Linus Weber und Wolfgang Weber

Linus Weber und Wolfgang Weber schrieben 2019 die erste wissenschaftliche Biographie zu Monsignore Georg Peter Schelling. Sie war in wenigen Wochen vergriffen und erschien im April 2020 in zweiter Auflage. Sie ist über die Medienstelle der Diözese Feldkirch zu beziehen: medienstelle@kath-kirche-vorarlberg.at

Der Dokumentar des Kriegsendes 1945

Mai 2020

Vor 75 Jahren beschrieb Georg Schelling die militärische Niederlage der NS-Diktatur in Vorarlberg.

In der Moskauer Deklaration des Jahres 1943 war Österreich als erstes Opfer der NS-Eroberungspolitik bezeichnet und seine Befreiung als Kriegsziel der Anti-Hitler-Koalition definiert worden. Dazu müsse, so forderten die Alliierten, Österreich jedoch einen eigenen Beitrag leisten. Es ist der akribischen Recherche des katholischen Priesters und langjährigen KZ-Häftlings Georg Schelling zu verdanken, dass dieser eigenständige Beitrag zur Befreiung für Vorarlberg noch im Jahre 1945 dokumentiert und öffentlich wurde.
Schelling war von 1934 bis 1938 Schriftleiter der christlichsozialen Tageszeitung in Vorarlberg. Diese unterstützte die Doktrin der Regierungen Dollfuß und Schuschnigg von Österreich als zweitem deutschen Staat neben Hitler-Deutschland. Sie publizierte unreflektiert die Mitteilungen des autoritären Bundespressedienstes in Wien, die sich grundsätzlich gegen den nationalsozialistischen Nachbarn im Norden wandten und auf einem staatlich unabhängigen Österreich beharrten. Nach der Macht­übertragung an die NSDAP im März 1938 war Schelling neben dem Kommunisten Franz Häfele, dem Gendarmen Hugo Lunardon und dem V-Mann des österreichischen Verfassungsschutzes und ehemaligen SS-Mann Alfons Kothbauer unter den ersten Verhafteten der NS-Diktatur.

Verschleppung ins KZ

Als Repräsentant des anti-nationalsozialistischen, jedoch diktatorischen Österreich wurde Schelling mit dem ersten Transport aus Westösterreich am 31. Mai 1938 gemeinsam mit Lunardon und Kothbauer in das KZ Dachau überstellt. Drei Wochen vor der Befreiung des Konzentrationslagers durch US-amerikanische Truppen wurde Schelling am 10. April 1945 nach über sieben Jahren Internierung, Isolationshaft, Folter und Zwangsarbeit entlassen. 
Noch im Frühjahr 1945 begann Schelling mit der literarischen Aufarbeitung seiner KZ-Haft und der Ereignisse bei Kriegsende 1945 in Vorarlberg. Es entstanden zwei Manuskripte über die in nationalsozialistischen KZ ermordeten Hugo Lunardon und Otto Neururer sowie eine Artikelserie über die Befreiung Vorarlbergs von der NS-Diktatur Ende April und Anfang Mai 1945.
Als militärischer Beitrag zur eigenen Befreiung im Sinne der Moskauer Deklaration können bewaffnete Aktionen gesehen werden. Zu solchen kam es in Vorarlberg vor 75 Jahren etwa in Krumbach, Langenegg und Bludenz. Daneben gab es Sabotage, konspirative Treffen oder anonyme Flugblattaktionen, in denen Funktionäre des NS-Staates von einem sogenannten Vorarlberger Aktionsausschuss zur Kapitulation aufgefordert und mit Vergeltung nach der Befreiung bedroht wurden.

Vorarlbergs eigener Beitrag zur Befreiung

In Krumbach sprengten am 30. April 1945 Waffen-SS-Einheiten die beiden zentralen Straßenbrücken des Dorfes. Eine lokale Widerstandsgruppe unter Führung von Max Ibele griff in der Folge die SS an. Ibele fiel, ebenso fünf SS-Männer.
Im wenige Kilometer entfernten Langenegg inhaftierte der örtliche Widerstand zur selben Zeit den NSDAP-Ortsgruppenleiter, den SA-Kommandanten sowie dessen Tochter und Schwiegersohn. Die Frau des SA-Führers rief in Doren stationierte Waffen-SS zur Hilfe. Am 1. Mai 1945 kam es in Langenegg zu einer Schießerei zwischen SS und Einheimischen. Sechs Angehörige des Langenegger Widerstandes fielen.
Um eine kampflose Übergabe der Stadt zu erreichen, entschlossen sich rund drei Dutzend Männer der Bludenzer Widerstandsbewegung nach Aufforderung des Hauptkommandos der 1. Französischen Armee, dafür „Taten zu zeigen“, in der Nacht vom 2. auf den 3. Mai 1945, die NSDAP-Kreisleitung in der Untersteinstraße zu sprengen. Ihr Angriff scheiterte. Der Widerstandskämpfer Alois Jeller, dem es gelungen war, in die Kreisleitung einzudringen, wurde dort vom SS-Offizier Spieß nach einem Verhör erschossen. Um sicher zu gehen, dass Jeller tot war, zertrümmerte Spieß ihm anschließend noch mit dem Gewehrkolben die Schädeldecke.

Das Elend des Krieges sichtbar machen

Georg Schelling dokumentierte diese und weitere an Kriegsverbrechen mahnende Ereignisse im Zuge der Befreiung Vorarl­bergs von der NS-Diktatur als erster Autor der Vorarlberger Landesgeschichte bereits im Herbst 1945 im Rahmen einer Artikelserie in jener Tageszeitung, der er vier Jahre als Chefredakteur vorstand. Zwei Jahre später erschien sie als Buch unter dem Titel „Festung Vorarlberg“. Noch 40 Jahre später lobte Meinrad Pichler, Träger des Vorarlberger Wissenschaftspreises 2014, anlässlich der dritten Auflage Schellings Buch als unbestrittenes „Standardwerk“ und „wichtigste Quelle“ zur Geschichte des Kriegsendes 1945 in Vorarlberg.

Das widerständige Österreich als Bezugspunkt

Nicht zuletzt durch dieses Buch gelang und gelingt es, jene Forderung der Alliierten des Zweiten Weltkrieges einzulösen, die sie in der Moskauer Deklaration an Österreich stellten: Nämlich einen eigenen Beitrag zu seiner Befreiung zu leisten. Georg Schelling beschrieb eben dieses autonome Handeln Vor­arlberger Menschen akribisch und detailreich. Dadurch eröffnete er die Möglichkeit einer positiven Identifizierung mit dem aus dem bewaffnetem Widerstand heraus wieder entstandenen Österreich. Exakt das forderte der Politologe Anton Pelinka 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ein. Denn, so Pelinka, der Widerstand gegen die durch Österreich selbst mitgetragene NS-Diktatur zählt zum „herzeigbarsten Aspekt der österreichischen Geschichte des 20. Jahrhunderts“. Georg Schelling selbst war als Journalist und als KZ-Häftling ein Teil dieses Widerstandes.
Vorarlberger demokratischen Politikern des Jahres 1945 war die Funktion eines bewaffneten Widerstandes als Kristallisationspunkt einer neuen Österreich-Identität bewusst. In Bludenz wurde im Sommer 1945 erst ein öffentlicher Platz, dann eine Straße nach Alois Jeller benannt. Ein geplantes Denkmal wurde nie ausgeführt. In Langenegg hielten am 7. Oktober 1945 die Spitzen der Militär- und Zivilregierung eine große öffentliche Gedenkfeier für die dortigen sechs Toten ab. An der Friedhofsmauer neben dem Kriegerdenkmal erinnerte eine Gedenktafel an diese Gefallenen. Seit 2011 wird in Langenegg der gefallenen Widerstandskämpfer und Soldaten an einem gemeinsamen Erinnerungsort innerhalb des Friedhofs gedacht.

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