Sabine Barbisch

Brexit – Fakten und Szenarien

Juli 2016

Knapp 52 Prozent der britischen Wähler haben für den Brexit, also den Austritt des Landes aus der Europäischen Union, gestimmt. Die ersten Folgen: Das Pfund verlor dramatisch an Wert, die Aktienkurse stürzten weltweit ab, Premier David Cameron kündigte seinen Rücktritt an, Politiker aus Schottland und Nordirland wollen in der EU bleiben und Rufe nach einem erneuten Referendum werden laut. Die mittel- und langfristigen Folgen dieser Entscheidung sind angesichts der global vernetzten Wirtschaft aber schwer absehbar.

Großbritannien ist für Vorarlberg in den vergangenen Jahren ein immer wichtigerer, mittlerweile der sechstwichtigste Handelspartner geworden. Das Exportvolumen lag im Jahr 2015 bei rund 310 Millionen Euro. Für Österreich ist der britische Markt der achtwichtigste. Dabei waren Steigerungen sowohl bei den Warenexporten wie auch im Tourismus zu verzeichnen. Welche Folgen das Brexit-Referendum auf politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene haben wird, ist im Detail schwer vorherzusagen. Das unterstreicht auch Christian Kesberg, österreichischer Wirtschaftsdelegierter in London: „Entscheidend werden das Ausmaß des zukünftigen Zugangs der Briten zum Binnenmarkt und die wirtschaftspolitischen Weichenstellungen in Großbritannien sein.“ Für die negativen volkswirtschaftlichen Folgen eines Brexit gibt es laut Kesberg seit Langem Modellrechnungen: „Die Economist Intelligence Unit (EIU) prognostiziert für 2017 eine Kontraktion der britischen Volkswirtschaft um etwa ein Prozent und anämisches Wachstum unter einem Prozent bis 2020. Auch langfristig, bis 2030, dürfte die Wachstumskurve beträchtlich flacher ausfallen als bei einem Verbleib der Briten in der Europäischen Union. In einer Blitzumfrage unter Leitern österreichischer Niederlassungen reagieren die Unternehmen laut dem Wirtschaftsdelegierten in London „überraschend gelassen auf den Brexit“. Problematisch werden vorerst nur die bevorstehende Volatilität des Wechselkurses gesehen und dass verunsicherte Kunden Planungsprozesse erschweren. „Sonst heißt es ‚business as usual‘, abwarten, sehen, was tatsächlich passiert, und sich dann auf die neue Situation einstellen. Viele heimische Lieferanten wissen, dass sie in Nischensegmenten tätig sind, wo sie zwar von der Nachfrageschwäche betroffen sein werden, aber grundsätzlich nicht substituiert werden können“, erklärt Kesberg.

  • Großbritannien verliert seinen größten Handelspartner – die Europäische Union: In den vergangenen 18 Monaten gingen zwischen 38 und 48 Prozent der weltweiten britischen Exporte in die EU. Zwischen 47 und 55 Prozent der weltweiten Importe stammen aus der EU. Großbritannien konnte durch den Binnenmarkt den Handel mit Waren um 55 Prozent steigern. LSE rechnet mit einem Rückgang von bis zu 25 Prozent im Außenhandel des Vereinigten Königreichs.
  • Ausländische Direktinvestitionen sind gefährdet: Es droht die Abwanderung von Investoren, weil der britische Markt für Nicht-EU-Unternehmen, für die Großbritannien bisher ein Sprungbrett in den europäischen Markt war, weniger interessant wird.
  • Je nach dem Abkommen mit der EU ist die Wiedereinführung von Zöllen und Ursprungszeugnissen denkbar.
  • Mit einem vollzogenen Brexit würde die Europäische Union die zweitgrößte Volkswirtschaft und den viertgrößten Nettozahler der Gemeinschaft verlieren. Der EU-Binnenmarkt würde um 17,6 Prozent schrumpfen (Anteil des BIPs Großbritanniens am EU-BIP). Folglich würde sich auch der Anteil der EU am globalen BIP verkleinern – von 17 auf 14,6 Prozent. Auch der EU-Anteil an globalen Exporten würde von 33,9 auf 30,3 Prozent zurückgehen.
  • Die verbleibenden 27 EU-Mitgliedstaaten müssen anteilsmäßig für den Einnahmenausfall aufkommen. Das ifo-Institut rechnet für Österreich mit zusätzlichen 0,277 Milliarden Euro an fälligen Nettobeiträgen; 2,5 Milliarden Euro wären es für Deutschland.
  • Das ifo-Instut schätzt weiters, dass die unmittelbaren Auswirkungen des Brexit auf Österreich zwar deutlich spürbar, aber nicht dramatisch verlaufen werden: Es rechnet mit einem Rückgang von 0,18 Prozent beim BIP. Da viele heimische Unternehmer in hochspezialisierten Nischen tätig sind, kann man diese aber nur schwer durch neue Lieferanten ersetzen.
  • Großbritannien ist für Vorarlberg der sechstwichtigste und für Österreich der achtwichtigste Handelspartner: Aus Österreich werden Waren im Wert von fast vier Milliarden Euro und Dienstleistungen im Wert von fast zwei Milliarden Euro ins Vereinigte Königreich exportiert.
  • Die Tourismusbranche wäre besonders stark vom britischen Austritt aus der EU und der Abwertung des Pfunds betroffen. Im vergangenen Jahr haben über 800.000 Briten 3.549.152 Nächtigungen in Österreich getätigt (+5,5 Prozent).
  • Der Brexit könnte Arbeitsplätze gefährden: 111 Auslandstöchter österreichischer Unternehmen beschäftigen 32.600 Mitarbeiter im Vereinigten Königreich. Umgekehrt beschäftigen britische Unternehmen in Österreich über 12.000 Mitarbeiter (Stand 2013).
  • Österreichische Investitionen in Großbritannien könnten einbrechen.Das Volumen der österreichischen Direktinvestitionen hatte sich von 2006 auf 2014 mehr als verdoppelt – auf derzeit 6,4 Milliarden Euro.

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