
Ein Bananenschädling als „illegaler Grenzgänger“
Der unbeabsichtigte Import von Giftspinnen als „blinde Passagiere“ mittels Zierpflanzen ist legendär. Selbst eine Sammlung von Urban Legends, der Wandersagen der Jetztzeit, wurde nach der (angeblichen) Fundgeschichte solch eines versteckten Einwanderers benannt. Wie oft aber tatsächlich Gifttiere gemeinsam mit exotischen Pflanzen verfrachtet werden, steht in den Sternen. Wurden derartige Berichte einst mündlich weitererzählt („ich kenne jemanden, der jemanden kennt“), so erlangen sie heute „dank“ der sozialen Medien innerhalb kürzester Zeit weiteste Verbreitung. Wenn dann noch ein Kleinkünstler erzählt, dass nach einem Spinnenfund nun tausende Männer in den Supermärkten Bananenkisten durchwühlen, weil das Spinnengift eine Dauererektion auslösen soll, so ist gar zu befürchten, dass der eine oder andere Mann sich tatsächlich auf die Suche begibt (und dabei ausblendet, dass das Gift der Bananenspinne tödlich sein kann).
Glücklicherweise gelangen auf diesem Weg nur äußerst selten Gifttiere in unsere Supermärkte. Doch hin und wieder schaffen es Exoten dennoch unbemerkt bis ins Verkaufsregal – und es sind nicht immer nur Spinnen. Ende August wurde der inatura ein merkwürdiges gelbes Gebilde auf einer Bananenschale zur Bestimmung vorgelegt. Des Rätsels Lösung befand sich im Inneren des Gebildes: Es war die Puppe eines Schmetterlings, geschützt in ihrem Kokon. Rasch war auch klar, welcher Gattung der Falter angehören könnte. Doch die Art blieb vorerst im Dunkeln: Kokon und Puppenhülle liefern so gut wie keine Anhaltspunkte für eine korrekte Benennung. In Fachkreisen wird daher empfohlen, für die Bestimmung unbedingt den Schlupf des Falters abzuwarten. Aber auch als geschlechtsreife Tiere sind die beiden möglichen Kandidaten nur schwer voneinander zu unterscheiden. Was tun? Noch vor wenigen Jahren wäre die Recherche an dieser Stelle beendet gewesen. In den letzten beiden Jahrzehnten hat sich jedoch ein neues Hilfsmittel für die Tier-, Pflanzen- und Pilzbestimmung etabliert: Der „genetische Fingerabdruck“, wissenschaftlich DNA-Barcoding genannt. Untersucht wird dabei ein definierter Abschnitt in der Erbsubstanz der Mitochondrien, der „Kraftwerke der Zellen“. Die Anordnung der Bausteine in diesem DNA-Abschnitt ergibt ein arttypisches Muster. Es wird mittels farbiger Striche veranschaulicht, was wiederum den Strichcodes auf Verpackungen ähnelt. Internationale Datenbanken archivieren diese Barcodes und stellen sie für Vergleiche zur Verfügung. Das Vergleichen selbst erledigt der Computer. Findet sich nun ein passender Barcode in einer dieser Datenbanken, so ist im Idealfall auch der Name des zugehörigen Lebewesens gefunden.
Die Seltenheit des Fundes gepaart mit Neugierde ließ die inatura zu diesem Mittel greifen, um mehr über den exotischen Importfalter zu erfahren. Der erste Versuch war jedoch nicht von Erfolg gekrönt: Zur Analyse übermittelt wurde ein Stück des Kokons. Aber dieses enthielt zu wenig genetisches Material des Falters. Der einzige verwertbare DNA-Barcode verwies auf eine Schmeißfliege, auf eine Art, die als Folge des internationalen Warenverkehrs inzwischen weltweit verbreitet ist. Im Vergleich mit den Referenzdaten entsprach das Muster aber jenem von südamerikanischen Tieren. So ist zu vermuten, dass ein Fliegenweibchen bereits im Herkunftsland seine Eier auf dem Kokon abgelegt hat, und eine Kontamination in Österreich erscheint unwahrscheinlich. Erst als ein Fragment der Puppenhülle analysiert wurde, konnte auch ein Name gefunden werden: Mit einer Übereinstimmung von 99,68 Prozent verweist der Barcode auf die Art Antichloris eriphia aus der Unterfamilie der Bärenspinner. Jetzt musste nur noch die Herkunft von Banane und Falter geklärt werden. Bei einer Nachschau im Supermarkt fanden sich dort ausschließlich Bananenkisten aus Kolumbien.
Ursprünglich aus Surinam beschrieben, ist Antichloris eriphia in Südamerika von Ecuador und Kolumbien bis Bolivien, Paraguay und Südost-Brasilien beheimatet. In ihrer Heimat ist sie als Schädling in Bananenplantagen gefürchtet. Wie bei den Bärenspinnern üblich, trägt die Raupe Büschel von langen, weichen, leicht grauen bis weißen Haaren. Erst im letzten Raupenstadium vollzieht sich ein Wechsel zu einer rötlich-braunen Behaarung. Es ist dieses pelzige Erscheinungsbild, das den Bärenspinnern zu ihrem Populärnamen verholfen hat. Die Raupe selbst ist weiß, wobei manchmal das gefressene Pflanzenmaterial grün durchschimmert. Die Verpuppung im hellgelben, weichen Kokon erfolgt an noch unreifen Bananen, aber auch an Indischem Blumenrohr, Wegerichgewächsen sowie an Heliconia latispatha. Der geschlechtsreife Falter fällt durch seine schwarzgrüne, metallisch schillernde Färbung auf.
Seit 1966 wird in den Niederlanden – gleich wie in vielen anderen Ländern der „Alten Welt“ – die gelegentliche Einschleppung mit Bananen dokumentiert. Wie oft dies tatsächlich geschieht, liegt im Dunkeln: Die Bedeutung des Kokons wird wohl meist nicht erkannt, und er wird nach Kauf und Verzehr mit der Bananenschale entsorgt. Dass Bananen mit Kokons bereits im Importlager als „nicht verkaufswürdig“ aussortiert werden, ist ebenfalls denkbar. Und nicht zuletzt wird der Falter oft mit seiner „Zwillingsart“ Antichloris viridis verwechselt, die vergleichsweise häufiger den Weg über den Atlantik bis in die europäischen Geschäfte findet. Können sich die Falter am Ankunftsort bisweilen auch ungestört entwickeln, so sind die hierzulande geschlüpften Schmetterlinge dennoch nicht überlebensfähig. Antichloris eriphia ist im viel zu kühlen Europa nicht etabliert, und daran wird auch der Klimawandel nichts ändern.







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