Ulrike Delacher

Die gebürtige Tirolerin studierte Germanistik und Integrierte Kommunikation. Sie leitet die Unternehmenskommunikation bei der Vlbg. Krankenhaus-Betriebsgesellschaft.

(Foto: © Matthias Weissengruber)

Chirurgie mit Biss

November 2015

Na, können Sie heute – und vor allem auch morgen noch – „kraftvoll zubeißen“? Falls nicht, sind Sie an der Abteilung für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (MKG) am LKH Feldkirch richtig. Aber aufgepasst: Primar Oliver Ploder und sein Team sind ausschließlich a) für die „schweren Fälle“ und b) für medizinische Behandlungen der Gesichts- und Mundhöhlenregion zuständig, über welche man kaum Bescheid weiß.

Die Mund-, Kiefer- und Gesichts­chirurgie ist eine eher junge Disziplin und wurde 1914 von Prof. Hans Pichler als „Kieferstation“ an der I. Chirurgischen Klinik in Wien gegründet. Sie ist ein Teilgebiet der Chirurgie und deshalb im Krankenhaus angesiedelt. Nicht zu verwechseln ist die MKG-Chirurgie mit der Kieferorthopädie (Zahnspange), die sich um die Fehlstellungen der Zähne kümmert. „Was die Wenigsten wissen: Einer der ersten und bekanntesten MKG-Patienten war Sigmund Freud, der aufgrund seines erhöhten Zigarrenkonsums 1923 an einem Oberkieferkarzinom gelitten hatte und von Hans Pichler behandelt wurde“, weiß Primar Oliver  Ploder, Leiter der Vorarlberger Schwerpunktabteilung. Die MKG-Chirurgie beschäftigt sich mit der Tumorchirurgie, der Traumatologie im Gesichtsbereich sowie mit Gesichtsfehlstellungen. Auch oralchirurgische Eingriffe  wie Implantate oder Weisheitszähne, die im Gegensatz zu den größeren Operationen ambulant durchgeführt werden, zählen zu den Aufgaben der MKG-Chirurgie.

Keine Kompromisse bei MKG–Tumorchirurgie

„Krebserkrankungen im Mundhöhlen- und Zungenbereich sind leider im Vormarsch begriffen“, erklärt Universitätsdozent Ploder. „Ganz offen gesagt: Diese wären großteils vermeidbar, hätten die Betroffenen Rauchen, Alkohol oder gar die Kombination von beidem vermieden.“ Am LKH Feldkirch kommen jährlich etwa 20 neue Krebserkrankungen dazu. „Die Hälfte der Patienten kommen leider erst im Maximalstadium zu uns, also viel zu spät“, warnt der Experte. „Gehen Sie sofort zum Arzt, wenn Sie erste Anzeichen einer Neubildung in der Zunge oder eine Geschwürbildung im Rachenbereich verspüren.“ Die Krebserkrankungen in diesem Bereich sind doppelt belastend und schwerwiegend, sind doch Stellen mitten im Gesicht betroffen, „manchmal entstehen Löcher in der Größe von vier bis acht Zentimetern“, beschreibt Ploder. Zu den funktionellen (erschwertes Sprechen und Essen) kommen auch psychische Probleme hinzu. Die Krebsbehandlung besteht aus einer Kombination aus Strahlen- und Chemotherapie sowie Chirurgie. Letztere beinhaltet eine radikale Operation mit einer nachfolgenden Wiederherstellung von Knochen- und Weichgewebe (mikrochirurgische Eingriffe). Diese Operationen können zum Teil zwölf Stunden dauern. „Wir nehmen hier ausgeprägte Resektionen (operative Entfernung von Gewebeteilen, Red.) vor, um das befallene Gewebe total zu entfernen. Danach folgt eine Wiederherstellungsoperation, die offenen Stellen werden mit Eigengewebe gedeckt.“ Die Methode der radikalen Resektion ist erfolgreich. Im Krebsregister zeigt sich, dass die Überlebensrate am LKH Feldkirch im Fünfjahresrückblick bei über 81 Prozent liegt und somit höher als in vergleichbaren internationalen Studien (65 Prozent).

Traumatologie oder: von der „Höhlen“–Operation

Die MKG-Medizin behandelt zudem auch Patienten mit Knochenbrüchen im Schädel- und Gesichtsbereich. „Das sind vorwiegend Mittelgesichtsfrakturen“, informiert Ploder. „Jeweils ein Drittel stammt von Raufhandel, von Sport- oder von sonstigen Unfällen, etwa mit dem Auto oder Motorrad.“ Konkret geht es um die Behandlung von beispielsweise Jochbeinfrakturen im Mittelgesichtsbereich oder Gelenkshalsfrakturen beim Unterkieferknochen. Bei der Behandlung werden neueste Materialien wie selbstauflösende Zuckerplatten (Polyglykosid) verwendet, die beim Jochbein (Wangenbein, Backenknochen) zur Fixierung angebracht werden. „Hier sind wir auf dem neuesten Stand der Technik und verwenden keine herkömmlichen Titanplatten mehr.“ Und nicht nur von der modernen Ausstattung profitieren Patienten am LKH Feldkirch, so operieren die MKG-Chirurgen grundsätzlich organschonend. Das bedeutet: „Wir nutzen natürliche Hautöffnungen im Kopfbereich wie Mund- oder Nasenhöhle oder das Unterlid am Auge, um unästhetische Schnitte im Gesicht zu vermeiden.“

Gesichtsfehlstellung: kein rein ästhetisches Problem

Ein weiteres Gebiet der MKG-Chirurgie ist die Behebung von angeborenen Fehlstellungen im Gesichtsbereich. „Hier spricht man etwa von einem ‚Vogelgesicht‘ oder dem ‚Habsburgergesicht‘, betroffen sind meistens die Nase, das Mittelgesicht und der Kieferknochen.“ Wer glaubt, es geht hier rein um ästhetische Probleme, liegt falsch: Betroffene leiden unter Kauproblemen und erschwertem Abbeißen. Hinzu kommen oft psychische Probleme, denn eine Behandlung ist erst nach abgeschlossenem Wachstum im Alter ab 16 oder 17 Jahren möglich, und eine Gesichtsfehlstellung in der Pubertät kann ein schwerwiegendes Problem für die Jugendlichen darstellen. Eine solche Operation bedarf einer aufwendigen Planung, beschreibt Dr. Ploder: „Mit modernster Diagnostik wird eine exakte Gesichtsvermessung sowohl von den knöchernen wie von den Weichteilstrukturen vorgenommen. Dann wird die OP im Computer simuliert, um die Idealposition für die Gesichtsstellung zu errechnen. Während der Operation arbeiten wir mit Schienen und dreidimensionalen Schablonen in einer Genauigkeit von einem Zehntelmillimeter.“ 2014 fanden am LKH Feldkirch 110 Umstellungsoperationen statt.

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