Christian Feurstein

Wirtschaftsarchiv Vorarlberg

Nachkriegszeitlicher Erfindergeist

April 2016

In den 1950er-Jahren sorgten die Sportwagen des Unternehmens Denzel für Aufsehen. Wenig bekannt ist, dass die erste Karosserie aus Vorarlberg stammte.

Im letzten halben Jahrhundert hat sich Vorarlbergs Wirtschaftsstruktur vom Textilland zu einer vielfältigen Branchenlandschaft verändert. Ihren Ausgangspunkt hatte diese Entwicklung teilweise in den Nachkriegsjahren, als kleine Betriebe in metall- und kunststoffverarbeitenden sowie elektrotechnischen Sparten entstanden. Manche von ihnen entwickelten sich zu Global Playern, andere verschwanden nach einigen Jahren wieder von der Bildfläche. Zu Letzteren zählte das Bregenzer Unternehmen Kittelberger, das sich schon in der Zwischenkriegszeit mit dem Bau von Segelflugzeugen einen Namen gemacht hatte.

Die nachfolgende Begebenheit erfuhr der Verfasser dieses Artikels von seinem Großvater Clemens Groß aus Dornbirn. Als vormaliger technischer Zeichner bei den Dornier Flugzeugwerken fand er nach Kriegsende Arbeit im Betrieb von Walter Kittelberger. Da die Herstellung von Flugzeugen zu dieser Zeit strengen Beschränkungen durch die Besatzungsmächte unterlag, wich man auf andere Erzeugnisse wie Bootsschalen und Dreiräder aus. Zudem entwickelte Kittelberger ein Verfahren für den Bau von Karosserien. Dabei wurden Holzlamellen (anfänglich sogar Dachschindeln) in eine gekrümmte Formschale genagelt und Kunststoff aufgespachtelt. Nach der Aushärtung des Kunststoffs konnte die Schale entfernt werden und die Teile behielten ihre Statur. Anschließend erfolgte der Schliff. Auf diese Weise ließen sich leichte Bauteile mit glatter Oberfläche in nahezu beliebiger Form herstellen.

Ein Auftrag aus Wien

Etwa gleichzeitig begann Wolfgang Denzel in einer Garage in Wien mit der Instandsetzung von Fahrzeugwracks, die nach dem Krieg in großer Zahl verfügbar waren. Vielfach handelte es sich dabei um sogenannte Kübelwagen von Volkswagen, deren Bodenplatte jener des VW-Käfers ähnlich war. Denzels große Leidenschaft galt dem Motorsport, und so plante er die Entwicklung eines Sportwagens auf Basis gebrauchter VW-Chassis. Im Zuge dessen stieß er 1947 auf ein Werbeinserat für Karosserien der Firma Kittelberger.
Rasch wurde man sich einig und Kittelberger schickte Clemens Groß nach Wien, um die technischen Details abzuklären. Nach einer umständlichen Reise durch die Besatzungszonen dort angekommen, fand er auf dem Schreibtisch von Wolfgang Denzel bereits ein Modell des gewünschten Wagens aus Knetmasse vor. Wieder zurück in Bregenz erstellte er die Detailpläne, nach welchen Kittelberger einen ersten Prototyp fertigte. Abenteuerlich war die Überstellung der fertigen Karosserie: Ein Mitarbeiter von Denzel fuhr auf einem tiefer gelegten und modifizierten VW-Chassis ohne Aufbau die gesamte Strecke von Wien nach Bregenz. Dort wurde die Karosserie des „Volkswagen WD Equipment“ (WD stand für Wolfgang Denzel) montiert und so ging es auf den Heimweg.

Von den Sportwagen mit Holz/Kunststoff-Aufbau wurden wahrscheinlich nur sechs Exemplare gebaut, die allesamt nicht erhalten sind. Noch im Jahr 1950 stieg Denzel auf beständigere Stahlblechkarosserien um. Allerdings hatten die Holz/Kunststoff-Ausführungen einen Gewichtsvorteil, der sich vor allem im Rennsport bezahlt machte. Der Prototyp mit dem Kennzeichen W 5.412 wurde bald als „Blauer Blitz“ bekannt. Wolfgang Denzel setzte ihn unter anderem bei der Österreichischen Alpenfahrt 1949 ein und gewann dort die Klasse für 1100-ccm-Sportwagen.

Wie es weiter ging

In den Folgejahren entwickelte und baute Denzel noch etliche andere Fahrzeuge. Doch die Marktbedingungen veränderten sich. Konnten in den Mangeljahren der Nachkriegszeit auch Eigenentwicklungen aus kleinen Garagen an den Mann gebracht werden, so stiegen die Ansprüche rasch an. Notwendige Investitionen waren von kleinen Herstellern oft kaum zu stemmen. 1959 stellte Denzel die Fertigung ein und ist heute einer der führenden Fahrzeughändler Österreichs.

In Bregenz verließ Clemens Groß 1949 das Unternehmen Kittelberger und wurde von einem gewissen Walter Zumtobel eingestellt, der kurz zuvor mit der Herstellung von Kunststoff- und Elektrobauteilen begonnen hatte. Aus dem Kleinbetrieb entstand der allseits bekannte Beleuchtungskonzern. Clemens Groß blieb dort bis zu seiner Pensionierung. Heute lebt der mittlerweile 95-Jährige in einem Dornbirner Pflegeheim und erzählt nach wie vor gerne aus der damaligen Aufbruchszeit.

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