Herbert Motter

Urlaub in Vorarlberg

Mai 2023
Eine Reise durch die Zeit: Vom Fremdenverkehr zum nachhaltigen Tourismus.

Die jüngsten Nachrichten vom Tourismus sind gute: In der laufenden Wintersaison wurden rund 1.071.700 Urlaubsgäste (+28,5 Prozent gegenüber Vorjahreszeitraum) mit mehr als 4,33 Millionen Übernachtungen (+19,7 Prozent) gezählt. Noch fehlt das April-Ergebnis für ein endültiges Bild, der Weg nach den beiden ernüchternden Corona-Jahren stimmt allerdings wieder. Die Jahre davor bestach der Tourismus als Meister der Regionalwertschöpfung. Eine Studie aus dem Jahr 2021 bestätigt dies: Mit rund 3,8 Milliarden Euro Bruttoregionalprodukt im Tourismusjahr 2018/19 hat die Vorarlberger Tourismuswirtschaft – bis zum Einbruch aufgrund der Corona-Pandemie im Jahr 2020 – zu etwa 20 Prozent zur Wertschöpfung des Landes beigetragen; rund 31.000 Vollzeitarbeitsplätze waren regional mit dieser Wirtschaftsleistung verbunden. Am meisten profitierte davon die Bauwirtschaft, gefolgt von Industrie und Handwerk sowie Handel.

Rekordjahr 2019
2019 erwies sich überhaupt als das absolute Rekordjahr in Bezug auf Nächtigungen und Gästeankünften: 9,2 Millionen Nächtigungen bei rund 2,5 Millionen Gästen. Heißt etwa 3,7 Übernachtungen pro Kopf. Zehn Jahre zuvor waren es noch gut vier Übernachtungen durchschnittlich pro Gast. 2002 lag der Wert bei 4,5 Übernachtungen pro Person. Man müsse sich aber darauf einstellen, dass Gäste generell kurzfristiger buchen, betonte Tourismus Vorarlberg-Geschäftsführer Christian Schützinger bereits im vergangenen Jahr. Das zeigt sich jetzt immer deutlicher.
Im Kalenderjahr 2022 wurden 8,5 Millionen Nächtigungen in Vorarl-berg registriert. In der Wintersaison rangierte Vorarlberg in absoluten Zahlen hinter Tirol, Salzburg und der Steiermark an vierter Stelle, im Sommer ist man an siebter Stelle. Wird die Tourismusintensität pro Einwohner herangezogen – das ist die Anzahl der Nächtigungen geteilt durch die Wohnbevölkerung – belegt Vorarlberg mit 23 Punkten den vierten Platz österreichweit. Knapp 4700 Beherbergungsbetriebe (inklusive Privatzimmer) mit rund 85.000 Betten stehen landesweit zur Verfügung; 11.639 unselbstständig Beschäftigte sind im gesamten Tourismus tätig, über 3500 mehr als noch vor 20 Jahren. Soweit die nackten Zahlen. 

Konzepte und Strategien
Noch weiter zurück begegnen wir dem ersten Fremdenverkehrskonzept. 1978 hatte die Vorarlberger Landesregierung erstmals eine Richtschnur für die Tourismuspolitik des Landes vorgegeben. Bereits in diesem Tourismuskonzept vor 45 Jahren erfolgten Weichenstellungen in Richtung umweltschonender Tourismus, wie beispielsweise Beschränkung des Zweitwohnungstourismus, Freihalten und genereller Schutz der Gletscher und Seeufer, Umweltverträglichkeitsprüfungen für viele Projekte in der freien Landschaft, Verzicht auf Erschließung neuer Schigebiete. Auch das Tourismuskonzept von 1992 war durch das Prinzip „Qualität vor Quantität“ beeinflusst und führte zu einem spürbaren Umdenken. Grundgedanken waren ein möglichst schonende Umgang mit der Natur, entsprechende Berücksichtigung des Umweltschutzes und die Erhaltung eines intakten, natürlichen Lebensraumes: „Diese Forderungen entsprechen den Wünschen der meisten Gäste, die Vorarlberg als Urlaubsziel hauptsächlich wegen der gepflegten und schönen Landschaft auswählen, wie Umfragen ergeben haben.“ Außergewöhnlich stellte sich 1992 die politische Zuständigkeit dar; der Landeshauptmann fungierte zugleich auch als Tourismusreferent. Tourismus war unter LH Martin Purtscher somit Chefsache; letztmalig. Heute ist der Tourismus dem Landwirtschaftsresort angehängt.
Der Aufschwung der Tourismuswirtschaft hat maßgeblich dazu beigetragen, der schleichenden Entvölkerung der Berg-regionen und der ländlichen Gebiete entgegenzuwirken. Dank der Tourismuswirtschaft konnte das Wohlstandsgefälle zwischen dem Verdichtungsraum Rheintal-Walgau und den Gebirgstälern weitgehend abgebaut werden.
Gastfreundschaft, Regionalität und Nachhaltigkeit – wurden dann als Eckpfeiler der Tourismusstrategie 2020 definiert, die von Land, Wirtschaftskammer und Vorarlberg Tourismus getragen wurde. 
Wie lässt sich der Vorarlberger Tourismus heute einordnen? Für Vorarlberger ist die große wirtschaftliche Bedeutung des Tourismus unbestritten. Das ist ein Ergebnis einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage, die im Rahmen der Entwicklung der Tourismusstrategie 2030 im Laufe des vergangenen Jahres durchgeführt worden ist. Dabei stimmten 91,3 Prozent der 1329 Befragten der Aussage zu, dass die Tourismusbranche ein wichtiger Arbeitgeber ist. 88,8 Prozent sehen im Tourismus einen bedeutenden Wirtschaftszweig. Markus Kegele: „Die Tourismusstrategie beschäftigt sich daher bewusst nicht nur mit Gästen von außerhalb, sondern erkennt auch die große Bedeutung des einheimischen Gastes. Nur bei einer guten Lebensqualität der Einheimischen ist auch ein gutes Angebot für ,Gäste auf Zeit‘ möglich.“

Schwierige Benchmarks 
Vergleiche seien nicht immer so leicht, man müsse immer die Rahmenbedingungen der Tourismusregionen berücksichtigen: geographische Lage, Topografie, wirtschaftliche Ausrichtung, touristische Schwerpunkte und so weiter. „Bei der Definition, was eine Top-Tourismus-Region ist, kommt es vielfach auf die Sichtweise an; für die einen sind es die Nächtigungszahlen, für die anderen die Wertschöpfung oder wie es gelungen ist, die Einheimischen in den Talschaften zu halten“, erklärt Kerstin Biedermann-Smith, Geschäftsführerin der Sparte Tourismus und Freizeitwirtschaft in der Wirtschaftskammer Vorarl-berg. Dazu Christian Schützinger: „Wir orientieren uns immer an den stärksten Mitbewerbern, wie etwa Graubünden.“ Das ausgewogene Verhältnis zwischen Sommer- und Wintersaison sei international betrachtet eine der Stärken Vorarlbergs. „National liefert der Tourismusmonitor Austria (T-MONA) mit der Gästebefragung in allen Bundesländern gute Vergleichsmöglichkeiten. Hier zeigt sich, dass Vorarlberg auch bei der Gästezufriedenheit, der Gastfreundschaft, beim Preis-Leistungs-Verhältnis oder Freizeiterlebnis über die Jahre überdurchschnittlich gut abschneidet“, erklärt VT-Geschäftsführer Schützinger. Vorarlberg sei keine reine Tourismusdestination wie andere alpine Regionen, die durch ihre Spezialisierung höhere Kosten und Risiken tragen. „Gesamtwirtschaftlich sorgt die Mischung verschiedener Sparten also für mehr Resilienz, erhöht aber den Wettbewerb um die besten Mitarbeiter.“
Andreas Zudrell, Hotelier des Hotels Fernblick Montafon in Bartholomäberg, hat als einer der ersten auf den Ganzjahrestourismus gesetzt. Für ihn hat sich der Tourismus vom Massen- zum Qualitätstourismus entwickelt. Er sieht in den familiengeführten Unternehmen, der Vor-arlberger Landschaft – speziell in der Vielfalt der einzelnen Destinationen sowie in der nachhaltigen Zusammenarbeit zwischen Tourismus und Landwirtschaft die großen Stärken des heimischen Tourismus. Schwächen ortet er in Investorenmodellen, der Ertragskraft familiengeführter Unternehmen, beim Thema Unternehmensnachfolge sowie beim Image der Tourismusberufe und der Mitarbeitersituation. Auf die Zukunft angesprochen, sagt Hotelier Zudrell: „Wir steuern ganz klar vom Saisontourismus zum Ganzjahrestourismus. Die Themen Nachhaltigkeit, Wertschätzung der touristischen Angebote und Digitalisierung sind dabei von zentraler Bedeutung. Für eine persönliche und gute Dienstleistung werden in Zukunft angemessene Preise gezahlt werden müssen, zudem wird die Menschlichkeit wieder mehr im Vordergrund stehen müssen, um Mitarbeiter zu gewinnen und Gäste zu begeistern.“

Tourismusstrategie 2030
Seit April verstärkt Joachim Kresser als stellvertretender Geschäftsführer das Team von Vorarlberg Tourismus. Seine Aufgabe wird es sein, die definierten Potenziale der Vorarlberger Tourismusstrategie 2030 mit allen Akteuren im Land zu heben: „Corona hat verdeutlicht, welche Schlüsselfragen tourismuspolitisch gelöst werden müssen. Das sind vor allem der Fachkräftemangel, die Mobilität und die Besucherlenkung. Nun kann niemand erwarten, dass im Zeitfenster bis 2030 alle Herausforderungen bewältigt werden.“ Bei der Strategie gehe es in den nächsten Jahren vor allem darum, zu verstehen, welche Maßnahmen wirken. Kresser: „Ein wichtiger Hebel ist die Weiterentwicklung ganzjahrestouristischer Angebote, um die Saisonen zu dehnen und so einen zeitlichen und auch einen räumlichen Ausgleich im Besucheraufkommen zu schaffen. Zusätzlich ist es wichtig, die öffentliche Verkehrsanbindung weiter zu verbessern, die Radstrategie umzusetzen und digitale Möglichkeiten zu nutzen, etwa wenn es um Besucherlenkung oder Dienstleistungen geht. Die große Klammer über allen Bemühungen ist die Nachhaltigkeit: Intakte Naturräume, Zufriedenheit bei Gästen, bei Mitarbeitern sowie in der Bevölkerung und der langfristige wirtschaftliche Erfolg sind deshalb zentrale Ziele der Strategie.“

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