Matthias Sutter

*1968 in Hard, arbeitet auf dem Gebiet der experimentellen Wirtschaftsforschung und Verhaltensökonomik, ist Direktor am Max Planck Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn und lehrt an den Universitäten Köln und Innsbruck. Der Harder war davor auch an der Universität Göteborg und am European University Institute (EUI) in Florenz tätig.

Von Managern und Leadern oder was CEOs eigentlich tun

Oktober 2021

Sie stehen im Rampenlicht, verdienen extrem viel Geld und haben große Macht:
die Vorstandsvorsitzenden oder CEOs großer Unternehmen. Sie arbeiten auch sehr viel,
aber womit verbringen sie eigentlich ihre Zeit? Nicht alle für dieselben Arten von Tätigkeiten,
wie sich zeigt. Das spielt eine Rolle für den Unternehmenserfolg.

Mein Innsbrucker Kollege Gottfried Tappeiner erzählte mir während meiner Jahre an der Universität Innsbruck einmal, dass einer seiner Söhne im Alter von ungefähr zehn Jahren ihn einmal gefragt habe, was denn ein „Chef“ oder eine „Chefin“ so den ganzen Tag lang mache.
Das würde ihn nämlich interessieren, weil der Titel attraktiv klingen würde. Gottfried, ein sehr gut vernetzter Südtiroler, hat daraufhin mit einem Südtiroler Unternehmenschef vereinbart, dass sein Sohn einmal einen ganzen Tag bei ihm verbringen und dabei erfahren kann, was ein Chef denn so tut und was alles zum Chef-Sein dazugehört. Ich fand damals sowohl das Interesse von Gottfrieds Sohn als auch Gottfrieds Initiative, seinem Sohn eine Antwort auf dessen Frage durch einen Tag mit einem Unternehmenschef zu geben, ausgesprochen beeindruckend. Chefs gelten ja häufig als recht entrückte Personen, denen man selten begegnet und von denen man wirklich nicht genau weiß, was sie tun. Nach seinem Tag mit dem Südtiroler Unternehmenschef wusste Gottfrieds Sohn, dass ein Chef sehr viele verschiedene Dinge tut: mit Mitarbeitern sprechen, mit Lieferanten und Banken verhandeln, sich auf Meetings vorbereiten, im Betrieb einen Rundgang machen, zu auswärtigen Geschäftsessen gehen, Emails beantworten (lassen) und vieles mehr.
Was CEOs als Chefs tun, interessiert aber nicht nur wissbegierige Kinder von Wissenschaftlern, sondern auch die Wissenschaftler selbst, weil sie damit besser verstehen können, warum CEOs für Unternehmen wichtig sind und welche ihrer Tätigkeiten für den Unternehmenserfolg bedeutsam sind. Oriana Bandiera von der London School of Economics hat mit Kollegen den Tagesablauf von über 1100 CEOs aus sechs Ländern (Brasilien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Indien und USA) in einem bisher unerreichten Detailgrad analysiert, um Verhaltensmuster identifizieren und den Zusammenhang zwischen dem Verhalten eines CEO und dem Unter­nehmenserfolg analysieren zu können.
Die CEOs kamen aus dem produzierenden Gewerbe, sie waren im Schnitt 51 Jahre alt, standen knapp über 1000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor und erwirtschafteten einen durchschnittlichen Umsatz von über 200 Millionen Dollar. Während einer Woche lang riefen Forschungsassistenten jeden Tag am Morgen und am Abend beim CEO selbst oder dessen Assistenz an, um den Terminkalender des CEO zu erfassen. Am Morgen ging es um den geplanten Tagesablauf, am Abend um den tatsächlichen, jeweils eingeteilt in 15-Minuten-Einheiten. Dabei wurden folgende Informationen erhoben: (i) die Art der Tätigkeit – zum Beispiel, ob es sich um ein Meeting, ein Geschäftsessen, einen Rundgang in der Firma oder Vorbereitungszeit für ein Meeting handelte; (ii) die Dauer eines Termins; (iii) die Anzahl und die Funktionen der Teilnehmer – also ob es sich um firmeninterne Gesprächspartner aus bestimmten Bereichen oder um externe Personen, wie Berater, Zulieferer oder Kunden, handelte. 
Die CEOs verbrachten im Schnitt 70 Prozent ihrer durchschnittlich 50 Arbeitsstunden im Gespräch mit anderen Personen (persönlich, per Videokonferenz oder am Telefon). Die restlichen 30 Prozent dienten Vorbereitungs- und Reisetätigkeiten. Diese Durchschnittswerte täuschen darüber hinweg, dass es große Unterschiede zwischen CEOs gab, insbesondere im Hinblick auf die Häufigkeit von Meetings oder die Anzahl der Personen in diesen Meetings. 
Mit Hilfe statistischer Methoden wurden aus der Menge an Daten dann zwei Typen von CEOs identifiziert, die man in der Managementliteratur auch gerne als „Manager“ und „Leader“ bezeichnet. Manager halten relativ häufig bilaterale Treffen ab, kümmern sich verstärkt um produktionsrelevante Aspekte und sind relativ häufig im Unternehmen in verschiedenen Abteilungen unterwegs. Leader hingegen verbringen mehr Zeit mit Meetings, in denen mehr als zwei Personen teilnehmen, die meist aus verschiedenen Unternehmensbereichen und dort aus dem Führungspersonal stammen. Sie kümmern sich weniger um die operativen als vielmehr die strategischen Entscheidungen des Unternehmens.
Die Häufigkeit, mit der eher der eine oder der andere Typ von CEOs anzutreffen ist, hängt beispielsweise von der betreffenden Branche ab. Leader sind häufiger in großen Firmen, wie multinationalen Konzernen, anzutreffen und in Branchen mit höheren Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Ob einer Firma ein Manager oder ein Leader vorsteht, hängt nicht vom (finanziellen) Erfolg des Unternehmens vor der Bestellung des aktuellen CEOs ab, hat aber einen Einfluss auf wichtige Unternehmenskennzahlen nach der Bestellung. Leader führen im Schnitt produktivere und profitablere Firmen an. Die besseren Kennzahlen stellen sich im Durchschnitt nach circa drei Jahren ein, was bedeutet, dass der Führungsstil einen mittelfristigen Effekt auf den Unternehmenserfolg hat. Bandiera und ihre Kollegen betonen allerdings, dass die aggregierten Ergebnisse nicht missverstanden werden sollten, dass alle Firmen erfolgreicher wären, wenn sie einen Leader als CEO hätten. 
Es wäre vielmehr eher so, dass der Typ des CEO zur Firma passen müsse, also zu ihrer Kultur und vor allem ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Diese Einsicht wiederum hebt die Bedeutung des Auswahlgremiums für einen CEO, üblicherweise den Aufsichtsrat, hervor. Dieses Gremium muss sowohl über die Belegschaft als auch die Kandidatinnen und Kandidaten für den Posten des CEO ausgezeichnet Bescheid wissen, um eine optimale Besetzung zu erreichen.

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