Raphaela Stefandl

Zehn Jahre lang Schweiz-Korrespondentin des ORF, seit Oktober 2021 freie Journalistin und Medientrainerin, langjährige Moderatorin und Sendungsverantwortliche von „Vorarlberg-Heute“, Redakteurin mit Schwerpunkt politische Berichterstattung. Foto: Alexander Roschanek

Gleichstellung: Die Schweiz macht ernst

Dezember 2014

Seit 33 Jahren steht es in der Schweizer Verfassung: gleicher Lohn für Mann und Frau, also keine Diskriminierung wegen des Geschlechts bei gleichwertiger Arbeit. Jetzt will das die Justizministerin in Bern durchziehen.

Es sind Dienstleister wie die Post, Kantonsverwaltungen, Gewerkschaften; es sind Pharma-Firmen wie La Roche oder Novartis, oder Schindler Aufzüge: Sie bezahlen Frauen bei gleichwertiger Arbeit gleich wie Männer. Nachzulesen ist die Liste auf der Seite der nationalen schweizerischen Projektleitung „Lohngleichheitsdialog“. Gut 50 Firmen sind hier aufgelistet, die die Lohngleichheit umgesetzt haben oder sich gerade in der Umstellungsphase befinden. Wer sich in den letzten Jahren freiwillig der Lohn-Untersuchung im eigenen Haus angeschlossen hat, muss Ungleichheiten innerhalb von vier Jahren ausräumen.

Ungleichheit

Frauen verdienen auch in der Schweiz im Durchschnitt bei gleichwertiger Arbeit deutlich weniger als Männer. Manche Ungleichheit lässt sich durch Faktoren wie Alter, Ausbildung, Erfahrung oder Stellung im Unternehmen erklären, die andere Hälfte jedoch nicht, sagt Luzius Mader vom Lohngleichheitsdialog.
Nach Schweizer Recht stellt das eine Diskriminierung dar. Diese Ungleichheit besteht bereits seit sage und schreibe 33 Jahren. Damals, 1981, sagte das Schweizer Stimmvolk Ja zum Grundsatz von gleichem Lohn für gleichwertige Arbeit; so steht es seither auch in der Verfassung. Papier ist aber bekanntlich geduldig, also passierte jahrzehntelang nicht viel. Vor rund fünf Jahren dann schien man sich an dieses Gebot zu erinnern und startete eine Initiative, um die Lohngleichheit einzuführen – auf freiwilliger Basis. Das Ergebnis ist – trotz guter Beispiele – ernüchternd, sagt Herr Mader. Manche Unternehmen glauben wohl, das sei nicht nötig.
Eines der Positiv-Beispiele ist der Türenspezialist Schlatter in Thurgau. Er gehört zur Firmengruppe RWD. In den Tischlereien arbeiten hauptsächlich Männer, in der Verwaltung jedoch trifft man Frauen an. Elf Prozent beträgt der weibliche Anteil am gesamten Personalstand. Man sei sich eigentlich nicht wirklich bewusst gewesen, dass es Ungleichheiten gibt, erklärt Roger Schlatter, der CEO des Unternehmens. Erst die Überprüfung habe dies zutage gebracht. Es seien zwar nur wenige Prozent gewesen, jedoch gehe es um Fairness, und die wolle man einhalten. Woran liegt es, dass diese diskriminierende Lohnungleichheit auch im 21. Jahrhundert nicht wegzubringen ist, frage ich Herrn Schlatter. Ist es das Kostenargument? Er schüttelt den Kopf. „Nein, die Kosten können es nicht sein, nicht in der Schweiz“, sagt der CEO. Es sei eher wohl so, dass man darüber gar nicht nachdenkt. Im Büro sagt eine junge Frau, die am Computer sitzt, das Einstehen für fairen Lohn sei für sie ausschlaggebend gewesen, sich hier zu bewerben. Die Männer rundum nicken. Es sei schon recht und gut, wenn Fairness herrsche.

Was lange währt, wird gut?

Die Schweizer Justizministerin Simonetta Sommaruga will nun Nägel mit Köpfen machen. Sie will Unternehmen mit mindestens 50 Mitarbeitern gesetzlich verpflichten, alle drei Jahre ihre Lohnpraxis überprüfen zu lassen. Eine Toleranzgrenze von fünf Prozent Lohnunterschied ist erlaubt, was darüber ist, wird als diskriminierend eingestuft und muss geändert werden. Außenstehende Unternehmen, Sozialpartnerverbände oder Revisionsstellen sollen die Analyse der Bezahlung durchführen. Im Jahresbericht der Unternehmen wäre dann ersichtlich, ob Lohngleichheit gegeben ist oder nicht. Die Daten wären anonymisiert, es gibt also keinen Einblick in die Gehälter der einzelnen Mitarbeiter. Im Dezember soll das Papier ins Parlament zur Beschlussfassung. Teile der Interessenvertretung der Wirtschaft stöhnen; von Eingreifen in unternehmerische Freiheit ist die Rede. Frau Sommaruga sagt, man habe lange genug auf Freiwilligkeit gehofft, jetzt sei es Zeit zu handeln. Den Gewerkschaften geht der Schritt immer noch zu wenig weit, solange Frauen ihre Arbeitgeber auf gleiche Bezahlung klagen müssen. Denn offen ist derzeit, welche Konsequenzen bei einer Lohn-Diskriminierung vorgesehen sind – ein wesentlicher Umstand, soll das Vorhaben nicht ein zahnloser Tiger werden. Im Dezember wird das Parlament darüber diskutieren. Die Skepsis bleibt, ob daraus ein schlagkräftiges Instrument gegen Frauendiskriminierung beim Lohn wird.

Sanktionen fehlen

Ein Blick auf die Verwaltungsräte bundesnaher Unternehmungen zeigt: Die Quote von 30 Prozent Frauen in dieser Etage ist gut und recht, sagt die SP-Politikerin Anita Fetz, doch hätten nur wenige Firmen reagiert und weibliche Aufsichtsräte bestellt. Denn es fehlen die Sanktionen. In Basel-Stadt hat das Volk im Frühjahr Klartext gesprochen. Eine deutliche Mehrheit ist für eine Quotenregelung in Aufsichtsräten öffentlicher Institutionen. Es ist der erste Kanton, in dem das Volk dazu Ja gesagt hat. Heute liegt der Frauen-Anteil bei rund 17 Prozent, er soll auf 30 Prozent ansteigen. Und die private Wirtschaft? Der Wirtschaftsverband Economiesuisse ruft seine Mitgliedsbetriebe auf, freiwillig mehr Frauen in Aufsichtsgremien zu berufen. Wie erfolgreich das sein wird? Vielleicht lassen sich die (männlichen) Entscheidungsträger von wirtschaftlichen Argumenten leiten. Eine Studie des Credit-Suisse-Forschungsinstituts hat ergeben: Die Aktienkurse von Unternehmen mit mindestens einer Frau im Verwaltungsrat haben in einem Zeitraum von sechs Jahren um 26 Prozent besser abgeschnitten als die Kurse von Unternehmen mit ausschließlich männlichen Verwaltungsratsmitgliedern.

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