Raphaela Stefandl

Zehn Jahre lang Schweiz-Korrespondentin des ORF, seit Oktober 2021 freie Journalistin und Medientrainerin, langjährige Moderatorin und Sendungsverantwortliche von „Vorarlberg-Heute“, Redakteurin mit Schwerpunkt politische Berichterstattung. Foto: Alexander Roschanek

Länger arbeiten

April 2015

Die Schweiz und der starke Franken – eine Fortsetzungsstory, die nach dreijähriger Zwangspause durch die Nationalbank erneut Fahrt aufgenommen hat. Die Aufkündigung der Franken-Obergrenze zum Euro im Jänner kam überraschend plötzlich, doch jeder in der Schweiz wusste, irgendwann wird der Tag X kommen. Wer zahlt die Zeche? Die Arbeitnehmer? Die Betriebe? Der Staat? Letztlich alle.

Es war wohl eines der bestgehüteten Geheimnisse der Schweiz – der Plan von Nationalbankpräsident Jordan, den Franken ab Mitte Jänner wieder dem freien Spiel der Finanzmärkte zu überlassen. Erst zwei Stunden vor der Bekanntgabe dieser Entscheidung wurde die Politik eingeweiht. Diese ließ – ungewöhnlich rasch für eine wirtschaftspolitische Maßnahme dieser Art bei den Eidgenossen – Unterstützung für Betriebe ankündigen: Kurzarbeit stehe nichts im Wege, um Beschäftigung zu sichern.

Danach begann das große Raunen, das aber nur wenige Wochen anhielt und dann dem vielleicht typischen Schweizer Opportunismus gewichen ist.

Und heute, zwei Monate später? Die Schweizer Wirtschaft hat reagiert. Die wenigsten haben sich für kürzere Arbeitszeiten entschieden, im Gegenteil: Immer mehr Betriebe lassen ihre Mitarbeiter länger arbeiten – ums gleiche Geld. Einer der ersten, die das öffentlich machten, war der Mühlenkonzern Bühler in Thurgau. Seit Mitte Februar stehen die Mitarbeiter dort wöchentlich fünf Stunden länger in der Werkhalle, bei allen Mitarbeitern wurde die Arbeitszeit von 40 auf 45 Stunden erhöht – bei gleichem Lohn, für sieben Monate. Man habe sich mit der Belegschaft darauf geeinigt. In dieser Zeit werde auch niemand gekündigt. Das Unternehmen beschreibt sich selbst als Weltmarktführer bei der Erzeugung von Mühlen, rund 65 Prozent des weltweit geernteten Getreides werde mit Mühlen vom Bodensee gemahlen. „Länger arbeiten, das hat es schon einmal gegeben“, erzählt ein Arbeitnehmer in Thurgau. Das war kurz bevor die Nationalbank die Bremse gezogen und den Mindestkurs eingeführt hatte; jetzt handle es sich um eine Überbrückung für sieben Monate, das sei auszuhalten. Die Aufträge seien da, nur die 15-prozentige Erhöhung der Produktpreise durch den neuen Franken-Kurs zwinge zu dieser Maßnahme.

Das Beispiel blieb nicht lange eine Ausnahme. Immer öfter lassen Betriebe ihre Mitarbeiter länger arbeiten – ohne Lohnausgleich. Es sind Autozulieferer, Metallverarbeiter, Unternehmen, die stark in den Euroraum exportieren. So auch die SFS Group über der Grenze: Temporär erfolgen zwei Stunden Mehrarbeit pro Woche und eine Kürzung des Jahresurlaubs von sechs auf fünf Wochen, die Konzernleitung verzichte auf zehn Prozent des Salärs, ließ sie mitteilen. Man erwartet aufgrund des starken Frankens einen Umsatzrückgang im laufenden Jahr. Der Sprecher der Grenzgänger bestätigt den Trend: Man habe fast den Eindruck, die Unternehmen in der Ostschweiz sprächen sich ab, es habe deshalb wohl wenig Sinn, einen neuen Arbeitsplatz zu suchen.

Und die Gewerkschaften? Kein Aufschrei der Arbeitnehmervertretung? Anfangs hatte man den Eindruck, die Gewerkschaften hielten sich mit Reaktionen zurück. Doch je mehr Unternehmen zu dieser Maßnahme greifen, desto skeptischer ist man. Mitarbeiter würden unter Druck gesetzt, zuzustimmen. Man spricht von einem Ausnützen der Situation, um rasch die vorhandenen Aufträge lukrativ abzuarbeiten. Was dann kommt, bleibe bei vielen Betrieben offen. Wird wieder zum Alltag übergegangen, auch wenn der Franken stark bleibt? Ist der nächste Schritt eine Verlagerung ins Ausland? Eine solche kündigte gerade ein Rohgewebehersteller nahe Sargans an: Die Maschinen sollen die nächsten Monate Richtung Tschechien verladen werden. 28 Mitarbeiter verlieren ihren Job, rund hundert müssen mit einer Lohnkürzung von fünf Prozent rechnen. Da dürfte wenig trösten, wenn der Gemeinderat von Uzwil am Bodensee auch seine Verwaltungsmitarbeiter länger arbeiten lässt – drei Monate lang 44 statt 42 Stunden pro Woche, als Solidaritätszeichen an die Wirtschaft, hieß es.

In der Schweiz liegt die Wochenarbeitszeit seit Jahren bei knapp 42 Stunden, in der Industrie leicht darunter. Bei Suisse Holding, dem Vertreter der Großkonzerne, heißt es, der hohe Franken-Kurs habe die Überlegungen für die Zukunft beschleunigt. Im angrenzenden Deutschland versuche man Betrieben eine Ansiedlung schmackhaft zu machen. Im großen Stil wegzugehen sei jedoch derzeit kein Thema. Es bleibe derzeit bei wenigen, wie dem Furnierkonzern Danzer, der seinen Holding-Sitz von Zug in der Schweiz nach Dornbirn verlegt hat – „zu viel Unsicherheit auf lange Sicht gesehen“. Manche gehen Richtung Fernost, heißt es, aber auch die EU hat gute Karten für Schweizer Betriebe, sagt der Interessenvertreter der Großunternehmen. Distanzen und der Kulturschock seien nicht so groß, die Arbeitskosten seien deutlich niedriger, und zwar nicht nur im ehemaligen Ostblock. Zudem schwindet dadurch auch ein weiteres Stück Unsicherheit und Unbehagen, das manchen CEO beschäftigt: Wenn in zwei Jahren die Begrenzung der Zuwanderung von Arbeitskräften in die Schweiz aufgrund der Abstimmung gegen Massenzuwanderung vom 9. Februar 2014 tatsächlich mit aller Härte durchgezogen werden sollte, hätte man mit einem Fuß in der EU die Arbeitskräftesuche schon mal vom Hals. Im Übrigen: Internationale Großkonzerne in der Schweiz beschäftigen schon jetzt deutlich mehr Arbeitskräfte im Ausland als am Standort.

Kommentare

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Die Arbeitszeit hat im Zuge der Industrialisierung irgendwie keine Fortschritte gebracht. Logisch wäre für mich mehr Freizeit aufgrund der Automatisierung. Offenbar ist aber der Fortschritt (oder Erhalt) des materiellen Lebensstandards wichtiger als die Freizeit. Das ist nun mal die Entscheidung die gesellschaftlich und politisch getroffen wurde. Die Arbeitswelt in Europa ist schon so hoch optimiert, da gibt nicht mehr viel Spielraum für Verbesserungen. Immer mehr Menschen, immer weniger Arbeit - da wirds noch richtig krachen.