
„Strategie der Vielfalt“ schmeckt nicht allen
Die Vereinten Nationen haben das Jahr 2015 zum Jahr des Bodens erklärt. Anlass für die Landwirtschaftskammer Vorarlberg, aus Furcht, im Kampf um die Flächen des Landes als Verliererin dazustehen, eine Studie in Auftrag zu geben. Ob die Erkenntnisse daraus den Vorarlberger Bauern Freudentränen bescheren, ist allerdings mehr als fraglich.
Die Landwirtschaft steckt in einem Dilemma. Mit einer Wertschöpfung von 0,6 Prozent liegt der Primärsektor in Vorarlberg längst meilenweit hinter der Güterproduktion (38,8 Prozent) und dem Handels-, Verkehrs- sowie Dienstleistungsbereich (60,6 Prozent) zurück. Und nun befinden sich die Bauern auch noch im Kampf um die „besten Böden“. Entsprechend angriffslustig gibt sich daher die Landwirtschaftskammer in jüngster Zeit. Im Sinne einer Verbesserung der regionalen Ernährungssicherheit wird die langfristige Sicherung von landwirtschaftlichen Böden, am besten per Gesetz, gefordert. Für die Landwirte steht außer Frage, dass diese Flächen für die Futter- und Lebensmittelerzeugung in Vorarlberg besser geschützt werden müssen. So gar nicht „amused“ sind die Bauernvertreter ob der vielen ihrer negativen Stellungnahmen zu Baulandwidmungen, die laut Landwirtschaftskammer-Präsident Josef Moosbrugger ohne Berücksichtigung in den Schubladen der Behörden verschwunden sind. Dabei haben die Vorarlberger Landwirtschaft und ihre Vertretung mit einem ganz anderen, existenziellen Problem zu kämpfen. Sie müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, zu einseitig, zu tier- und milchwirtschaftslastig zu sein. Pflanzliche Produktion findet kaum statt.
Zu geringe Nutzung als Ackerfläche
Eine genaue Betrachtung Vorarlbergs zeigt, dass rund 44 Prozent der Gesamtfläche Vorarlbergs landwirtschaftlich genutzt werden, sei es als Grünland, Äcker, Gärten oder Alpen. Ein Drittel der Landesfläche sind Wälder, 22 Prozent sind unproduktiv. Spannend wird es, wenn man sich die landwirtschaftliche Nutzfläche im Detail ansieht. Die Alpen machen mit 58 Prozent den Löwenanteil aus, gefolgt von 29 Prozent Wiesen und 6,5 Prozent Hut- und Kulturweiden. Vier Prozent der landwirtschaftlichen Flächen sind Streuwiesen, nicht genutztes Grünland sowie Hausgärten und Obstanlagen. Die Fläche für Ackerbau macht hingegen nur 2,5 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche aus.
Die Rede ist von rund 3000 Hektar, wovon knapp die Hälfte nur der Produktion von Silomais – als Futtermittel oder Biogassubrat – dient. Diese Flächendefizite beim Ackerland und bei den Obstbaukulturen sind auch das Ergebnis einer eben von der Landwirtschaftskammer Vorarlberg in Auftrag gegebenen Studie. Dort heißt es: „Soweit es die klimatischen und naturräumlichen Bedingungen zulassen, ist also in der Vorarlberger Landwirtschaft ein größeres Augenmerk auf die pflanzliche Produktion zu legen.“
Nutzungsproblem mit den vorhandenen Ressourcen
Und damit wird auch klar, dass die Landwirtschaft es weniger mit einem Flächenproblem zu tun hat, um die Ernährungssicherheit zu verbessern, als vielmehr mit einer falschen Nutzung der vorhandenen Ressourcen. Dazu kommt der große Flächenverbrauch für die derzeitige Praxis. „Bei einer Hervorbringung der gleich großen Menge an Kalorien braucht die Pflanzenwirtschaft siebeneinhalb Mal weniger Fläche als die Tierwirtschaft“, mahnt Gerlinde Weber, Studienautorin und Professorin an der Universität für Bodenkultur Wien. Für ein Kilogramm Rindfleisch werden zwischen sieben und zehn Kilogramm Getreide verbraucht.
Beim jüngsten Agrarforum plädierte auch Ökopionier Kaspanaze Simma öffentlich für eine Umorientierung der Vorarlberger Landwirtschaft. Mehr Obst- und Gemüseanbau, weniger Fleisch- und Futteranbau. Nicht jedem Bauern im Land wird diese Nachricht schmecken. Da rund 80 Prozent der heimischen Landwirtschaft subventioniert ist, thront das Thema Förderungen und Prämien über allem. Wer will da schon Einbußen in Kauf nehmen.
Studienautorin Weber spricht in ihrem Perspektivenpapier von einer „Strategie der Vielfalt“, und Präsident Josef Moosbrugger kam beim Treffen der Landwirtschaft nicht umhin, diesen Ball der eigens beauftragten Studienautorin aufzugreifen. Für Moosbrugger bräuchte es dann aber „Abnahmesicherheiten und bessere Verarbeitungsstrukturen, um die Lücke zwischen Produzent und Konsument zu schließen“. Dass keineswegs Klarheit über die möglichen Potenziale der Vorarlberger Landwirtschaft herrscht, zeigt auch die Feststellung von VP-Landwirtschaftssprecher Josef Türtscher: „Wir brauchen wieder mehr Information darüber, was unsere Landwirtschaft leisten kann und was nicht.“
Landwirtschaft vs. Naturschutz
Ein weiterer Konflikt könnte sich aus einer möglichen Umorientierung ergeben. Naturschutzorganisationen wehren sich immer wieder gegen eine Umwandlung von Grünland in Ackerland. Begründet wird das mit verstärkten Emissionen von Treibhausgasen, einem Humusverlust sowie löslichen Stickstoffverbindungen, die zu Gewässerbelastungen führen können. Dazu kommt ein Flächen-Konflikt, der vor allen im Osten Österreichs voll entflammt ist: Produktion von Bioenergie versus Nahrungs- und Futtermittelproduktion. Die Grünen in Vorarlberg plädieren jedenfalls für eine Landwirtschaft, die den Klimawandel begrenzt statt befeuert und die Artenvielfalt erhält.
Letztendlich ist die „Strategie der Vielfalt“ eine Frage des Wollens und des Konsumverhaltens. Doch dann müsste die Landwirtschaft umdenken. Anstatt auf weiteres Land zu pochen, sollte sie für eine bessere Ernährungssicherheit ihre bestehenden Flächen entsprechend nutzen.
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