Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

Über das Nervensystem der Wirtschaft

Juni 2022

Logistik ist allgegenwärtig, ohne sie würde nichts funktionieren.

Nach der Automobilindustrie und dem Handel ist die Logistik die drittgrößte Branche in Deutschland, mit insgesamt 3,2 Millionen Beschäftigten. Das „Handelsblatt“ nannte die Logistik-Branche erst vor Kurzem den „Motor für wirtschaftliches Wachstum und den Arbeitsmarkt“. Für Österreich sind zwar keine entsprechenden Zahlen, keine entsprechenden Rankings erhoben.Man kann aber davon ausgehen, dass die Bedeutung der Branche auch hierzulande eine entsprechend hohe ist, sagt Günter Waibel, Professor an der HTL Dornbirn. Dort wird seit ein paar Jahren der Studiengang „Logistik, Supply Chain Management und Nachhaltigkeit“ angeboten, ein Studiengang (siehe Seite 10), dessen Absolventen in der Vorarlberger Wirtschaft sehr begehrt sind. Denn Logistiker sind in den unterschiedlichsten Branchen gesucht, bei Logistik-Unternehmen, aber auch in der Industrie, im Handel, in Dienstleistungsbereichen, im Gesundheitswesen, nur um Beispiele zu nennen. 

Das Nervensystem

Und warum? Weil Logistik allgegenwärtig ist. Wir nützen sie permanent, jeden Tag. Wirtschaft und Gesellschaft sind gleichermaßen auf ihr Funktionieren angewiesen. Wenn wir – beispielsweise – im Supermarkt zum Produkt unserer Wahl greifen, oder das im Internet bestellte Produkt zugestellt bekommen, dann haben wir das der dahinterliegenden Logistik zu verdanken.
„Ohne funktionierende Logistik“, erklärt Stefan Oberhauser, Niederlassungsleiter Vorarlberg bei Gebrüder Weiss, „würden Unternehmen nichts mehr produzieren, nichts mehr exportieren.“ Günter Waibel nennt Logistik schlicht „das Nervensystem der Wirtschaft“. Philipp Wessiak, Leiter der Logistik bei „Hilti und Jehle“, sagt: „Logistik ist der Enabler – der Ermöglicher – der Wirtschaft. Ohne sie kommt weder der Rohstoff zum produzierenden Unternehmen noch das fertige Produkt zum Kunden.“ 
Um nochmals Waibel zu zitieren: „Globalisierung funktioniert nur mit Logistik.“ Wessiak erklärt: „Erst die Logistik ermöglicht den globalen Warenverkehr.“ Es ist ein vielschichtiges, ein komplexes Thema, mit immenser Bedeutung für einen Wirtschaftsstandort. Der Erfolg der Vorarlberger Wirtschaft – sie vermeldet jedes Jahr neue Exportrekorde – ist nicht nur, aber auch zu einem Gutteil einer bestens funktionierenden Logistik zu verdanken. Denn in vielen Fällen ist laut Stefan Oberhauser auch die schnelle Verfügbarkeit eines Produkts ein wichtiges Kriterium, warum sich Kunden für Vorarlberger Produkte entscheiden. Von den etablierten Transportverbindungen in die Ziel- und Verkaufsmärkte profitiere die hiesige Wirtschaft, erklärt Oberhauser. Und einig sind sich die Experten auch in einem Punkt: „Logistik wird weiter an Bedeutung zunehmen, sie wird in Zukunft den Unterschied ausmachen.“

Ein komplexer Prozess

An dieser Stelle, pardon, ist dann doch eine kurze Definition angebracht: Etwas vereinfacht formuliert, ist Logistik die Steuerung der Informations-, Material- und Werteflüsse in einem Unternehmen. Unter dem Begriff „Supply Chain“ wird wiederum das Management der Versorgungskette verstanden, da geht es darum, ganze Lieferketten zu steuern und zu planen. Gerade diese Steuerung von Wertschöpfungsnetzwerken werde für die Wirtschaft immer wichtiger, sagt Waibel.
Und warum? „Weil die Eigenfertigungsquote in den Unternehmen immer stärker abnimmt.“ Der studierte Informatiker verweist etwa auf die Computerindustrie: „Früher hat beispielsweise IBM alles selbst gemacht, vom Prozessor bis hin zum Zusammenbau eines Rechners und den Vertrieb. Heute gibt es weltweit Spezialisten für die einzelnen Bereiche. Und die Folge davon ist, dass das Lead-Unternehmen seine Lieferanten- und Vertriebsnetzwerke steuern muss.“
Ein anderes Beispiel stammt aus der Automobilindustrie: „Für die Produktion eines Autositzes gibt es sieben Lieferantenstufen.“ In einer – älteren, aber recht anschaulichen – Definition hieß es übrigens, es sei Aufgabe der Logistik „die richtigen Waren im richtigen Zustand zur richtigen Zeit am richtigen Ort zuzustellen“. Material, sagt der HTL-Professor, müsse immer im Fluss, immer in Bewegung sein. 

Spezielle Lösungen

Die Firma LTW bietet laut Geschäftsführer Konrad Eberle mit ihren Kernprodukten ganz spezielle Lösungen an: Maschinenanlagen und Konzepte zum Transport von Transporteinheiten, „in allen Größen, Dimensionen und Temperaturen“, also vom Tiefkühllager bis hin zum klassischen Palettenlager, inklusive der jeweiligen Software. „Irgendwo muss man lagern“, sagt Eberle, „weil die Zykluszeiten im Produktions- und im Lieferprozess nicht identisch sind.“ Selbst bei einer Just-in-Time-Produktion müsse zwischengelagert werden: „Und es ist unsere Stärke, Transport und Lagerung am effizientesten zu machen.“ Wobei mit der Lagerung, „diesem essenziellen Teil in der Wertschöpfungskette“, Digitalisierung und Automatisierung bereits engstens verbunden sind, und weiter an Bedeutung zunehmen werden: „Durch automatisiertes Handling hat man den Prozess und die Kosten im Griff.“ 

Ein Blick in die Zukunft

Auch in diesem Bereich sind die Herausforderungen groß. Eberle berichtet von einem Containerlager in der Schweiz, einem Lager für 20-Fuß-Container mit jeweils 20 Tonnen. Und sagt: „Wenn es etwas Besonderes ist, dann lieben wir das.“ Im Übrigen ist der Geschäftsführer überzeugt davon, dass der Bedarf an Hochregallagern und Regalbediengeräten künftig weiter steigen wird, und auch die Dimensionen der zu lagernden Lasten zunehmen werden: „Man wird künftig Sachen lagern können, an die man heute noch gar nicht denkt.“ LTW, eine Tochter von Doppelmayr, hat rund 300 Mitarbeiter und ist ein Pionier der Branche: „Bereits 1986 haben wir in Graz das erste vollautomatische Lager realisiert, mit einer Grazer Software-Firma in einer Partnerschaft.“ Die Firma ist heute in allen Branchen vertreten.
Philipp Wessiak, stellvertretender Regionalobmann im „Verein Netzwerk Logistik“, sagt, dass mittlerweile allen produzierenden Unternehmen, unabhängig von der jeweiligen Größe, die Bedeutung von Logistik bewusst sei: „Weil nicht nur das Produkt selbst, sondern auch das Service rund um dieses Produkt essenziell ist. Um langfristig bestehen zu können, muss ein Unternehmen heute in diesem Bereich gut aufgestellt sein.“ Denn ohne Logistik, ohne Supply-Chain komme weder der Rohstoff zur Herstellung des jeweiligen Produkts zum Unternehmen noch das fertige Produkt zum Kunden: „Intelligente Management-Methoden in diesem Bereich sind entscheidend für den Produktpreis und damit auch für den Erfolg eines Unternehmens.“ 

Herausfordernde Zeiten

Doch die Abläufe sind komplex, das eine greift in das andere. Wird die Kette unterbrochen, steht die Produktion. Und die Zeiten, sie sind herausfordernd. Die Branche ist aktuell geforderter denn je.
Die Pandemie ist nicht ausgestanden, in der Ukraine herrscht Krieg, gegen Russland sind Sanktionen in Kraft getreten, auch der Brexit; Handelsrouten, Lieferketten und Warenströme sind weltweit unterbrochen. 
Momentan spüre jeder, dass „das Getriebe aus dem Ruder“ laufe, berichtet LTW-Geschäftsführer Konrad Eberle: „Ware ist kaum erhältlich, produzierende Betriebe bekommen die benötigten Rohstoffe oder die Teile für das Assembling nicht, es sind unglaublich herausfordernde Zeiten.“ Sinnbildlich dafür steht wohl auch die „Ever Given“, jenes gigantische Containerschiff, das im März 2021 tagelang den Suezkanal blockierte, hunderte Schiffe an der Durchfahrt gehindert und damit Schätzungen zufolge zu einem täglichen Transportausfall von Ladungsgütern im Wert von über neun Milliarden US-Dollar geführt hatte. „Ein Glied geht kaputt und die gesamte Kette reißt“, sagt Eberle, „steht die Transportkette, steht die Produktion.“ Auch Philipp Wessiak spricht von turbulenten Zeiten, von einer turbulenten Situation am Beschaffungsmarkt, bedingt durch globale Verwerfungen. Er sagt: „War Logistik in vielen Unternehmen zuvor ein System mit stabilen Abläufen, ist das nun kein Routinejob mehr. Man ist aus der Komfortzone geraten, muss nahezu jeden Tag steuernd eingreifen, aus einst stabilen Prozessen ist heute ein Fahren auf Sicht geworden, wenn einst etablierte Lieferketten jäh unterbrochen werden.“ 

Systemrelevant

Doch welche Bedeutung Logistik im Alltag hat, das ist der breiten Masse wohl erst mit Beginn der Pandemie bewusst geworden. Im „Handelsblatt“, um die deutsche Zeitung nochmals zu zitieren, stand: „Besonders die Zeit nach dem Ausbruch der Pandemie hat gezeigt, wie immens wichtig und systemrelevant eine funktionierende Logistikbranche ist und vor welchen Herausforderungen die Logistikbranche steht.“ Der „Verein Netzwerk Logistik“ legt nach: „Spätestens seit 2020 hat das Wort ‚Lieferkette‘ nicht mehr Experten- oder gar Exotenstatus, sondern mehr denn je mediale Aufmerksamkeit. Gerade in Krisenzeiten zeigt sich, wie wichtig eine funktionierende Logistik ist.“
In der Tat hat Corona sichtbarer gemacht, wie systemrelevant – um dieses Wort zu gebrauchen – die Leistungen der Logistik sind. Gerade in der Pandemie, das berichtet auch Günter Waibel, „hat man gesehen, wie ausgeklügelt Logistik eigentlich ist.“ Der Konsument aber sehe die dahinterstehende Organisation, Steuerung und Planung in aller Regel nicht, er registriere das funktionierende System kaum, „den Menschen fällt nur auf, wenn das System einmal unterbrochen ist.“ Wenn also das Produkt der Wahl ausnahmsweise einmal nicht im Supermarkt verfügbar ist. Auch Philipp Wessiak sieht mittlerweile ein stark gestiegenes Bewusstsein für die Bedeutung von Logistik, bedingt durch den stetig wachsenden E-Commerce, den elektronischen Handel, vor allem in der Zeit der Pandemie.
Apropos. Lasse man die beiden vergangenen Jahre Revue passieren, sagt Stefan Oberhauser, „dann kann man stolz auf die Logistik sein. Stolz darauf, was wir in und für Vorarlberg erreicht haben – trotz der Corona-bedingten Einschränkungen, gerade zu Beginn der Pandemie.“ Die Branche mit all ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, sagt der Logistiker, habe das Rad am Laufen gehalten.

Erfahrung

Gebrüder Weiss ist das älteste Transportunternehmen der Welt. Die Wurzeln des Familienunternehmens mit Stammsitz in Lauterach und weltweiten Niederlassungen reichen bis ins 15. Jahrhundert zurück. Bis zum Mailänder Boten, der damals auf abenteuerliche Weise die Alpen überquert und Waren, Post und Reisende von Lindau nach Mailand transportiert hatte. 
Die Erfahrung nutzt dem Transport- und Logistikunternehmen, das heute an 180 Standorten in 35 Ländern 8000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. Gerade in den zwei vergangenen herausfordernden Jahren habe sich gezeigt, was den Unterschied ausmache, sagt Oberhauser: „Und das sind die Menschen.“ Gebrüder Weiss habe, auch dank des firmeneigenen Ausbildungssystems, in der Belegschaft einen guten Mix aus Lehrlingen, jungen Professionals und vielen langjährig Beschäftigten: „Wer schon lange in der Logistik tätig ist, der kennt die Möglichkeiten und kann im Fall des Falles auch improvisieren.“ 
Denn Logistik ist nichts Starres, Logistik ist ein Prozess, der – falls erforderlich – verändert werden kann.
Wessiak erklärt: „Logistik ist ein steter Prozess in einem hochdynamischen Umfeld. Jede Regulierung, jede Sanktion, jede Marktverschiebung, jeder Konjunktureinfluss, alles wirkt sich auf die Logistik aus.“ Sie müsse sich schnellstens an neue Gegebenheiten anpassen und für stabile und effiziente Abläufe im Hintergrund sorgen.
„Uns stellen sich täglich neue Herausforderungen“, berichtet Oberhauser mit Blick auf das regionale, nationale und internationale Geschehen, „wir müssen also entsprechend flexibel sein, um auf die jeweilige Situation reagieren zu können.“ Was auch immer die Zukunft bringe, an Nachwehen der Pandemie, an Verknappung von Waren, an neuen Handelswegen, „es wird Veränderungen geben, auf die wir entsprechend reagieren werden, im Sinne der Vorarlberger Wirtschaft, im Sinne der Vorarlberger Bevölkerung.“
Nochmals soll das „Handelsblatt“ erwähnt sein. Steffen Bartsch, ein Logistiker, hatte dem Blatt gesagt: „Es herrscht eine sehr hohe Dynamik in den Märkten. Unternehmen stehen unter Druck, die Kundenanforderungen von permanenter Warenverfügbarkeit, kleinteiligen Bestellungen, hohen Ressourcenquoten wie im Bereich Fashion und höchstem Servicelevel zu bedienen. Dabei ist das Nachfrageverhalten der Kunden nicht stabil, sondern wechselhaft. Dies verlangt den Unternehmen eine enorme Flexibilität im Umgang mit ihren Kunden, sowie im Bereich der Fertigung und Logistik ab.“ 
Doch eines muss abschließend noch erwähnt sein, die Anspruchshaltung privater Kunden. „Die Leute wissen heute mehr über Logistik als vor der Pandemie“; sagt Wessiak, „sie wissen aber trotzdem immer noch sehr wenig darüber.“ Kritisch sieht Logistiker Oberhauser die Entwicklung im E-Commerce beim Thema Transportkosten. Große Onlinehändler würden den Menschen suggerieren, dass es keine Frachtkosten gebe, sagt Oberhauser: „Man kann bestellen und zurückschicken, was man will, es kostet nichts: Dieser Eindruck hat sich verfestigt.“

Studiengang an der HTL Dornbirn: Die Absolventen sind sehr gefragt 

An der HTL Dornbirn wird seit einigen Jahren der Studiengang „Logistik, Supply Chain Management und Nachhaltigkeit“ angeboten. Pro Jahr wird eine Klasse mit bis zu 25 Schülern geführt, jeder Jahrgang wird dabei im Rahmen eines Mentoringprogramms von Vorarlberger Unternehmen begleitet. Laut HTL-Professor Günter Waibel – er ist gemeinsam mit Patricia Tschallener für den Studiengang tätig – ist das Engagement der Firmen groß. Die Absolventen sind wiederum in der Vorarlberger Wirtschaft sehr gefragt, in den unterschiedlichsten Branchen und von den renommiertesten Unternehmen. Auch gibt es nach der Matura verschiedene Möglichkeiten, sich vertieft mit dem Thema Logistik auseinanderzusetzen, etwa an der FH Vorarlberg. Die Universität St. Gallen hat mittlerweile gar ein eigenes Institut für Logistik und Supply Chain Management.
www.htldornbirn.at/ausbildung/wirtschaftsingenieurwesen/logistik

Kommentare

To prevent automated spam submissions leave this field empty.