J. Georg Friebe

Geboren 1963 in Mödling, aufgewachsen in Rankweil. Studium der Paläontologie und Geologie in Graz mit Dissertation über das Steirische Tertiärbecken. Seit 1993 Museumskurator an der Vorarlberger Naturschau bzw. der inatura Dornbirn.

(Foto: © J. Georg Friebe)

Ein insektenkundlicher Rückblick

Februar 2016

So ein Jahreswechsel ist eine merkwürdige Sache: Vom Menschen erfunden, um etwas Ordnung in den ewig gleichen Ablauf der Zeit zu bringen, bietet er Anlass für Rückblicke, Vorsätze, Prognosen. Vergessen wir die Vorsätze – sie sind zum Zeitpunkt, an dem dieser Beitrag veröffentlicht wird, ohnehin bereits Geschichte. Mit Prognosen ließen sich hunderte Seiten füllen – um dann im Dezember analysieren zu können, warum nichts davon eingetroffen ist. Bleibt der Rückblick auf ein für Vorarlberg entomologisch interessantes Jahr.

Entomo-was??? Insektenkunde wäre der passende deutsche Begriff, und da hatte das vergangene Jahr einiges zu bieten. Neufunde von Tierarten, die für die Fauna des Landes bisher unbekannt waren, Wiederfunde von bereits verschollen geglaubten Schmetterlingen. Dazu bedurfte es keines groß angelegten Forschungsprojekts: Beobachtungsgabe, eine gute Kamera und ein geschultes Auge genügen, um auch im vermeintlich gut erforschten Ländle immer noch bemerkenswerte Funde machen zu können. Bestimmungshilfen gibt es inzwischen im Internet zuhauf – man muss sie nur zu gebrauchen wissen und Übereifer vermeiden. Denn nicht alles, was sich fotografieren lässt, kann auch auf Basis des Fotos auf Artniveau bestimmt werden.

Die beste Zeit für Insekten-Beobachtungen ist spät am Abend. Die Tiere werden von Lichtquellen angezogen und sitzen dann an beleuchteten Wänden. So auch die Marmorierte Baumwanze (Halyomorpha halys). Schon lange war der ursprünglich in Ostasien beheimatete Neuankömmling im Ländle erwartet worden, denn der erste Fund in Europa erfolgte 2004 in Liechtenstein! Seit 2007 breitet sich die Marmorierte Baumwanze von Zürich ausgehend über die Schweiz, Süddeutschland und Frankreich aus – die ersten Tiere scheinen per Flugzeug eingereist zu sein! Die Art hat einen heimischen Doppelgänger – und mit der Grauen Gartenwanze (Rhaphigaster nebulosa) wäre das Tier im inatura-Areal auch fast verwechselt worden. Erst das Foto zeigte die unscheinbaren, aber doch eindeutigen Unterscheidungsmerkmale. Die Beobachtung in Dornbirn wäre beinahe der Erstnachweis für Österreich geworden: Kurze neun Tage zuvor war das erste Tier dieser Art in Wien fotografiert worden. Wenige Wochen später wurde auch eine Larve in Dornbirn dokumentiert: Die Marmorierte Baumwanze ist definitiv im Begriff, hier heimisch zu werden.

Offenbar schon länger im Ländle, aber hier lange Zeit übersehen worden ist der Stahlblaue Grillenjäger (Isodontia mexicana). Diese nichtgrabende Grabwespe stammt – der wissenschaftliche Name verrät es – ursprünglich aus Mittelamerika. Die ersten Tiere wurden 1960 in Südfrankreich gefunden, an einem Landungsplatz US-amerikanischer Truppen am Ende des Zweiten Weltkriegs. Seither hat die Tierart ihren Siedlungsraum beträchtlich erweitert. Bereits Ende der 1990er-Jahre wurden die ersten Exemplare in Süddeutschland gesichtet. Der Stahlblaue Grillenjäger besucht tagsüber gerne Pflanzen mit reichem Nahrungsangebot. Am ehesten ist er auf Goldruten, aber auch auf Minze zu finden. Und auf dem Minzestrauch im inatura-Garten fiel die schwarze Wespe mit der extrem dünnen Taille und den stahlblau schillernden Flügeln erstmals auf. Ein weiteres Tier wurde aus Hohenems gemeldet, wo es sich „zwischen den Weintrauben herumgetummelt“ hat. Isodontia mexicana nutzt hohle Pflanzenstängel zur Fortpflanzung. Dort deponiert das Weibchen in abgetrennten Brutkammern Heuschrecken als Nahrung für die Larven.

In anderen Gebieten Europas bräuchte das Landkärtchen (Araschnia levana) nicht extra erwähnt zu werden. Es ist dort allgegenwärtig. Aus Vorarlberg hingegen liegen für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts keine Beobachtung vor – in der Roten Liste wurde die Art daher als „verschollen“ eingestuft. Der erste Wiederfund gelang 2009 an der Bregenzerach bei Lingenau. Seither wurde das Landkärtchen zwar nicht häufig, aber an mehreren Standorten dokumentiert. Als überraschendster Fund flogen im vergangenen Sommer gleich mehrere Tiere an einem Forstweg in Göfis. Über die Gründe für Verschwinden und Wiederansiedelung können wir nur spekulieren. Hoffen wir, dass dieser bemerkenswerte Schmetterling, bei dem sich Frühjahrs- und Sommergeneration deutlich unterscheiden, bei uns wieder so häufig wird wie andere Tagfalter.

Auf nächtlichen „Expeditionen“ werden die Kleinschmetterlinge zu Unrecht meist wenig beachtet. Auf den ersten Blick sehen sie alle gleich aus, und viele Arten lassen sich nur durch Geschlechtsuntersuchungen unterscheiden. Dennoch lohnt es sich, auch sie im Bild zu dokumentieren. Solch ein unscheinbarer Kleinschmetterling saß vergangenen Sommer an einem beleuchteten Schaufenster in Dornbirn. Er sollte sich als kleine Sensation erweisen: Orthotelia sparganella (die Art hat keinen eigenen deutschen Namen) wurde zuvor erst zwei Mal in Vorarlberg gesichtet: zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Tisner Ried, und 2000 im Rheindelta. Die Fundorte lassen es erahnen – die Larven dieser Rundstirnmotte fressen an Wasserpflanzen. Was macht das Tier also mitten in Dornbirn? In unmittelbarer Nähe des Fundorts liegt ein verwachsener Gartenteich, etwas weiter entfernt fließt der renaturierte Fischbach. Gut möglich, dass die Wasserpflanzen in so einem Kleingewässer dem seltenen Falter für die Fortpflanzung genügen. Vielleicht ist er auch etwas häufiger als wir vermuten – nur eben immer an den falschen Stellen gesucht worden.

Liebe zur Natur und ein offenes Auge lassen selbst im Siedlungsraum bemerkenswerte Insektenbeobachtungen gelingen. In diesem Sinne freue ich mich auf ein interessantes Jahr 2016 – ohne aber vorhersagen zu können, was uns heuer erwartet!

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