J. Georg Friebe

Geboren 1963 in Mödling, aufgewachsen in Rankweil. Studium der Paläontologie und Geologie in Graz mit Dissertation über das Steirische Tertiärbecken. Seit 1993 Museumskurator an der Vorarlberger Naturschau bzw. der inatura Dornbirn.

(Foto: © J. Georg Friebe)

Als in Vorarlberg nach Öl gebohrt wurde

März 2021

Der Traum vom eigenen Erdöl – auch in Vorarlberg wurde er geträumt. Unabhängig zu sein von ausländischen Lieferungen, ist im Zeitalter des „globalen Dorfs“ kein Thema mehr, egal, wie unsicher die Handelsbeziehungen auch sein mögen. Doch vor der Globalisierung war die nationale Versorgung mit fossilen Brennstoffen oberstes Ziel. Österreich stieg relativ spät in die Förderung fossiler Kohlenwasserstoffe ein. Mag auch die Gewinnung von Steinöl aus dem Seefelder Fischschiefer jahrhundertelange Tradition haben – die industrielle Suche und Förderung von Erdöl und Erdgas begann erst 1935 mit der Gründung der Rohöl-Gewinnungs AG. 1937 konnte die Gesellschaft mit der Sonde RAG II etwa zwei Kilometer nördlich von Zistersdorf im Wiener Becken den ersten größeren Ölfund Österreichs verbuchen. Kurz danach wurde der Betrieb unter deutsche Vermögensverwaltung gestellt. Nach dem 2. Weltkrieg lagen die Förderstellen in der sowjetischen Besatzungszone. Aus der Sowjetischen Mineralölverwaltung ging schließlich die ÖMV hervor, und die RAG verlagerte ihre Tätigkeiten nach Oberösterreich. Vorarlberg wollte dem nicht nachstehen. 1956 erwarb die Vorarlberger Erdöl- und Ferngas Ges.m.b.H. (VEF) die Konzession für die Kohlenwasserstoff-Exploration im nördlichen Vorarlberg.
Damit überhaupt Erdöl im großen Stil gefunden werden kann, müssen drei Faktoren zusammenspielen. Ausgangspunkt ist ein geeignetes Muttergestein. Dieses Gestein muss in einem ruhigen Meeresbecken ohne Durchmischung der Wassersäule abgelagert worden sein. Am Meeresgrund herrschten sauerstoffarme bis sauerstofffreie Bedingungen, während in höheren Meeresschichten reichlich Kleinstlebewesen (an erster Stelle Algen) gediehen. Nach ihrem Tod auf den Meeresgrund abgesunken, wurden diese nicht zersetzt, sondern bei zunehmendem Überlagerungsdruck und erhöhter Temperatur zu Erdöl und schließlich Erdgas umgewandelt. Die so entstandenen Kohlenwasserstoffe sind jedoch im Gestein fein verteilt und kaum wirtschaftlich gewinnbar. Aber unter günstigen Bedingungen machen sie sich auf Wanderschaft durch den Porenraum. Im (aus menschlicher Sicht) Idealfall treffen sie dabei auf ein geeignetes Speichergestein. Dieser Speicher sollte genügend Porenraum aufweisen, um möglichst viel Öl oder Gas aufnehmen zu können. Und doch: Das Entweichen muss verhindert werden. Als dritten Faktor braucht es also eine Ölfalle, eine Gesteinsschicht, die nach oben abdichtet, und eine geologische Struktur, die das seitliche Abwandern unterbindet.
In Vorarlberg schienen diese Voraussetzungen durchaus gegeben, auch wenn der geologische Bau hier deutlich von den Verhältnissen der Öllagerstätten im Osten abweicht. Vereinfacht dargestellt, lagern bei uns drei Gesteinsstockwerke übereinander. Was wir in unserer Landschaft sehen, ist der alpidische Gebirgskörper als oberstes Stockwerk. Hier sind Gesteinsdecken übereinander gestapelt. Innerhalb der Decken sind die Gesteine zerbrochen und verfaltet. Während Bruchflächen mögliche Wanderwege für Kohlenwasserstoffe darstellen, sind die Faltenstrukturen potentielle Öl- und Gasfallen. Unter dem alpidischen Stockwerk liegt der ältere Anteil des Abtragungsschutts der jungen Alpen – die Molasse. Es ist diese Zone, die im Osten die großen Ölfelder beheimatet, allerdings ohne die Auflast eines aufgeschobenen Gebirges. Hier sind also Mutter- wie Speichergesteine zu erwarten. Und schließlich bildet der voralpidische Sockel das unterste Stockwerk. Dessen Ablagerungen des europäischen Kontinentalmeeres (vergleichbar mit den Gesteinen der Schwäbischen Alb) sind in jüngster Zeit wieder in die Schlagzeilen geraten: Aus Ölschiefer sollte im Bodenseeraum mittels Fracking Erdgas gewonnen werden.
Anzeichen für Kohlenwasserstoffe gibt es genug: In der nacheiszeitlichen Füllung des Rheintals sorgt die Zersetzung von Pflanzenmaterial immer wieder für Austritte vom Sumpfgas – vor allem im Rheindelta an der Oberfläche, aber auch bei Brunnenbohrungen. Mineraliensammler wiederum kennen den Bitumengeruch, der entweicht, wenn sie auf der Suche nach Kristallen eine Jahrmillionen lang versiegelte Spalte im Gestein öffnen. Und manche Quarzkristalle sind gar durch Bitumeneinschlüsse rauchig braun verfärbt. 1906 kam es beim Stollenvortrieb für das Kraftwerk Andelsbuch unter dem Klausberg zu einer Grubengasexplosion. 18 Arbeiter wurden zum Teil schwer verletzt, und der Brand dauerte mehrere Monate.
Also brachte die VEF 1959/60 gemeinsam mit der PREUSSAG in Dornbirn Stiglingen die erste Aufschlussbohrung Vorarlbergs nieder. Nach 336,5 m Rheintalfüllung war der Felsuntergrund erreicht. Erste Gasspuren zeigten sich ab 2355 m, und ab 2482 m bis zur Endteufe von 2820,6 m bereiteten Gas- und Wasserzutritte erhebliche bohrtechnische Schwierigkeiten. Die Bohrung wurde als nicht fündig verfüllt. Die Bohrung Sulzberg 1 (1983/84) sollte den Alpenkörper durchbohren und in den tieferen Stockwerken fündig werden. Sie erreichte in 5654 m Teufe den kristallinen Untergrund und hatte damit alle höffigen Schichten durchörtert, ohne – trotz guter Gasanzeichen – wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Auch dieses Bohrloch wurde verfüllt. 1981 erwarb die ÖMV die Aufsuchungsrechte südlich des VEF-Gebietes im Bregenzerwald. Bei Au zeigten die Erkundungen eine Hochzone im Alpenköper, die 1985/86 in einer Tiefbohrung untersucht wurde. V-Au 1 durchbohrte den Gebirgskörper nicht und wurde bei einer Endteufe von 4307 m als „erfolglos“ eingestellt.
Damit ist das Kapitel „Kohlenwasserstoff-Exploration in Vorarlberg“ wohl abgeschlossen. Da sowohl Gasspuren als auch potentielle Speichergesteine erbohrt wurden, könnten theoretisch auch hierzulande Kohlenwasserstoffvorkommen angetroffen werden. Doch der komplexe Gebirgsbau macht die Erkundungen und Bohrungen zu einem wirtschaftlichen Wagnis mit zweifelhaftem Ausgang.

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