Vorarlberg: 8,2
Vorarlberg schafft es mit seiner hervorragenden Beschäftigungslage in die besten zehn Prozent aller 395 Regionen des OECD-Raums. Dieser umfasst alle Industrieländer weltweit und eine Reihe von fortgeschrittenen Schwellenländern. Ein neuer Regionalbericht mit Angaben bis 2014 ist vor Kurzem in Paris veröffentlicht worden.
Üblicherweise beziehen sich Wirtschaftsstatistiken meist auf die Ebene des Gesamtstaats. Man kann damit die Lage und Entwicklung Österreichs mit jener von Deutschland oder von Portugal vergleichen. Die Regionalstatistik erlaubt hingegen auch den direkten Vergleich zwischen Vorarlberg mit Schleswig-Holstein, mit der Westschweiz oder meinetwegen mit Hokkaido in Japan oder gar mit Nunavut, einer Polarregion Kanadas. Letzteres brauche ich gar nicht, werden Sie antworten. Aber vielleicht doch vergleichbare Angaben für Südtirol oder für die benachbarten Länder Bayern und Baden-Württemberg? Oder für die Hauptstadtregionen London, Île-de-France oder Berlin?
Diese ungeheure Menge an Daten, mit einem für den individuellen Bedarf des Anfragers maßgeschneiderten Zugriffsverfahren zugänglich und mit einer hochentwickelten Visualisierung durchschaubar gemacht, gibt es kostenlos, wenn man sich an die Software etwas gewöhnt hat.
Es geht hier nicht primär um die Wirtschaftsleistung, also um das Bruttoinlandsprodukt, an das wir uns ja längst gewöhnt haben, sondern vor allem um Fragen der Lebensqualität der Menschen, die in einer Region leben. „Wie lebt ihr in Barcelona oder in Lappland?“ Und: „Auf wie viel verfügbares Einkommen (netto?) kommt ihr?“ Klar, wahrscheinlich mehr als 99 Prozent der Daten werden Sie nie und nimmer brauchen. Aber in bestimmten Situationen kann eine statistische Angabe ähnlich viel wert sein wie eine Telefonnummer.
Der neue Schwerpunkt liegt nicht bei rein wirtschaftlichen Faktoren, sondern beim subjektiven Wohlbefinden: Beschäftigungslage (wie erwähnt: Vorarlberg unter den 39 besten von 395 Regionen auf der Welt), aber auch Fragen der Gesundheit (Lebenserwartung bei der Geburt: Vorarlberg 81 Jahre, Tirol 79, Lombardei 75!), Fragen der Schulbildung, der Umweltqualität und der Sicherheit. Man kann auch anders fragen: Wie unterscheiden sich Großstadt-Regionen von ländlich geprägten Landesteilen? Gibt es irgendwo in der Welt der entwickelten Regionen solche, die ähnliche wirtschaftliche und gesellschaftliche Strukturen aufweisen?
Zu dieser Frage gleich präzise Antworten: Die einzelnen regionalen Einheiten innerhalb eines Gesamtstaats weisen untereinander fast immer gewisse Ähnlichkeiten auf. Das hat mit bundeseinheitlichen Merkmalen der Infrastruktur, der öffentlichen Sicherheit oder des Schulsystems zu tun. So unterscheidet sich etwa Vorarlberg vom Burgenland etwas weniger als von Nordrhein-Westfalen. Andererseits ergibt schon ein oberflächlicher Blick auf die Daten, dass geografische Nähe auch über Staatsgrenzen hinweg Strukturen angleicht, etwa zwischen Vorarlberg und Südtirol. Oder dass das verfügbare Einkommen von Haushalten in Vorarlberg dem in Zürich, Baden-Württemberg oder Bayern näher kommt als jenem in den Regionen Belgiens.
Die neuen Daten liegen seit Mitte Juni vor. Sie sollten eingehend untersucht werden, weil sie wertvolle Aufschlüsse über Stärken und Schwächen des eigenen Landes erlauben. Auch weil einige Ungereimtheiten und Widersprüche auf den ersten Blick auffallen und geklärt werden sollten: etwa dass die österreichischen Bundesländer im internationalen Vergleich der verfügbaren Einkommen bemerkenswert gut abschneiden, im Vergleich etwa zu den Provinzen der Niederlande oder zu Kantonen der Schweiz, ausgenommen Zürich.
Und dann gibt es Indikatoren, die die tatsächlichen Verhältnisse schlecht wiedergeben: Als Maßzahl für die Wohnqualität wird die Zahl der Zimmer erhoben, die auf einen Bewohner entfällt. In aller Regel ist diese Zahl in Großstädten kleiner als in ländlichen Gebieten 2 in einem landwirtschaftlichen Anwesen gibt es aus früherer Zeit mehr Zimmer, die für das Personal benötigt wurden. Heute steht der Traktor im Stadel.
Wer braucht solche Zahlen? Weniger Ferienreisende, die sich über ihr Urlaubsziel informieren wollen – dafür gibt es bessere Informationen. Auch nicht in erster Linie Investoren, die die Auslagerung des Standorts nach Übersee beurteilen wollen. Natürlich die Professoren der Geografie, die aktuelle Realität statt Klischees bieten wollen. Vor allem aber die politisch Verantwortlichen, die gar nicht so sehr den aktuellen Stand benötigen, sondern die aufmerksam relative Entwicklungen – Verbesserungen und Verschlechterungen im internationalen Vergleich – verfolgen sollen. Immerhin reichen die Daten in den meisten Ländern schon über mehrere Jahre zurück – krisengeladene Jahre, in denen man zurückgefallen sein könnte, oder eben auch, wie glücklicherweise Vorarlberg, sich gut behauptet hat.
Und daher noch eine Frage auf Ehre und Gewissen an meine Vorarlberger Landsleute: Da gibt es neuerdings auch einen Indikator „Selbsteinschätzung der Lebenszufriedenheit“ mit maximal zehn Punkten. Zehn wäre also das Paradies. Österreich im Bundesdurchschnitt: 7,3 Punkte, Deutschland 6,7. Kann sein, okay. Warum aber Vorarlberg 7,1 und Tirol 7,5 Punkte? Das kann nicht wahr sein, auch wenn es sich in Tirol annähernd so gut leben lässt wie im Ländle. Ich würde den Bedingungen der Lebenszufriedenheit in Vorarlberg knapp über der Höchstnote geben. Diese ist weltweit 8,1 für Neufundland in Kanada. Also: Vorarlberg – 8,2.
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