Helmut Kramer †

(*1939 in Bregenz, † 2023 in Wien)  war von 1981 bis 2005 Leiter des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung, ab 1990 Honorar­professor an der Universität Wien, 2005 bis 2007 Rektor der Donau-­Universität Krems.
Foto: Robert Newald

 

David Stadelmann

* 1982, aufgewachsen in Sibratsgfäll, ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth, Fellow bei CREMA – Center for Research in Economics, Managemant and the Arts; Fellow beim Centre for Behavioural Economics, Society and Technology (BEST); Fellow beim IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues; Fellow am Ostrom Workshop (Indiana University); Mitglied des Walter-Eucken-Instituts.

 

Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

Von Abhängigkeiten und Sanktionen im Jahrhundert der Krisen

Mai 2022

Ein Thema, regionale, nationale und globale Aspekte: Was hieße es für Vorarlberg, künftig ohne Gas, Kohle und Öl aus Russland auszukommen? Eine Landtagsanfrage thematisiert das Thema der Stunde, der Volkswirtschaftler David Stadelmann schreibt, ob Sanktionen bestraften Regimen überhaupt schaden, während Ökonom Helmut Kramer prinzipielle Fragen stellt, in diesem „Jahrhundert der Krisen“.

Die Abhängigkeit 

Von Andreas Dünser

Den 27. April 2022 müsse man sich merken, hieß es jüngst in der „Presse“, diesen Tag, an dem Moskau mit dem Stopp der Gaslieferungen an Bulgarien und Polen erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg sein Versprechen nicht einhalte, Europa auch in schwierigen Zeiten verlässlich Energie zu liefern. Putin begrabe die Naivität, die Europas Energiepolitik über Jahre geprägt habe, hieß es: „Viele Länder Europas, allen voran Österreich, haben für die billigen Gasimporte aus Russland gerne ein Auge zugedrückt – und wachen nun mitten im Krieg in erdrückender Abhängigkeit auf.“
Die Abhängigkeiten sind in der Tat erdrückend. 80 Prozent der österreichischen Gasimporte kommen aus Russland. Vorarlberg und Tirol sind zwar nicht an das innerösterreichische Versorgungsnetz angeschlossen, sie werden über das deutsche Erdgasnetz versorgt. Allerdings sind auch die Deutschen von den russischen Gaslieferungen abhängig: Deutschland bezieht 55 Prozent seiner Gasimporte aus Russland. Der russische Lieferstopp wirkt sich nach Angaben der Bundes- und der Landesregierung zwar vorerst weder auf Österreich noch auf Vorarlberg aus; allerdings machte Landeshauptmann Markus Wallner in einer Aussendung nochmals auf die hiesige Situation aufmerksam: „Es muss sichergestellt sein, dass die strategische Gasreserve aus österreichischen Speichern für Tirol und Vorarlberg über das deutsche Netzgebiet zur Verfügung gestellt werden kann.“ Es werde zudem geprüft, ob und wie von Vorarlberg Gasspeicherkapazitäten in Deutschland genützt werden könnten. Verkehrt ist das nicht.
 Laut einer von den Neos eingebrachten und von den Landesräten Marco Tittler und Daniel Zadra beantworteten Landtagsanfrage sind in Vorarlberg 34.217 Erdgaskunden erfasst. Dabei handelt es sich überwiegend um Haushalte, allerdings sind auch Gewerbe und Industrie in Vorarlberg stark von Erdgas abhängig (siehe Tabelle). Als Anfang April im EU-Parlament ein mögliches Gas-Embargo diskutiert worden war, meldete sich IV-Präsident Martin Ohneberg mit deutlichen Worten: „Der Industriestandort würde sich mit einem Schlag aus dem Markt katapultieren. Der Wohlstandsverlust wäre beispiellos in der Geschichte der Zweiten Republik.“ Auch Kanzler Karl Nehammer, der bekanntgab, dass Österreich für die Anlegung strategischer Gasreserven bis zu 6,6 Milliarden Euro aus dem Budget vorsieht, sagte: „Mir wäre ein Ausstieg besser heute als morgen auch lieber – aber er ist nicht realistisch.“ Nicht realistisch?
 Laut einer Studie der Energieagentur im Auftrag des Umweltministeriums könnte Österreich ab dem Jahr 2027 ohne russisches Gas auskommen. Dazu müsste allerdings „der Gasverbrauch um ein Viertel reduziert, alternative Importe vorübergehend verdreifacht und die Produktion von Biogas und grünem Wasserstoff massiv ausgebaut werden“. Die Bundesregierung will Alternativen zu russischem Gas. Die russische Aggression habe alles verändert, auch die Energiepolitik, sagte Landesrat Zadra: "Es gibt kein Zurück mehr."
Aufschlussreich ist da auch ein Gespräch zwischen Agenda-Austria-Direktor Franz Schellhorn und Walter Boltz, dem ehemaligen Chef der E-Control. Denn Boltz sagt, Europa und auch Österreich könnten einen Stopp der russischen Gaslieferungen bewältigen: „Für Europa wäre es eine unangenehme, das Wirtschaftswachstum bremsende, aber nicht unbewältigbare Problematik.“ Zwar würde es die Industrie härter treffen, viele Unternehmen hätten allerdings schon jetzt angesichts explodierender Gaspreise Schwierigkeiten, kostendeckend zu produzieren. Boltz sagt: „2023 sollte das Schlimmste überstanden sein.“ Im eingangs erwähnten „Presse“-Artikel war noch ein interessanter Aspekt formuliert: Der 27. April 2022 könnte auch als jener Tag in die Geschichte eingehen, an dem Putin Europa den entscheidenden Stoß weg von den fossilen Brennstoffen gegeben hat.

Ein Ausstieg wäre mit immens hohen Kosten verbunden. Was aber ist der Nutzen? Könnte ein Gas-Embargo Putin überhaupt zum Einlenken bewegen? Diesen  Fragen geht David Stadelmann, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth, nach.

Über Sanktionen

Von David Stadelmann

Viele autokratische Regierungen leben mit westlichen Sanktionen recht gut, relativ stabil und vor allem erstaunlich lange, wie die Regime von Fidel Castro in Kuba, Saddam Hussein im Irak, dem Kim-Clan in Nordkorea, den Mullahs im Iran oder Bashar al-Assad in Syrien zeigen. Für die Bürger (korrekter – die Untertanen) in diesen Ländern ist das Leben eine Tortur, die sich durch Sanktionen verstärkt. Sanktionen reduzieren die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des betroffenen Landes. Sie machen viele Güter knapper und tragen zur Verarmung bei. Leider heißt das nicht, dass Sanktionen auch das betroffene Regime schwächen. Sanktionen ändern sowohl den Spielraum des Regimes wie jenen der Bürger. Vier Mechanismen stärken das Regime gegenüber den Bürgern.

Stärkung des Regimes durch Sanktionen

Erstens erhöhen Sanktionen in Form einer Einschränkung der Importmöglichkeiten des sanktionierten Landes dort die Knappheit vieler Produkte, z.B. von speziellen Computerchips. Das macht die entsprechenden Produkte oder ihre schlechteren Alternativen teurer. Sanktionen wirken dementsprechend ähnlich wie Protektionismus. Der führt bekanntlich zu vielen Verlierern. Aber es gibt ebenso Gewinner. Die Gewinner sind jene, die aus den höheren Preisen der knapp gewordenen Güter sowie ihrer Alternativen Profit schlagen können. Oft werden die Alternativen von dem Regime nahestehenden Kreisen produziert oder die Inlandsproduktion wird vom Regime mitkontrolliert, womit beide zu den Gewinnern gehören können. In Kuba kontrollierte das Castro-Regime große Teile der Produktion – gleiches gilt im Iran für die Revolutionsgarden.
Zweitens kann die Verknappung vieler Produkte aufgrund von Sanktionen eine Rationierung der betreffenden Produkte und ihrer Nachprodukte notwendig machen. Die Rationierung und Verteilung der wenigen noch vorhandenen Güter übernimmt das Regime. Wer Knappheit verwaltet und das wenig Vorhandene verteilt, kann Kollaboration erzwingen. Regimetreue Kreise werden bei der Verteilung bevorzugt, regimekritische Gruppen gehen leer aus. Rationierung und Verteilung an Regimetreue ist ein Machtinstrument des Regimes gegenüber den Bürgern.
Drittens bewirken Sanktionen Ausweichbewegungen in Form von Aktivitäten, die dem Schmuggelwesen ähneln. Das Regime versucht dabei, Schmuggelgewinne zu erzielen. So galten die Einnahmen von Milliarden an Petrodollars des Baath-Regimes unter Saddam Hussein als legendär. Schmuggler, die nicht mit dem Regime kollaborieren, werden ans Ausland „verpfiffen“. Das funktioniert, denn das sanktionierende Ausland versucht, das Schmuggelwesen zu unterbinden, damit die Sanktionen offiziell eingehalten werden.
Viertens führt der Abzug ausländischer Unternehmen aufgrund von Sanktionen zum Verkauf von deren Beteiligungen. Im Regelfall ist der Abzug für die betreffenden Unternehmen mit einem Verlust verbunden, weil sich schnelle Verkäufe nur zu tiefen Preisen realisieren lassen. Über die notwendigen Geldmittel zum Kauf der zu Schleuderpreisen offerierten Beteiligungen verfügen vor allem regimenahe Kreise.
Als Konsequenz dieser vier Mechanismen stärken Sanktionen oft das bestrafte Regime gegenüber den Bürgern und bescheren ihm ein langes Leben. In Kuba war Fidel Castro nach Jahrzehnten mit Sanktionen der USA noch fest im Sattel.

Aufstand der Bürger

Könnte es nicht sein, dass die Bürger im sanktionierten Land aufgrund der hohen Kosten und der Verarmung Widerstand gegen das Regime leisten?
Der Aufstand gegen ein autokratisches Regime ist ein öffentliches Gut. Die realen Gefahren des Widerstands gehen jene ein, die sich engagieren, der Nutzen des Widerstands käme allen zugute. Die Anreize Widerstand zu leisten, sind daher klein. Eine gut organisierte politische Opposition wäre notwendig. Dabei muss die Opposition für die Bürger absehbar besser sein als das Regime selbst. Tatsächlich folgt aber auf ein autokratisches Regime selten eine demokratische, bürgerorientierte Regierung, wie – vermutlich mit Ausnahme von Tunesien – die Bürger in den Ländern des arabischen Frühlings schmerzlich feststellten. Stattdessen folgt oft ein neues Regime, das dem Alten ähnelt. Der Aufstand gegen das Regime kann auch in einem Machtvakuum mit totalem Chaos enden, wie das Beispiel in Libyen nach Muammar al-Gaddafi zeigt. Das ist für die Bevölkerung häufig schlimmer als die Verarmung im alten, sanktionierten Regime. All das macht Widerstand eher unwahrscheinlich.
Darüber hinaus spielen gewisse psychologische Effekte wenigstens kurzfristig eine Rolle. Zwar beobachten die Bürger des sanktionierten Regimes, dass für sie die wirtschaftliche Lage schlechter wird. Aber sie interpretieren das nicht immer als Beweis für das Versagen ihrer Regierung. Manche Bürger verstehen Sanktionen als „Beweis“ dafür, dass das Regime tatsächlich recht hat und es um einen kollektiven Kampf gegen das Ausland geht. Die Regimepropaganda liefert für eine solche Interpretation gerne Unterstützung und regimetreue Bürger profitieren auch eher von der Rationierung, was nochmals den Glauben an die Propaganda erhöht.

Konsequenzen für Russland

Was bedeutet das alles für die Sanktionen gegen das Regime in Russland? Vor dem Krieg hatte Russland eine Wirtschaftsleistung, die klar kleiner als jene Italiens war. Insofern war es wirtschaftlich gegenüber der EU ein Zwerg. Vollständige Sanktionen würden die russische Wirtschaft weiter schrumpfen lassen. Doch selbst wenn die russische Wirtschaft um 30 Prozent einbrechen würde, wäre sie deutlich leistungsfähiger als jene des Mullah-Regimes im Iran oder des Kim-Klans in Nordkorea – und von beiden gehen Gefahren aus. Auch dürften Sanktionen das russische Regime gegenüber den eigenen Bürgern stärken.

Auf das aktuelle Aggressionspotential wirken Sanktionen nicht, denn die Waffen für bestehende Aggressionen sind bereits vorhanden. Mittel- bis längerfristig führt eine schwache Wirtschaftsleistung dazu, dass die vom russischen Regime ausgehende Gefahr sich etwas reduziert oder auf angrenzende, vermeintlich schwächere Länder begrenzen lässt. Möglicherweise war das der Haupteffekt der Sanktionen gegen Russland seit Annexion der Krim.
Krise folgt auf Krise. Was wir zu lernen haben, was wir tun müssen – das schreibt Ökonom Helmut Kramer in seinem Essay.

Im Jahrhundert der Krisen

Von Helmut Kramer

Das Abonnement des weltweit angesehenen Pressedienstes „Project Syndicate“ bringt zu Jahresbeginn immer ein Sonderheft „The Year 2022 Ahead“.   Rund 20 Analysen versuchten auch diesmal die Welt von 2022 auszuleuchten: die mögliche Überwindung der Pandemie, die Rolle Chinas als Weltmacht, die sich auftürmende Inflation und die Gefahr einer neuen Rezession. Die Namen Putin, Selenskyj oder Ukraine wurden im Jänner noch nicht ein einziges Mal erwähnt. Die Fassungslosigkeit, die die Barbarei in Städten wie Mariupol, Butscha oder Charkiw auslöst, war noch unvorstellbar. Mittlerweile musste die zivilisierte Welt das Ende der mühsam aufgebauten Friedensordnung zur Kenntnis nehmen. Sie mutwillig zu zerstören, schien bis zum 24. Februar 2022 undenkbar und sinnlos.
Brutales Streben nach persönlicher Macht, Fantasien von einer historischen nationalen Mission, abartige Ideologien, religiöse Rechthaberei und Geringschätzung von Wahrheit, Recht und Demokratie waren schon mehrfach in der Menschheitsgeschichte Anlässe für erbitterte Kämpfe und Leiden ganzer Generationen. Kompromissbereitschaft und Zugeständnisse, auf die sich sonst eine friedliche Gesellschaft stützt, sind riskant: sie könnten als Schwäche gedeutet werden. Angesichts der Erfahrungen mit dem Angriff auf die Ukraine sind jedenfalls Versicherungen des Verzichts auf Aggression aus dem Kreml unglaubwürdig.
Welche Situation der Krieg gegen die ukrainische Demokratie schließlich bringen wird, kann heute niemand seriös vorhersagen: anhaltende Bedrohung durch Putins Militär, Übergriffe auf Nachbarn oder gar der angedrohte Einsatz von Atomwaffen? Oder doch eine Kapitulation des Systems Putin? Am ehesten vielleicht ein misstrauisches Nebeneinander, wie wir das im Kalten Krieg lernen mussten, verbunden mit schweren Rückschlägen für den Wohlstand der Bevölkerung in West und Ost und für die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft.
Technologien, Wissenschaft, Bildung und politische Organisation, nicht zuletzt Triumphe der Medizin hatten dem größeren Teil der Menschheit einen kaum vorstellbaren materiellen Fortschritt gebracht. 
Erst knapp vor der Jahrhundertwende hatte sich in der Wissenschaft die an sich banale Erkenntnis durchgesetzt, dass das Naturkapital unseres Planeten wie dieser selbst begrenzt sein müsse: eine Einsicht, die fundamentale Bedeutung hat, mit unmittelbaren Konsequenzen für die Verteilung der begrenzten Kapazität auf die Gesellschaften der Erde und auf aufeinander folgende Generationen der Menschheit (Nachhaltigkeit).
Die Liberalisierung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen, leistungsfähigere Verkehrsmittel und immer dichterer Informationsaustausch hatten steigende Intensität der weltweiten Wirtschaftsbeziehungen (Globalisierung) zur Folge, vernachlässigten aber unvermeidliche Interessengegensätze, soziale Fairness, allgemeines Verständnis und die Verschiebung der Kompetenz von der Ebene der Politik zu weltweit tätigen Unternehmungen.
Die rasante, von der ständigen Zunahme menschlicher, besonders wirtschaftlicher Aktivitäten Belastung der natürlichen Umwelt und die bedrohlichen Perspektiven, die sich daraus ableiten lassen, stellen das Streben nach materiellem Wohlstand und die bisher als nahezu selbstverständlich angesehenen Entwicklungsziele in Frage. Erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts wurde der Klimawandel als Folge der Verdichtung der Erdatmosphäre durch Abgase der Verbrennung von fossilen Energieträgern (Gewächshauseffekt), von Wissenschaft und politisch Verantwortlichen offiziell anerkannt. Zwar vermögen Innovationen die Verknappung natürlicher Rohstoffe oft weit in die Zukunft hinauszuschieben. Letztlich signalisieren aber die Veränderungen der Umwelt, dass Grenzen der weiteren Nutzung erreicht oder überschritten sind.
Dies stellt eine gewaltige Herausforderung der heute entscheidenden Generation dar und sie steht überdies, wie die Projektionen vermuten lassen, unter kaum noch realistischem Zeitdruck. Die Dringlichkeit wird allerdings von vielen Menschen nicht ausreichend ernst genommen, besonders wenn sie Einbußen an heute gewohntem Komfort brächte.
Um nicht einerseits eine gravierende Verschlechterung der natürlichen Lebensbedingungen auf der Erde zu riskieren, oder andererseits Widerstände gegen neue Orientierungen zu überwinden, die nicht selten als „Verzicht“ interpretiert werden, sucht die Politik derzeit verstärkt nach Übergangsstrategien, etwa dem Ersatz von Kohle und Erdöl durch vermehrten Einsatz von Erdgas, das weniger klimaschädlich ist, oder nach einer neuen Generation von Kernreaktoren, die zwar nicht Emissionen, aber vielleicht andere Gefahren mit sich bringen. 
Zusätzlich zu dem sich laufend verschärfenden Dilemma der Umweltpolitik erschütterte im bisherigen Verlauf des 21. Jahrhunderts eine nicht absehbare Folge von weitgehend unerwarteten Krisen die Menschheit: Die Attentate des Nine-Eleven gaben ein schreckliches Signal.  Wenige Jahre später brachte ein zunächst regionaler Kollaps der Finanzspekulation das weltweite Finanzsystem an den Rand des Zusammenbruchs. Dies löste eine schwere Rezession aus, verbunden mit der Gefahr von Staatsbankrott und Auflösung der Europäischen Währungsunion. Besonders in islamischen Ländern riefen Hunger, Übervölkerung, Machtspiele und strategische Fehler des Eingreifens der USA verlustreiche Bürgerkriege hervor sowie millionenfache lebensgefährliche Flucht in Nachbarländer und nach Europa. Europas Reaktion darauf wurde durch Mangel an Solidarität, durch die Wahl des Nationalisten Trump und die Mehrheit für den Brexit und den folgenden Austritt aus der Europäischen Union erschwert. Auch in den jungen Mitgliedsländern Ost-Mitteleuropas gewannen nationalistische und reaktionäre Tendenzen an Einfluss, wie überhaupt angesichts der Komplexheit der sich stellenden Fragen populistische Argumentation und Abkehr von gesamtgesellschaftlicher Orientierung an verderblich zunahm. 
Seit Anfang 2020 breitete sich, ausgehend von China, eine gefährliche Pandemie über die ganze Erde aus.
Die Bedrohung durch die Pandemie drängte die Aufmerksamkeit für nahezu alle anderen Krisen in den Hintergrund, besonders die Umweltkrise. In der Politik erhalten unmittelbare persönliche Bedrohtheit der Bevölkerung und die Zeitnähe des Eintretens der Gefahr in aller Regel Vorrang, unabhängig von der Höhe längerfristiger Risiken. 
Die unzutreffende Diagnose der wahren Absichten Putins verhinderten taktische und strategische Vorkehrungen für den Kriegsfall. Zwischen den Spielzügen des Kreml und jenen der NATO bildete sich seit Kriegsbeginn ein intuitiv schwer verständliches Dilemma: westliche Staaten könnten den Import von russischem Gas mit einem Einfuhrzoll belegen. Sie würden damit einen Teil der Zollerträge, die zur Finanzierung der russischen Kriegsführung gedient hätten, in die eigene Staatskasse umleiten. Damit höhere Importpreise von Gas nicht die heimische Wirtschaft erwürgen, müsste der Preisanstieg aus dem eigenen Staatshaushalt kompensiert werden. Vielleicht hat der Autor eine ernsthafte Diskussion dieses Modells übersehen?  Es ist besonders für Staaten wie Österreich interessant, die es sich infolge der hohen Abhängigkeit von Russen-Gas nicht leisten können, den Import zu sperren.

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