Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Ein ganz entscheidender Zeitraum“

Juni 2020

Stefan Schaltegger (56), Professor für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Nachhaltigkeitsmanagement, und Leiter des MBA Sustainability Management an der Leuphana Universität Lüneburg, sagt im Interview: „Es geht um Geschäfts- und Unternehmenschancen.“

Ist Nachhaltigkeit mehr als nur ein kurz­fristiger Trend, eine kurzfristige Mode? 
Nachhaltigkeit prägt und beeinflusst seit Jahrzehnten die Wirtschaft, die Wissenschaften, die Gesellschaft und die Politik. Im Übrigen ist es wichtig, zu verstehen, dass der Begriff der Nachhaltigkeit sehr viele Teilbereiche umfasst, von ökologischen Themen wie dem Klimawandel bis hin zu sozialen Themen wie den schlechten Arbeitsbedingungen. Diese Teilthemen haben unterschiedliche Aufmerksamkeiten, hängen aber zusammen. Und dieser Zusammenhang ist das, was Nachhaltigkeit letztlich ausmacht. Sie wird an Bedeutung nicht verlieren und zwar so lange nicht, als diese großen Nachhaltigkeitsprobleme nicht gelöst sind.

Müssen Unternehmen heute denn zwingend auf Nachhaltigkeit setzen?
Unternehmen müssen nicht auf Nachhaltigkeit setzen, sie müssen Nachhaltigkeit allerdings berücksichtigen – sofern sie denn auch ein gutes Management haben. Denn Nachhaltigkeitsthemen haben heute einen derart großen Einfluss auf den Wandel von Märkten, auf die Veränderung von Produkten und Dienstleistungen, dass eine Nichtberücksichtigung einfach riskant wäre. Manager, die Nachhaltigkeit nicht berücksichtigen, sind meines Erachtens riskante Manager. Wer Nachhaltigkeit ignoriert, gefährdet seine wirtschaftliche Basis. Es wäre fatal, das Themengebiet zu unterschätzen. Denn Fälle wie der Brand der Bohrinsel ‚Deep Water Horizon‘ oder ‚Dieselgate‘ von VW zeigen, dass selbst die allergrößten Unternehmen in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten kommen können, wenn sie Nachhaltigkeitsthemen nicht genügend berücksichtigen. 

Dem Begriff der Nachhaltigkeit haftet aber trotzdem, zumindest für bestimmte Wirtschaftskreise, immer noch etwas latent Wirtschaftsfeindliches an ...
Ja. Dieses Denken ist teilweise noch vorhanden, allerdings ist es veraltet. Zwischen Nachhaltigkeitsthemen und dem wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens besteht zwar kein automatischer Zusammenhang, weder positiv noch negativ. Wenn man Nachhaltigkeit, plakativ gesprochen, allerdings geschickt und nicht dumm angeht, dann ist das etwas ganz Anderes. Ein Beispiel: Wenn sie Abwasser haben, können sie ihrer Produktion einfach nur eine Kläranlage hinzufügen, das verursacht dann nur Kosten. Wenn sie die Produktion dagegen wassersparend oder sogar in einem geschlossenen Wasserkreislauf führen, dann reduzieren sie ihre Kosten. Und das kennzeichnet gute Nachhaltigkeitsmanager: Wege zu suchen und Wege zu finden, wie man durch besondere Berücksichtigung sozialer und ökologischer Aspekte die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens erhöht und neue Markt- und Geschäftschancen entwickelt.

Nachhaltigkeit, klug durchdacht und richtig verstanden, kann also zu einem unternehmerischen Mehrerfolg führen?
Ja! Und dafür gibt es auch viele Beispiele. Es sind ganz viele Nachhaltigkeits-Innovationen im Gang, in vielen Branchen. Die sind zwar nicht überall sofort wirtschaftlich, aber die Unternehmen testen diese neuen Modelle. Es wird viel ausprobiert, es werden Prototypen und Experimente gemacht, um herauszufinden, ob nachhaltigere Angebote dann auch wirtschaftlich sind und das Unternehmen stärken. Da geht es um Geschäfts- und Unternehmenschancen. Tchibo testet aktuell Sharing-Ansätze; das Unternehmen vermietet unter dem Motto ‚Schönes. Nachhaltig. Mieten‘ Babykleidung, Spielzeug und anderes, das dann wieder zurückgebracht, gereinigt, repariert und weitervermietet oder recycelt wird. Unternehmen kaufen von Xerox, Konica Minolta und anderen die großen Drucker und Kopierer nicht mehr, sie bekommen die Geräte ins Büro gestellt und zahlen nur noch pro Kopie. Gerade in Österreich gibt es viele Start-ups und viele Familienunternehmen, wie etwa Zotter-Schokolade, deren Unternehmensexistenzen und deren Erfolg darauf beruhen, dass sie Nachhaltigkeit besonders gut berücksichtigen. Und das ist in immer mehr Geschäftsfeldern, in immer mehr Branchen zu erkennen.

Wird die Corona-Krise zu einem Mehr an Nachhaltigkeit führen oder zu einer Reduktion des bereits Bestehenden?
Man muss zwischen kurzfristigen und langfristigen Wirkungen unterscheiden. Der Anlass als solcher ist unnachhaltig. Die Ursachen, weshalb es überhaupt zu dieser Pandemie kommen konnte, liegen in mangelnder Nachhaltigkeit. Aber die Langfristwirkung wird davon abhängen, welchen Weg wir beschreiten, um aus der Krise herauszukommen. Da können wir einen unnachhaltigen oder einen nachhaltigen Weg gehen. Wenn wir beispielsweise eine einfache Abwrackprämie für Autos einführen und die Leute dann wieder viele Dieselautos kaufen, zementiert das unnachhaltige Strukturen. So etwas würde den begonnenen Wandel zu nachhaltigeren Autos behindern. Aber wenn Konjunkturhilfen und Hilfspakete anders ausgerichtet werden, zum Beispiel ein grüner Konsumgutschein ausgestellt oder eine Förderung für nachhaltige Produkte erfolgen würde, dann kann das dazu führen, dass der Strukturwandel der Wirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit beschleunigt wird. Jetzt ist der Moment, in dem sehr vieles entschieden wird. Je nachdem, wie diese Konjunkturhilfen ausgestaltet sind, wird es einen Rückschlag oder einen Fortschritt geben. Es ist jetzt ein ganz entscheidender Zeitraum.

Vielen Dank für das Gespräch!

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