
20 Jahre in der EU – das ambivalente Gefühl von Europa
Jubel, Trubel, Heiterkeit sind anlässlich des 20. Jahrestages des EU-Beitritts Österreichs nicht angesagt. Selbst ökonomische Erfolgsmeldungen lassen keine Jubelstimmung aufkommen. Warum das so ist, weiß unsere Staatsführung wohl am besten.
Paul David Hewson, der sich selbst Bono Vox nennt, lateinisch für „gute Stimme“, brachte es vor der letzten Europa-Wahl auf den Punkt: „Europa ist mehr als ein Gedanke. Europa muss zu einem Gefühl werden“, verkündete der Musiker der Rockband U2 in der Manier des glühenden Europa-Fans. Manchem Menschen in unserem Land wird jedoch bei der Abfrage seines Gefühlszustands zum Thema Europa erst einmal ganz anders. Dass die EU bei den Österreicherinnen und Österreichern auch nach 20 Jahren Mitgliedschaft für Verstimmung sorgt, ist eine leidige Tatsache. Eine aktuelle Umfrage der Gesellschaft für Europapolitik zeigt zwar eine klare Mehrheit von 67 Prozent, die einen Verbleib in der EU befürwortet. Doch gleichzeitig ist für eine eindeutige Mehrheit von 59 Prozent die Union „fern“, für gar 93 Prozent „kompliziert“. Viele Gründe sind dafür maßgeblich, dass die öffentliche Meinung in Österreich wenig EU-Begeisterung zeigt. Institutionenvielfalt sowie die verschiedenen Ebenen und Akteure machen es schwer, Entscheidungsprozesse transparent und verständlich zu machen. Die Europäische Union polarisiert also nach wie vor.
Versagen der heimischen Politik
Schuld daran hat vor allem die österreichische Politik. Ihr ist es in der Vergangenheit nicht gelungen, ein freundlicheres Bild von dieser für unser Land so profitablen Solidargemeinschaft zu zeichnen. Zu groß waren seit jeher die Verlockungen, Erfolge in Brüssel als heimische Errungenschaften zu verkünden und das eigene Versagen der EU in die Schuhe zu schieben. Man nahm und nimmt weiterhin ganz offensichtlich in Kauf, dass dadurch die Europaskepsis eher weiter ansteigt statt zurückzugehen. „Die Regierung hat die Chancen, die in der Aufbruchstimmung von 1994 verborgen waren, nicht genutzt. Zu sehr ist die EU Teil der ,anderen‘ geblieben – und nicht Teil von ,uns‘ geworden“, schreibt der Politikwissenschafter Anton Pelinka im Nachrichtenmagazin „profil“.
Fakten sprechen ein klare Sprache
Faktisch gesehen waren die zwei letzten Jahrzehnte für Österreich und besonders für Vorarlberg eine ökonomische Erfolgsgeschichte. Unser Land hat sich vom einstigen Inseldasein verabschiedet, verkrustete Strukturen wurden aufgebrochen, Monopole abgeschafft sowie Liberalisierung und Privatisierung beschleunigt. Reisefreiheit, das Bezahlen mit einer Währung in 19 Staaten oder die Möglichkeit, in einem anderen Land zu studieren, zu arbeiten oder sich als Betrieb niederzulassen – all das ist gelebter Alltag, für die jüngere Generation sogar eine Selbstverständlichkeit.
Auch wenn Österreichs Nettobeitrag 2012 erstmals seit 1994 die Milliardenschwelle überschritten hat, ergibt die EU-Mitgliedschaft für Vorarlberg eine ausgeglichene Bilanz. Die Einzahlungen – Land und Gemeinden – in den EU-Haushalt betrugen im Jahr 2012 34,4 Millionen Euro und im Jahr 2013 35,6 Millionen Euro. Dagegen flossen in der
Förderperiode 2007–2013 über EU-Förderprogramme im Durchschnitt jährlich rund 36 Millionen zurück. Vorarlberg hat es also als wohlhabende Region geschafft, Nettoempfänger zu sein.
Um über 200 Prozent haben die heimischen Exporte zuge-nommen. Jeder Euro, den wir netto nach Brüssel zahlen, kommt um ein Vielfaches zurück, denn mehr als die Hälfte der Unternehmen ist heute auf dem europäischen Binnenmarkt aktiv, was zu merklich mehr Beschäftigung geführt hat. Österreich braucht auch den Vergleich mit der Schweiz, die von EU-Kritikern immer wieder als Vorbild genannt wird, nicht zu scheuen, ganz im Gegenteil – hat sich doch unser Land gegenüber dem Nachbarn seit dem EU-Beitritt einen jährlichen Wachstumsvorsprung von 0,8 Prozentpunkten erarbeitet, das sind 1,6 Milliarden Euro zusätzliche Wirtschaftsleistung pro Jahr. Allein der Wegfall von Zollgrenzen und -formalitäten erspart der österreichischen Volkswirtschaft jährlich 1,7 bis 4,3 Milliarden Euro. Die vergangenen 20 Jahre ermöglichten eine um 63 Milliarden Euro höhere Wertschöpfung. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung weist Österreich daher als einen der größten Gewinner des EU-Binnenmarkts aus.
Vertiefen statt nur erweitern
Strukturelle Defizite der EU lassen sich dennoch nicht wegdiskutieren. Der europäische Einigungsprozess ist in den letzten zwei Jahrzehnten im Grunde allzu stark unter technokratischen Aspekten betrieben worden. Erweiterung galt fast schon als Selbstzweck. Die Vertiefung ist dagegen zu kurz gekommen. Eine noch engere Zusammenarbeit innerhalb der EU ist aber unerlässlich, um sicherzustellen, dass sich Krisen wie die erlebten nicht wiederholen. Europa muss zudem produktiver und wettbewerbsfähiger werden und rasch Antworten auf die Bürokratie und die nach wie vor eklatant hohe Jugen-darbeitslosigkeit finden.
Bedenken wir bei all der Kritik, die wir selbst Richtung Brüssel & Co. schleudern, dass es immer auch um Friedenssicherung und damit Lebensqualität ging. Das allein sollte schon für ein gutes Europa-Gefühl reichen. Wie meinte der australische Historiker Christopher Clark in seiner Eröffnungsrede bei den Salzburger Festspielen im Sommer 2014: „Die EU hat zurzeit vor allem innerhalb Europas eine schlechte Presse. Sie und ihre Werte werden auch innerhalb der Union von populistischen Bewegungen infrage gestellt. Aber wer die EU wie ich von außerhalb betrachtet – Australien hat noch nicht die Mitgliedschaft beantragt! –, sieht in ihr einen Akt transnationalen politischen Willens, der zu den größten Errungenschaften der Geschichte der Menschheit gehört.“
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