Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Und dann spring ins kalte Wasser!“

Oktober 2019

Haya Molcho zieht mit neun von Israel nach Bremen, wo sie auch ihren Mann Samy trifft. Mit dem berühmten Pantomimen reist sie sieben Jahre um die Welt, danach zieht das Paar nach Wien und bekommt vier Söhne. Das reicht für ein Leben?
Haya Molcho fängt noch ein zweites an. Sie eröffnet ihr erstes Restaurant in Wien. Aus dem ersten Restaurant ist heute das Gastronomie-Imperium Neni geworden, das Haya gemeinsam mit ihren Söhnen betreibt. Wie das geht? Das verrät die Star-Gastronomin (64) bei einer Veranstaltung der Wirtschaftskammer am 8. Oktober in Feldkirch – und vorab im Interview mit „Thema Vorarlberg“.

Sie haben über sich und Ihren Mann Samy einmal gesagt: „Er hat die Bühnen der Welt erobert, ich die loka​len Märkte.“ 
Ich war sehr jung, als wir geheiratet haben, mein Mann hatte damals einen Welterfolg, wir waren sieben Jahre lang auf Tourneen. Und als junge Frau wollte ich nicht nur die Frau von Samy Molcho sein, ich wollte auch meine eigene Identität finden. Und die fand ich in den Märkten und Restaurants in den unterschiedlichen Ländern, die wir bereisten, ich fand sie im Kochen. Ich fand meine Identität, bestärkt auch von Freunden, vor allem aber durch Neugier. Ich würde sagen, meine Neugier hat mich in erster Linie zu dem gemacht, was ich heute bin.

Sie haben heute Restaurants in Berlin, Hamburg, Wien, Paris, Amsterdam, Zürich und Köln, ein eigenes Catering, Sie beliefern mit Ihren Produkten 1600 Spar-Filialen und Hotels in ganz Europa, Sie haben 650 Mitarbeiter, das sind imposante Zahlen …
Ja, die Zahlen sind imposant, vor allem, wenn man sich überlegt, dass das alles erst in den vergangenen zehn Jahren entstanden ist. Drei meiner vier Söhne arbeiten in unserem Familienunternehmen mit, ein jeder hat sich mit seinen ganz eigenen, speziellen Fähigkeiten in die Firma eingebracht. Diese unterschiedlichen Begabungen ergeben eine Einheit. Wir sind eine starke Gruppe. Wir machen, was wir können, wir ziehen unsere Vision durch und sind dabei authentisch geblieben, das macht uns aus. Und wir bleiben nicht stehen, niemals, das ist ganz entscheidend. Denn gerade in der Gastronomie gibt es ständig neue Trends, auf die man reagieren muss.

Jetzt nehmen wir an, dass am Anfang eine ganz bestimmte Vision stand.
Ja. Als die Kinder aus dem Haus waren, war es meine Vision, ein Lokal zu haben, ein eigenes Restaurant. Ich kam vom Catering, aber ich wollte ein Restaurant. Aber nicht irgendeines: Dieses Restaurant sollte an einem Markt gelegen sein, weil ich in Israel an einem Markt aufgewachsen bin. Ich habe lange gesucht, bis ich endlich das passende Lokal gefunden hatte. Am Naschmarkt in Wien. Das war der Anfang.

Woher kommt denn Ihre Leidenschaft fürs Kochen?
Die hatte ich schon als Kind. Bei uns zu Hause, im Orient und im Nahen Osten, kocht man sehr viel zu Hause, man kocht für Großfamilien. Und weil mein Vater, ein Zahnarzt, in seinem Beruf oftmals Lebensmittel statt Geld bekommen hat, habe ich schon von klein auf einen nachhaltigen Umgang mit Lebensmitteln erlernt. Was soll man sonst auch machen mit einhundert Kilogramm Tomaten? Oder mit sehr vielen Melanzani? Kochen war für mich immer schon Leidenschaft.

Wie würden Sie Ihre Küche beschreiben?
Als Weltküche. Durch Einwanderung wurde Israels Küche sehr vielfältig, jeder Einwanderer brachte etwas Anderes mit. Wir als zweite Generation haben gelernt, diese unterschiedlichen Einflüsse zu vereinen. Die Weltküche ist im wahrsten Sinn des Wortes eine Kombination der Welt. Durch Essen spürst du unterschiedliche Kulturen, unterschiedliche Gerüche, unterschiedliche Geschmäcker, du schmeckst all die bunten Farben. Die Weltküche steht für Offenheit. Und das ist, so hoffe ich zumindest, auch die Zukunft der Welt. Habt keine Angst vor dem Fremden! Lernt die unterschiedlichen Kulturen kennen! Denn jede Kultur hat Wunderbares in sich, und wenn man das entdeckt, wird man auch anders denken. Wenn man nicht gerade ein Fanatiker ist. Aber von denen will ich nicht sprechen. Ich rede von den Menschen, ich rede vom Grundprinzip der Menschheit.

Und woher stammt ihr Unternehmergeist?
Der Unternehmergeist kam mit Neni, wobei sich um die wirtschaftlichen Aspekte ja mehr meine Söhne kümmern. Meine Jungs entscheiden, was wir kaufen, in was wir investieren. Damit habe ich eher wenig zu tun, ich bin mehr der kreative Kopf. Diese Aufteilung ist ja genau das, was unsere Firma so stark macht. Auch deswegen rate ich jedem, der sich selbstständig macht: Nimm dir einen guten Steuerberater, nimm dir einen guten Buchhalter, nimm dir gute Mitarbeiter! Du kannst nicht alles alleine machen. Konzentrier dich stattdessen auf deine Begabungen! Da kommt meiner Ansicht nach übrigens auch das Schulsystem ins Spiel. Die Schule sollte nicht jedem Kind alles beibringen wollen; sie sollte vielmehr jedes Kind in seinen speziellen Begabungen fördern. 

Es gibt da folgendes Zitat von Ihnen:
„Es gibt nichts, was wir nicht schaffen!“ Dieser Satz muss doch jenen Mut machen, die sich selbstständig machen wollen …

Ja. Aber auch das kommt von der Erziehung! Da haben mich meine Eltern geprägt. Wir sind Holocaust-Überlebende, und der jungen Generation in Israel hat man von klein auf beigebracht: Ihr werdet nie wieder unterdrückt werden! Wenn ihr etwas wollt, dann schafft ihr das! Das sind Sätze, die mich sehr geprägt haben. Es gibt nichts, was du nicht schaffen kannst! Du musst es nur wollen! Das ist Erziehung. Wenn doch alle Eltern ihre Kinder so erziehen würden! Lobt eure Kinder nicht nur, wenn sie etwas geleistet haben! Sagt Ihnen, dass sie alles erreichen können, wenn sie nur wollen! Man sollte jedem Kind diesen Glauben an sich selbst vermitteln und es damit zu einem selbstständigen und selbstbewussten Menschen machen.

Sie haben mit 45 Jahren den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt und rückbli­ckend gesagt: „Kein Mensch lebt ohne Ängste. Aber wenn du Ängste annimmst und Lösungen findest, ist es positiv.“
Wer in seiner Angst verharrt, blockiert sich. Wenn ich beispielsweise Angst vor dem Fliegen habe, dann hilft es mir doch nicht, einfach nicht zu fliegen. Das ist doch keine Lösung! Ich will doch den Ursprung und den Grund meiner Ängste kennen! Der Mensch muss sich mit seinen Ängsten konfrontieren. Nur so kann er sie lösen und überwinden. Wer das schafft, erlebt vielleicht sogar ein anderes Ich. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ich habe „Kitchen Impossible“ mit Tim Mälzer gemacht. Natürlich hatte ich zuvor Angst, das ist eine große Sendung, doch ich habe mich überwunden und bin jetzt stolz auf das, was ich geschafft habe. Wenn du dich von Anfang an bremst, wirst du doch niemals wissen, was du alles schaffen hättest können!

Man bereut nicht das, was man gemacht hat, sondern das, was man nicht gemacht hat?
Wenn ich einmal sterbe, kann ich sagen, ich habe sehr viel geschafft, ich habe schön gelebt. Und ich muss mir nicht sagen, was ich denn alles in meinem Leben versäumt habe. Ich werde mir dann nichts vorwerfen können. Ich glaube, dass Menschen, die glücklicher sind, am Ende auch leichter loslassen können; viel leichter als jene, die zurückschauen und bereuen, was sie alles verpasst haben.

Haben Sie das Gefühl, dass die Menschen heute weniger den Mut zur Eigenständigkeit haben?
Ja, weil sie viel zu viel überlegen, sich zu viele Gedanken um mögliche Risiken machen und zu viele Ängste haben. Einer meiner Söhne und seine Freundin leben jetzt in Los Angeles, sie lieben sich, aber als es darum ging, in die USA zu gehen, hat sie sich ständig gefragt, was denn alles passieren könnte. Ich habe ihr gesagt: ‚Wenn du es nie versuchst, dann wirst du auch nie wissen, ob du das geschafft hättest!‘ Sie hat ihre Ängste überwunden, sie sind geflogen, sie sind glücklich. Ansonsten wäre vielleicht die Beziehung gescheitert. Aber ich glaube, das ist auch prinzipiell die Angst der jungen Menschen. Junge Menschen wollen perfekt sein, sie wollen nicht versagen, sie wollen keine Fehler machen. Dabei gehört ‚Fehler­machen‘ zum Leben. Ich habe auch viele Fehler gemacht, aber ich habe mir dabei immer gesagt, dass ich deswegen noch lange keine schlechte Geschäftsfrau bin. Wenn das eine nicht klappt, dann mach das andere! Weiter geht’s! Weitermachen! 

Das heißt, Ihr Credo lautet: Traut Euch! 
Absolut. Lasst euch nicht bremsen! Hört auf euch! Und lasst euch nicht zu sehr beeinflussen, nicht von anderen Menschen und nicht von negativen Gedanken! Man sollte wirklich das machen, was man will, und wenn es nicht klappt, na und? Dann liegt immer noch das ganze Leben vor einem. Man kann immer noch so viel schaffen!

Auch ein erfolgreiches Unternehmen ist vor Rückschlägen nicht gefeit. Wie gehen Sie damit um?
Auch in einer Ehe läuft nicht immer alles nach Wunsch. Auch wenn man schon lange Zeit verheiratet ist, läuft nicht immer alles glatt. Ich würde sogar sagen: Wenn alles glatt läuft, dann stimmt irgendetwas nicht. Es gibt immer Höhen und Tiefen, das gehört zum Leben. Und damit muss man umgehen können. Man muss auch wissen, dass das eine das andere bedingt: Ohne Tiefen gibt es keine Höhen. Und umgekehrt. Natürlich hatten wir auch Rückschläge zu verkraften: Wir hatten beispielsweise ein Restaurant aufgemacht, das nicht lief. Der Ort war nicht für uns geschaffen, wir haben uns dort nicht wohlgefühlt. Und das genügt schon. Wenn man sich bei etwas nicht wohlfühlt, dann sollte man sofort reagieren. Warte nur ja nicht zu lange mit einer Entscheidung! Nicht stehenbleiben, wenn irgendetwas nicht geht! Das ist immer unsere Philosophie gewesen. Man sollte auf sein inneres Gefühl achten, entsprechend handeln und Rückschläge nicht persönlich nehmen. Du hast einen Fehler gemacht? Korrigiere ihn so schnell wie möglich. Und mache etwas Anderes. Man darf bloß nicht am Falschen festhalten.

Sobald ein Problem identifiziert ist, soll man es also angehen. Und nicht aufschieben?
Bloß nicht aufschieben! Der Mensch spürt ja, wenn irgendetwas nicht passt oder in die falsche Richtung läuft, das Aufschieben macht es nur noch schlimmer. Da ist die Reaktion entscheidend: Konfrontiere dich mit dem Problem, finde rasch eine Lösung! Wenn du das nicht tust, schiebst du nur die Probleme vor dir her, im Beruf wie im Privaten. Schau auf dich, nimm eine Kurskorrektur vor, falls das notwendig ist. Wir machen das in unserem Unternehmen ständig. Wenn wir ein Essen auf die Karte setzen, das bei den Gästen nicht ankommt, dann nehmen wir es sofort wieder aus dem Programm: Selbst, wenn wir noch so überzeugt sind, dass dieses Essen eigentlich gut ist. Das habe ich damit gemeint, dass man Rückschläge nur ja nicht persönlich nehmen darf. Das hat nichts damit zu tun, dass du schlecht kochen würdest, nein, es kommt einfach nicht an. Na und? Weg damit! 

Sie sagten auch einmal: „Ich habe Kritik nie persönlich genommen, ich bin neugierig, liebe das Leben und die Menschen, und ich habe nie meine Visionen verloren.“
Ja! Weil ich eben keine Angst vor Kritik habe und der festen Überzeugung bin, dass das zum Leben dazugehört. Kritik hilft uns weiter. Mir ist es doch viel lieber, ein Gast sagt mir, ihm habe etwas nicht geschmeckt, dann kann ich die Sache rasch ändern. Ich bin dankbar, wenn ich so etwas erfahre. Angenommen, er geht stillschweigend aus dem Lokal und sagt erst seinen Freunden, dass er nicht zufrieden gewesen sei, ja, was dann? Dann kann ich gar nicht reagieren. Etwas nicht zu erfahren, was einen selbst betrifft, das ist das Schlimmste. Kritik gibt uns die Chance, Sachen zu ändern und Fehler zu korrigieren. Ansonsten würde man seine Fehler ja immer und immer wieder wiederholen, man würde seine Fehler geradezu perfektionieren. Nein, ich sage: Auch Änderungen gehören zum Prozess des Lebens!

Was ist – abschließend – Ihr Tipp an all jene, die sich selbstständig machen wollen?
Es sind nicht alle dazu geeignet. Aber wenn man sich selbstständig machen will, dann sage ich: Lasse dich nicht zu sehr von anderen beeinflussen, höre auf dich selbst und dann findest du die richtige Antwort. Und dann spring ins kalte Wasser! Wenn die Vision da ist und die Passion und du genau weißt, was du willst, dann wird das auch funktionieren.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person Haya Molcho

* 1955 in Tel Aviv geboren – im Alter von neun Jahren zog sie mit ihren Eltern nach Bremen, wo sie nach der Matura Psychologie studierte. 1978 heiratete sie den Pantomimen Samy Molcho und ließ sich mit ihm in Wien nieder. Während der ersten sieben Ehejahre begleitete sie ihn auf all seinen Tourneen und lernte so die Küchen der Welt kennen.
Das Ehepaar hat vier Söhne: Nuriel, Elior, Ilan und Nadiv. 

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