Herbert Motter

Räume für ein gutes Leben

Juli 2022

Vorarlberg als genussvoller Erlebnisraum für einen Ganzjahrestourismus. Das ist die Idee hinter der neuen Tourismusstrategie 2030, die auch an strukturellen Veränderungen nicht vorbeikommt.

 

Eine neue Strategie für den Tourismus

Wir wollen gemeinsam Orte und Räume für das gute Leben schaffen und gestalten“, mit diesem Vorsatz beschreiben die Verantwortlichen im heimischen Tourismus den strategischen Weg ins Jahr 2030. Im gemeinsamen Zukunftsbild dient der Tourismus keinem Selbstzweck. Tourismus in Vorarlberg ist Geburtshelfer und Energiequelle für eine erfolgreiche und nachhaltige Regionalentwicklung sowie verantwortungsvolle Lebensraumgestaltung. Wertschöpfung und Wohlstand für alle Regionen stehen ebenfalls im Fokus, was der Lebensqualität der gesamten Bevölkerung zugutekommt. Gleichzeitig eröffnen sich vielfältige Möglichkeiten für gute Geschäftsideen, interessante Berufswege und aussichtsreiche Karrieren.
Ähnlich diesem Leitgedanken formulierte es gerade kein Geringerer als ein Weltmeister: „Dort arbeiten, wo andere Urlaub machen“... die deutsche Fußballlegende Miroslav Klose hat beim SCR Altach als Trainer angeheuert und dies bei seinem Einstand medienwirksam verkündet.
In diesem Bekenntnis kommt klar zum Ausdruck, was viele Einheimische und Gäste ebenfalls so sehen: Welch‘ Privileg es ist, in einem Land zu leben, das touristisch eine derartige Vielfalt an Möglichkeiten bietet wie Vorarlberg. In- und ausländische Gäste schätzen vor allem die Vielfalt des Natur- und Kulturraums zwischen Bodensee und Arlberg, die unternehmerischen Spitzenleistungen sowie die besondere Vorarlberger Kultur des Gastgebens. Diese reiche Vielfalt ergibt sich vor allem aus der besonderen Lage und Topografie des Landes mit sechs unterschiedlich ausgeprägten Regionen, die als Tourismusdestinationen organisiert sind, sowie innerhalb einer kulturell hochentwickelten Vier-Länder-Region. Berge, Täler und Gewässer bis hin zum Bodensee bilden somit die Grundlage für verschiedenartige Natur-/Kultur-, Bewegungs- und Kulinarikerlebnisse und -genüsse auf überschaubarem Raum.

Neue Tourismusstrategie

Diese Stärken eines nachhaltigen Qualitätstourismus noch mehr auszuweiten und die sich daraus ergebenden Potenziale bestmöglich auszuschöpfen und zu fördern, ist Ziel der neuen, überabeiteten Tourismusstrategie 2030. Mehr als 260 Persönlichkeiten sowie alle relevanten Stakeholder- und Interessensgruppen der Tourismusbranche haben daran mitgewirkt. Acht Handlungsfelder mit insgesamt 96 Umsetzungsmaßnahmen umfasst die neue strategische Ausrichtung. Kernziele wurden für verschiedene Bereiche definiert: Wettbewerbsfähigkeit, qualitätsorientiertes Marketing, Bildungsangebote, stärkere Regionalität mittels Kulinarik-Marke, Klimaschutz auf allen Ebenen, sanfte Mobilität, Digitalisierung und Nutzung von Synergien. Die bislang gültige Tourismusstrategie 2020 wurde vor zehn Jahren öffentlich vorgestellt.

Politischer Rückhalt aller Parteien

Neu ist die über alle Parteien hinweg gegebene Legitimation dieser Strategie, die von der Sparte Tourismus und Freizeitwirtschaft in der Wirtschaftskammer Vorarlberg 2012 ins Leben gerufen wurde. „Wir haben einen neuen, sehr tiefgehenden Level erreicht, da wir nun zum einen strukturelle Veränderungsprozesse einleiten und zum anderen jeder geplanten Umsetzungsmaßnahme Messindikatoren gegenüberstellen, mit denen wir den Erfolg der Maßnahme messen werden“, erklärt Tourismus-Spartenobmann Markus Kegele und ergänzt: „Wir freuen uns sehr über das politische Committment über die Parteigrenzen hinweg, das gibt der Tourismusstrategie einen starken legitimierten Rückenwind. Durch diese einhellige Unterstützung haben wir mit dieser Strategie jetzt eine Landkarte, die uns bei diesen Zukunftsthemen weiterbringt. Das ist vor allem auch ein starkes Bekenntnis zum Tourismus in Vorarlberg.“ Grundsätzlich gehe es um einen neuen Fokus in der Tourismusstrategie – „wir setzen dabei vor allem auf die drei Top-Themen Arbeitskräfte, Green Destination und Digitalisierung“, betont Kegele. Es gelte nun, alle Strukturen zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen. Das Geld werde nicht mehr, daher müsse versucht werden, das Vorhandene effizienter und zielgerichteter im Sinne des Tourismus einzusetzen: „Hierbei hilft auch, dass wir die Fortschritte bei der Umsetzung der Strategie erstmals messbar machen. Zudem muss die Struktur so angepasst werden, dass sich bei gleichem Input ins System der Output spürbar erhöht.“
Der Tourismus hat in Vorarlberg eine lange Tradition und eine hohe ökonomische und soziale Bedeutung. Mit 3,8 Milliarden Euro Bruttoregionalprodukt hat die Tourismuswirtschaft im Jahr vor Corona fast 20 Prozent zur Wertschöpfung des Landes beigetragen. Dem standen im Vergleichszeitraum Basisfinanzierungs- und Förderungsmittel von rund 42 Millionen Euro auf Landesebene gegenüber. Damit hat jeder von der Öffentlichen Hand eingesetzte Euro eine 90-fache Wirkung auf die Regionalwertschöpfung gebracht. Trotz dieser positiven Effekte auf alle Sektoren und kommunale Einheiten sowie die einheimische Bevölkerung heben derzeit nur 48 Prozent der 96 Gemeinden Tourismusbeiträge ein, bei 20 Prozent spielt die Gästetaxe keine Rolle. Über 26.000 Vollzeitstellen in Vorarlberg und mehr als 4.300 in Rest-Österreich sind mit dem Vorarlberger Tourismus verbunden.
Das in der bisherigen Strategie definierte Wertefundament der „Gastfreundschaft“, „Regionalität“, „Nachhaltigkeit“ und „Vernetzung“ hat angesichts aktueller globaler Herausforderungen an Kraft gewonnen und ist bedeutender denn je. Es bildet daher auch in der Tourismusstrategie 2030 die Basis für Werthaltungen, allerdings in leicht erweiterter Form. So wird mit dem Zusatz „authentisch“ beispielsweise die große Stärke der Vorarlberger Gastfreundschaft betont.
Man setzt auf ehrliche Kooperationen und nachhaltige Zusammenarbeit. Verwurzelt und eingebunden in die Regionen, fungieren die großteils familiengeführten Unternehmen als zuverlässige Abnehmer und Abnehmerinnen regionaler Produkte und Dienstleistungen und damit als faire Kooperationspartner, unter anderem für die Kultur, das Handwerk und die Landwirtschaft.
Touristische Leistungsträger mit ihren Mitarbeitenden wollen sich als Manufakturen verstehen. Eine echte und spürbare Regionalität in den Urlaubsregionen, die ein gutes Leben im Erfahrungs- und Erlebnisraum Vorarlberg schafft, ist das Credo. Und! Die gesamte Bevölkerung soll profitieren. Ein wesentlicher Fokus der Strategie liegt auch auf einer alpinen Kulinarikmarke und eben auf den heimischen Gästen. „Die Tourismusstrategie beschäftigt sich nicht nur mit Gästen von außerhalb, sondern erkennt auch die große Bedeutung des einheimischen Gastes“, sagt Kegele. Nur bei einer guten Lebensqualität der Einheimischen sei auch ein gutes Angebot für „Gäste auf Zeit“ möglich.

Herausforderungen werden nicht weniger

Als eine Folge der Pandemie haben sich auch die Veränderungen im Tourismus beschleunigt – globaler Wettbewerbsdruck – nicht nur um Gäste, sondern auch um Mitarbeitende, steigende Ansprüche und ein geändertes Buchungsverhalten – kurzfristiger, regionaler und bewusster – der Gäste sowie die schnelllebige Welt der Digitalisierung, aber auch der Klimawandel. All das erfordere eine enge Zusammenarbeit innerhalb des touristischen Netzwerks und mit anderen Branchen. Zudem soll sich in Zukunft insbesondere die Rolle der Destinationen verstärkt von Managementorganisationen zu Lebensraumgestaltern wandeln. „Der Tourismus ist für Vorarlbergs Regionen nicht nur Impulsgeber, sondern vielerorts auch Zukunftsgeber und leistet einen wichtigen Beitrag für eine ausgewogene und nachhaltige Regionalentwicklung in unserem Land“, erklärt Tourismuslandesrat Christian Gantner. Der Tourismus ist zur Gänze standortabhängig. Betriebe können ihre Dienstleistung weder komplett noch teilweise verlagern. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Akteure im Tourismussystem hängt daher in Zukunft immer stärker von den tourismuspolitischen Rahmenbedingungen ab.
Ein zentrales Thema bildet die Mobilität: Vorarlberg verfügt in urbanen Bereichen bereits über ein gut ausgebautes und miteinander vernetztes Angebot an öffentlichen und umweltschonenden Verkehrsträgern. Allerdings gibt es aus der Perspektive von touristischen Stakeholdern noch Entwicklungspotenziale bei der Anbindung von Talschaften sowie für die sogenannte letzte Meile. Unter anderem deshalb und aufgrund lückenhafter Angebote sehen Gäste kaum Alternativen zur An- und Abreise mit dem Pkw.
Allumspannendes Ziel ist letztendlich ein ganzjähriger Qualitätstourismus mit einer gesunden Balance zwischen einem hochwertigen Angebot und hoher Verantwortung für Natur und Umwelt sowie Kultur und Architektur. Die im Sommer liegenden Potenziale sollen stärker genutzt und das vielfältige touristische Angebot im Winter auf hohem Niveau gehalten bzw. weiterentwickelt werden. Dezidiert auszuschließen seien großräumige seilbahntechnische Erschließungen bisher unberührter Gebiete. Dennoch müsse es möglich sein, qualitätsverbessernde Maßnahmen in bestehenden Skigebieten zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit umzusetzen.

 

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