Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

Achtung, Verschwörung!

November 2020

Kommunikationswissenschaftler Jürgen Grimm erforscht seit Jahren, über welche Wege Menschen sich radikalisieren, er sagt: „Auf dem Weg in die Radikalisierung sind Verschwörungstheorien ein oft beschrittener Pfad.“ Am Beginn steht stets der Zweifel: „Es sind die Überkritischen, die sich Schritt für Schritt in solche Narrative verstricken.“

Die Pandemie ist auch die Zeit der Verschwörungstheorien, im Internet kursieren derzeit viele solcher Narrative. Da behaupten die einen, dass Corona als biologische Waffe entwickelt und freigesetzt worden sei, während die anderen sagen, das Trinkwasser sei vergiftet, um die Bevölkerung ruhigzustellen – und die nächsten wiederum der Ansicht sind, es gebe Corona überhaupt nicht. Aber zu den bizarrsten und zugleich auch komplexesten Fiktionen gehört wohl die Sache mit „QAnon“ – in dessen Zentrum die Behauptung steht, eine weltweit agierende, geheim operierende Elite entführe Kinder, halte sie gefangen, foltere und ermorde sie, um aus ihrem Blut eine Verjüngungsdroge zu gewinnen. Und klar: Nur Trump durchschaue das Spiel, er bekämpfe diese Weltverschwörer, die den Bevölkerungsaustausch planen. Doch so abstrus diese Behauptungen auch erscheinen mögen, es wäre falsch, die Sache zu unterschätzen, sagt der Wissenschaftler Jürgen Grimm.

Ein oft beschrittener Pfad

Der Kommunikationswissenschaftler an der Universität Wien erforscht seit Jahren, über welche Wege sich Menschen radikalisieren und welche Rolle Verschwörungstheorien dabei spielen. Und wenn Grimm sagt, man solle die Sache nicht unterschätzen, dann gibt es gute Gründe für seine Warnung: „Zum einen, weil Verschwörungstheorien sehr oft auch Wechselbezüge zu Bereichen aufweisen, die wir ohnehin mit Sorge sehen, wie etwa zu Antisemitismus, Rassismus und Xenophobie.“ Und zum anderen, „weil die Korrelation zwischen Verschwörungstheorien und politischer Gewaltbereitschaft höher“ sei als bei jedem anderen Konstrukt, einschließlich Rechtsextremismus. „Auf dem Weg in die Radikalisierung“, sagt Grimm, „sind Verschwörungstheorien ein oft beschrittener Pfad.“ 

Nicht die schlichten Gemüter

Nur, wer glaubt denn eigentlich an solche Verschwörungstheorien, die abenteuerlichste Behauptungen mit, wenn überhaupt, Bruchstücken der Realität mischen? Wer glaubt an solche abstrusen Narrative, wie etwa die Behauptung, Bill Gates sei Teil der Weltverschwörung oder reptilienhafte Außerirdische in Menschenform seien längst schon unter uns und Merkel eine von ihnen? Grimm geht auf der Suche nach einer Erklärung weit zurück, bis in die Zeit, als die Höhlenmalereien entstanden waren, als Ausdruck des Bedürfnisses der Menschen, Vorstellungskraft zu binden – in einer feindlichen Umwelt. „Der Mensch“, sagt Grimm, „ist ein extrem fantasiebegabtes Wesen, auch in der Frage, ob er bereit ist, seine Vorstellungskraft in negativer Weise zu nutzen, sich also im Grunde Bedrohungsszenarien auszumalen.“ Und in diesem Sinne seien es, wertneutral gesprochen, fantasiebegabte Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben würden: „Es sind nicht die schlichten Gemüter, im Gegenteil, es braucht die Fähigkeit, Komplexität zu verarbeiten und all die behaupteten Facetten zu begreifen.“

Das Weltbild-Leiden

Wobei am Beginn stets „der Zweifel“ steht. Es sind die Überkritischen, die – getrieben von Internet-Algorithmen – sich Schritt für Schritt immer weiter in solchen Narrativen verstricken würden, sagt Grimm: „Die Psychologie ihrer Entwicklung besteht darin, dass sie in ihrem generalisierten und übersteigerten Zweifel immer weiter abgleiten, bis sie ab einem gewissen Kipp-Punkt bereit sind, auch an das Verrückteste zu glauben – weil in ihren Augen ja auch alles andere mindestens genauso unplausibel ist.“ Wer davon überzeugt ist, dass etablierte Medien und Politiker lügen, wer alles hinterfragt und alles kritisiert, der erhält sozusagen „die Eintrittskarte“ zum Verschwörungstheoretiker. Es ist also nicht Leichtgläubigkeit, sondern im Gegenteil übertriebener Zweifel, der die Menschen paradoxerweise an die unglaubwürdigsten Narrative glauben lässt.
Es ist der Wunsch nach Glaubensfestigkeit in einer Welt, die in den Augen der Betroffenen vollkommen aus den Fugen geraten zu sein scheint. „In einer Welt, in der nichts sicher scheint, wird dieses Weltbild-Leiden durch eine Gegenreaktion überkompensiert, die allerdings genau das Gegenteil von dem ist, was man zuvor an Welterfahrung aufgenommen hat.“ Grimm nennt diesen generalisierten Zweifel im Übrigen ein „Krisensymptom der Postmoderne, einen Ausdruck unserer individualisierten Welt, in der der Mensch alles infrage stellen könne.“ Man müsse da ja nur an Trump denken, „der alles und jedes als Fake-News tituliert und damit den generalisierten Zweifel befördert und für seine Klientel salonfähig gemacht hat.“ 
Es ist kein Zufall, dass Trump den „QAnon“-Anhängern als Heilsbringer gilt. Der „Spiegel“ hatte „QAnon“ erst jüngst eine Titelstory gewidmet, unter dem Titel „Deutschlands gefährlichster Kult“. Und die „Tagesschau“ hatte, um ein weiteres Beispiel zu nennen, in einem Beitrag zur Sache darauf verwiesen, dass sich auch der Attentäter von Hanau auf eine angebliche Weltverschwörung bezogen hatte. Doch da kommt zum Tragen, was Kulturwissenschaftler Michael Butter in einem „Thema Vorarlberg“-Interview gesagt hatte: „Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben, sind gegenüber allem, was der Mainstream sagt, hyperkritisch, aber allem anderen gegenüber äußerst unkritisch.“
Und so ist „QAnon“ laut Grimm die Verschwörungstheorie mit dem aktuell größten Zulauf, „weil es eben eine direkte Korrelation zwischen der Internet-Nutzung und der Anfälligkeit für Verschwörungstheorien gibt.“ Wikipedia spricht von Millionen Anhängern in den USA und in Europa, entsprechende Internetseiten hätten allein in Deutschland bereits „hunderttausende Abonnenten“, recherchierte die „Tagesschau“. Und da es auch in Österreich bereits tausende Anhänger gebe, habe der Verfassungsschutz bereits ein Auge auf die Gruppe geworfen, meldete der „Standard“ vor wenigen Wochen. Selbst Facebook soll mittlerweile strenger mit der Causa umgehen. Verkehrt ist das nicht. 
Erst im August hatte das Meinungsforschungsinstitut „Marketagent“ publiziert, dass 14 Prozent der Österreicher der Meinung sind, Geheimgesellschaften würden die Krise nutzen, um eine autoritäre Weltordnung zu errichten. Und Grimm kommt in einer aktuellen Untersuchung zum Ergebnis, dass „30 Prozent der Österreicher anfällig sind für Verschwörungstheorien.“ Und das gehe quer durch Familien, quer durch Freundeskreise, quer durch die Gesellschaft. Kann man mit Menschen, die in solche Narrative regelrecht abgedriftet sind, überhaupt noch reden? Es gebe Forscher, laut denen man in diese Blasen nicht mehr eindringen könne, sagt Grimm: „Ich selbst bin da optimistischer – wenn es gelingt, die Betroffenen dazu zu bringen, ihren Zweifel, ihre Kritik gegen ihr neu gewonnenes Weltbild zu richten.“

Auf dem Weg in die Radikalisierung sind Verschwörungstheorien ein oft beschrittener Pfad.

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