen vergleichsweise geringen Energiebedarf bieten sie enorme Effizienzvorteile und damit auch wirtschaftliche Anreize.
Die Elektrifizierungsstrategie entfaltet in Vorarlberg eine besonders starke Wirkung, weil der regionale Strommix bereits heute einen hohen Anteil erneuerbarer Energien aufweist.
Unternehmen als Gamechanger
Die treibende Kraft dieser Transformation sind die Betriebe selbst. Durch ihre Investitionen stimulieren sie Innovation, beschleunigen die Marktfähigkeit neuer Technologien und tragen so entscheidend zur Erreichung der Klimaziele bei.
Die ambitionierten Ziele der Energieautonomie erscheinen angesichts dieser Dynamik realistisch – zumal die technologischen Fortschritte in den Bereichen Elektrifizierung und Effizienz in den kommenden Jahren voraussichtlich exponentiell zunehmen werden. In den vergangenen drei bis fünf Jahren konnten in vielen Betrieben bereits CO2-Reduktionen zwischen 30 und 80 Prozent erzielt werden.
Zukünftig könnten vor allem der verstärkte Einsatz von Großwärmepumpen in der Industrie sowie die Elektrifizierung von Nutzfahrzeugflotten weitere große Sprünge ermöglichen. Damit könnte die Wirtschaft nicht nur Mitgestalter, sondern regelrecht Gamechanger der Energieautonomie werden – vorausgesetzt, die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bleiben stabil und sorgen für Planungssicherheit.
Vorreiter mit Signalwirkung
Viele namhafte Unternehmen in Vorarlberg zeigen bereits heute, wie der Wandel gelingen kann. Getzner, Mondelez, 11er, Zumtobel, Tridonic, Rupp Foods und die Offsetdruckerei zählen zu den Vorreitern. Die ersten Groß- Wärmepumpen sind in Vorarlberg nun im Einsatz und weitere sind bereits geplant. Beim Schokoladenhersteller Mondelez International in Bludenz können mittels Großwärmepumpen bis zu 65 Prozent vom Gasverbrauch eingespart werden. Seit Herbst 2024 wird das für die Produktionsprozesse benötigte Warmwasser mit zwei modernen Großwärmepumpen mit einer Leistung von jeweils rund 750 kW erzeugt. Die smarte Nutzung der Abwärme aus den bestehenden Produktionsprozessen lässt die Großwärmepumpen dabei äußerst energieeffizient arbeiten. Während sich der Gasverbrauch um 65 Prozent reduziert hat und man hier nun vielfach auf elektrische Energie setzt, kam es aber dennoch nicht zu einer Erhöhung des Stromverbrauchs – an diesem Leuchtturmprojekt, welches von Mondelez International in Kooperation mit der Wagner GmbH und weiteren lokalen Partnern umgesetzt wurde, zeigt sich die Effizienz und das große Potential der Wärmepumpentechnologie.
Durch innovative Haustechniklösungen konnte das Unternehmen Wagner den Gasverbrauch der Vorarlberger Industrie um 1,3 Prozent senken.
Die Frastanzer Firma 11er recyclieren Reste aus der Kartoffelverarbeitung zu Biogas, mit dem die Lkw CO2-neutral die frischen Kartoffeln holen.
Doch nicht nur Großbetriebe tragen Verantwortung: Auch viele kleinere Handwerksunternehmen, Händler und Dienstleister leisten wichtige Beiträge und erzielen in Summe bemerkenswerte Effekte. Bei Tomaselli Gabriel Bau waren bereits 2017 15 Elektroautos in der Flotte und die Bauleiter CO2-neutral von Baustelle zu Baustelle unterwegs. In Schwarzach hat der Traditionsbetrieb Rieger Orgelbau den Montageturm mit Photovoltaik-Flächen verkleidet. Das liefert 50 Prozent vom Strombedarf. 2016 wurde im Unternehmen taxi4you das erste E-Taxi angeschafft, 2022 knackte die Taxiflotte von Manuela Kopf die Millionen-Grenze bei den elektrisch zurückgelegten Taxikilometern. Weitere Vorbildprojekte, wie der „Klimabeton” der Unternehmen Ilg und Kopf, aber auch die Rohstoff-Recycling-Anlage von Rhomberg oder die Wiederverwendung von E-Auto Batterien durch die e.battery systems AG zeigen auf, wie vor allem das Denken in Kreisläufen enormes Potenzial für den Wirtschaftsstandort mit sich bringt.
Ein besonderes Plus in Vorarlberg: Die Wirtschaft ist stark von familiengeführten Betrieben geprägt. Diese zeichnen sich durch langfristiges Denken, hohe Investitionsbereitschaft und großes Engagement aus – oft auch dann, wenn sich Investitionen nicht sofort amortisieren. Dieses unternehmerische Mindset bildet das Fundament dafür, dass die Energieautonomie mehr als nur ein politisches Ziel ist – sie wird in der Vorarlberger Wirtschaft Tag für Tag gelebt.
Die politische Debatte in Vorarlberg war in den vergangenen Jahren immer wieder von Auseinandersetzungen über das „Wie“ geprägt – nicht aber über das „Ob“. Von den Grünen bis zur ÖVP herrscht Einigkeit darüber, dass Energieautonomie notwendig ist. Kontroversen gibt es eher bei Detailfragen, etwa über die Rolle von Großprojekten im Bereich der Wasserkraft oder die künftige Nutzung von Wasserstofftechnologie.
Maßgeblich für die Transformation ist aus Sicht der Wirtschaftskammer ein technologieoffener Ansatz. Es soll sichergestellt werden, dass Unternehmen Zugang zu den neuesten Technologien erhalten, um ihre Produktionsprozesse nachhaltiger zu gestalten.
Herausforderungen und Ausblick
Die vollständige Stromautonomie aus Erneuerbaren bis 2030 ist ambitioniert, eine Deckungslücke von 8–14 Prozent bleibt laut Szenarien, kann aber durch weiteren PV- und Wasserkraftausbau sowie Effizienzmaßnahmen verringert werden. Vor allem die Speicherung von Strom bleibt eine der größten Herausforderungen, da die Erzeugung saisonal schwankt und Lastspitzen abgedeckt werden müssen. Im Verkehrssektor und bei Gebäuden sind weitere Anstrengungen zur Reduktion fossiler Energieträger erforderlich. Die Energieautonomie 2050 bleibt ein ehrgeiziges, aber erreichbares Ziel, sofern die Anstrengungen in allen Sektoren verstärkt werden und technologische Herausforderungen wie die Stromspeicherung gelöst werden. Ökologisch leistet Vorarlberg mit dem konsequenten Ausbau erneuerbarer Energien und der Steigerung der Energieeffizienz einen aktiven Beitrag zum Klimaschutz. Wirtschaftlich stärkt die Energieautonomie die regionale Wertschöpfung, sichert Arbeitsplätze in innovativen Branchen und schützt Unternehmen vor volatilen internationalen Energiemärkten. Gleichzeitig erhöht die Eigenversorgung die Krisensicherheit – Vorarlberg wird unabhängiger von externen Energieimporten und kann Versorgungskrisen besser begegnen. Die Energieautonomie ist somit nicht nur ein ökologisches Ziel, sondern auch eine wirtschaftliche Chance und eine Investition in die Resilienz unserer Region.
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