Raphaela Stefandl

Zehn Jahre lang Schweiz-Korrespondentin des ORF, seit Oktober 2021 freie Journalistin und Medientrainerin, langjährige Moderatorin und Sendungsverantwortliche von „Vorarlberg-Heute“, Redakteurin mit Schwerpunkt politische Berichterstattung. Foto: Alexander Roschanek

Verludert die Sprache?

Dezember 2022

Ohne Punkt und Beistrich – Grammatik ade?

Die Sprache. Jeder hat eine Muttersprache, wir sind damit aufgewachsen, mit einem dicken Regelwerk an Grammatik. Beistriche, Doppel-s, Punkt und Rufezeichen. Überbewertet? Kolumnisten sind Sprachkünstler. Sie bringen ihre Gedanken zu Papier … Doch zählen die Regeln aus der Schule überhaupt noch, was kommt danach und werden Rechtschreibregeln überbewertet? Fragen an zwei Berufene: Doris Knecht, Autorin und Kolumnistin aus Vorarlberg, hat eben den Preis der besten deutschsprachigen KolumnistInnen der „Kolumination“ am Säntis in der Schweiz entgegengenommen. Rainer Hank ist deutscher Wirtschaftskolumnist und in der Jury der „Kolumination“.
Was bedeutet Sprache für die beiden? „Der Umgang mit der Sprache interessiert mich“, sagt Doris Knecht, „ich bin keine Puristin, weil das einengen würde. Ich habe oft Auseinandersetzungen deswegen mit LeserInnen, die finden, man darf manche Sachen nur auf bestimmte Weise sagen und ich finde das nicht. Sprache ist für mich etwas total Lebendiges und wenn sie sich nicht mit dem Sprechenden und Schreibenden mitverändern würde, würden wir uns irgendwann nicht mehr verstehen. Deshalb vermische ich sehr gerne alte Sachen mit neuen, man erhält dadurch ein unglaubliches Repertoire an Wörtern, auch wenn sie umgangssprachlich sind, ich setze auch englische Wörter ein, was manche Leute gänzlich ablehnen, gerade in einer Kolumne.“ Rainer Hank kommt aus einer anderen Ecke: „Ich bin Wirtschaftsjournalist, komme aber vom Literaturstudium her und habe mich mein ganzes Leben mit Sprache befasst. Ich meine schon, wenn man so nachlässig mit der Sprache umgeht, hat man auch die Sache oft nicht verstanden.“ 

Die Sprache ist im Wandel – ist Social Media mit ein Grund?
„Man muss aufpassen, wenn man älter wird, zu sagen, früher war alles besser“, weiß Journalist Hank „die Social-Media-Texte haben definitiv eine Spontaneität, die können sehr witzig und pfiffig, scharf und frech sein. Bei den schnellen Medien ist aber die Gefahr da, dass manches im Affekt durchgeht, das weder für das Zwischenmenschliche noch für die Sprache gut ist, man kann’s schlecht wieder einfangen. Das ist sofort im Netz und schaukelt sich hoch.“ Doris Knecht sagt, es gebe immer mehr, die sich auf diese Sprechweise einlassen: „Wenn Leute wie ich das verwenden, ist dies eine Art Anerkennung; die Menschen sprechen verschiedene Sprachen und man kann das mischen, ich finde es interessant, das in Kolumnen abzubilden.“ Rainer Hank: „Social-Media-Texte kommen eher aus dem Bauch: Das ist vermutlich authentischer, durch den Kopf kann man sich etwas ,schön‘ schreiben.“ Der Kopf ist dazu da, den Affekt zu modellieren, zu regulieren, authentisch zu sein. Ja – aber zu welchem Preis?“

Hat die Hochsprache noch den selben Stellenwert wie vor 30 Jahren?
Doris Knecht zitiert den „Duden“ als Bibel der Hochsprache: Der ändere sich mit: „Ich finde es in Ordnung, wenn Leute sagen, ich möchte so nicht schreiben, ich will das korrekt, wie ich das gelernt habe. Mich aber interessiert das Spiel mit der Sprache. Für mich ist Sprache ein großes Konglomerat, das man nicht einteilen kann in etwas, das niedrig ist und etwas, das hoch ist, ich bin eine Praktikerin und keine Theoretikerin“.
„Ich sehe das in gewisser Weise auch so“, sagt der deutsche Wirtschaftskolumnist Hank: „Mein Patenkind hat völlig vergessen, dass es Satzzeichen gibt. Dabei sind die Satzzeichen ja die Stellvertreter für Pausen: wie ein Doppelpunkt zum Beispiel. All das, was man in der Sprache und der Musik durch die Phonetik machen kann, macht man in der Schreibweise mit diesen Zeichen. Wenn das fehlt, ist das so breiig und unpräzise.“
Er erinnert sich an die Schulzeit, man wurde mit „dass“ und Beistrichregeln gequält. „Die Jüngeren werden vielleicht sagen, ich verstehe schon, was du meinst, ich brauche diese ganzen Zeichen nicht – und wenn man ehrlich ist: für kurze Mitteilungen ändert sich nichts, wenn ich eine WhatsApp schreibe und am Ende keinen Punkt mache. Ich weiß nur nicht, ob man mit der Zeit völlig vergisst, dass Sätze am Ende einen Punkt bekommen und dass das seine guten Gründe hat – auch wenn das manche heute so langweilig finden.“
Lehrer im Kulturkampf? Rainer Hank lacht: „Die Lehrer, die ich kenne, würden das bejahen, einen Kampf richten die jedenfalls aus, aber Lehrer mussten immer kämpfen mit Schülerinnen, Pubertierenden. Auf jeden Fall.“

Ich bekomme Emails, die strotzen nur so vor Grammatikfehlern. Verludert die Hochsprache?
Doris Knecht nimmt Bezug auf ihre Kinder. „Ich hätte es gerne, wenn man’s kann. Ich finde es schön, wenn der Bei­strich an der richtigen Stelle sitzt. Gleichzeitig, wenn ich mir anschaue, was in der Schule gelehrt wird, da würde ich mir wünschen, dass man schon noch anderes lernt. Toleranz, Glück oder mehr über Ernährung und Natur. Beistrichregeln sind ok, das kann aber nicht das einzige sein.“
Zeitungen und Bücher ohne Regeln? Verarmt die Sprache?
Autorin Knecht stellt fest: „Zeitungen im Netz sind oft schleißig gemacht und mit Fehlern – das stört mich sehr. Verarmung? Ich würde eher von Veränderung sprechen, bin nicht sicher, ob junge Leute weniger Wörter kennen, eben andere. Man kann sagen, wir wollen das nicht, aber es ist nicht aufzuhalten, ich höre zu und greife manchmal korrigierend ein. Auch bei meinen Kindern. Ich fände es gut, wenn Menschen viele Wörter kennen und auch verwenden.“

Die Medienlandschaft hat sich massiv verändert. Die Kolumne ist aber nach wie vor ein wichtiger Bestandteil von Zeitungen. Wie sehen Sie deren Zukunft? 
Doris Knecht stimmt ein: „Ja auch ich habe mein Medienkonsumverhalten geändert, lese viel online. Das ist eben auch praktisch, weil dort, wo ich wohne, kommt die Zeitung halt nicht gleich in der Früh. Aber generell: Ich weiß es nicht, vielleicht müssen sich Kolumnen verändern, es gibt auch Kolumnistinnen, die Newsletter verschicken und sonst auch einiges ausprobieren; ich habe die Erfahrung gemacht, dass auch junge Menschen Kolumnen lesen. Nicht alle bewegen sich ausschließlich in sozialen Netzwerken, aber ich glaube schon, dass das Erlebnis der Zeitungslektüre, der Geruch und das haptische Gefühl verloren geht. Aber die Jungen, die ich kenne, die lesen viel und sind interessiert, die Welt auf verschiedene Weise kennenzulernen und auch Neues kennenzulernen, das stimmt mich hoffnungsvoll.“

Wird man Kolumnen von Doris Knecht in der Zukunft irgendwann auf Social Media lesen? 
Sie lacht über das ganze Gesicht, erinnert sich an ein Erlebnis mit jungen Leuten (daraus wurde eine herzerfrischende Kolumne) und fügt hinzu: „Mich interessiert zum Beispiel Twitter sehr, zu sehen, welche Debatten ausgelöst und wie sie geführt werden: ich habe nicht so eine dicke Haut, ich bin zu empfindlich, ich halte das, glaube ich, nicht aus, dass irgendwelche Leute auf mich einhacken und deshalb bin ich nur als Voyeurin unterwegs und schaue zu. Bei TikTok wird das wohl so ähnlich werden, wobei das wieder ein ganz anderes Medium ist, ich schaue es mir einmal an.“

Lesung von Doris Knecht im Original anhören: https://youtu.be/WcjcYhZwQpo

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