J. Georg Friebe

Geboren 1963 in Mödling, aufgewachsen in Rankweil. Studium der Paläontologie und Geologie in Graz mit Dissertation über das Steirische Tertiärbecken. Seit 1993 Museumskurator an der Vorarlberger Naturschau bzw. der inatura Dornbirn.

(Foto: © J. Georg Friebe)

Eiszeitgiganten auf Sommerfrische

September 2016

Es war ein sonderbares Stück Holz, das Christian Ganal im Juli 1859 nach Hause gebracht hatte. Gelblichweiß und schwer war es, ganz anders als die Stämme, die er normalerweise bei den Holzarbeiten im Schesatobel bei Bürserberg barg. Unwissend, was er da gefunden hatte, legte er es achtlos zum Brennholz. Erst im Jänner 1860 wollte er es verheizen, doch dann kamen ihm Zweifel. Ein Drechsler schließlich erkannte das Stück als Elfenbein. Zur „Beweissicherung“ wurde der Mammutzahn zersägt. Über Vermittlung des Bezirksamts Bludenz konnte der Textilfabrikant John Douglas den Stoßzahn am 12. März 1860 erwerben, um ihn als Geschenk dem Vorarlberger Landesmuseum zu übergeben.

Dies sollte nicht der einzige Mammutfund im Schesatobel bleiben. Bereits Ende Mai 1860 entdeckten Walburga Küng und Xaver Stunz zwei weitere Fragmente und hinterlegten sie am k. k. Bezirksamt. Sie gehörten eindeutig zum Zahn von 1859. Vierzehn Jahre lang lagen sie leihweise in der Sammlung des Museums, ehe sie 1874 vom Vorarlberger Landesmuseumsverein angekauft werden konnten. An der Geldknappheit könnte ein weiterer Fund schuld sein: Am 26. Mai 1860 kam ein beinahe vollständiger Stoßzahn zutage. Ignaz Neßler aus Bürserberg hatte ihn gefunden und drei Tage später geborgen. Der Rechenschaftsbericht des Museums für 1860 vermerkt dazu: „Leider konnte das Stück wegen der enormen Höhe der Forderung von Seiten der Auffinder vom Museum nicht acquiriert werden.“ Der Ankauf muss dennoch bald darauf erfolgt sein, denn in Prozessakten aus dem Jahr 1934 im Archiv der Inatura findet sich der Hinweis, „dass das Landesmuseum in Bregenz […] zwei Mammutzähne um den Preis von 363 Gulden angekauft“ habe (in heutiger Kaufkraft etwa 4300 Euro). Im Schesatobel wurden noch weitere Stoßzahnfragmente entdeckt, zuletzt 1997 von einem Baggerfahrer beim Kiesabbau.
Auch aus dem Bregenzerwald gibt es Funde. Für das Jahr 1889 vermerkt der Rechenschaftsbericht des Landesmuseums: „Zwei fossile Zahnfragmente des Mammuths (Elephas primigenius) gefunden in Au, Bregenzerwald, geschenkt von Herrn k. k. Bezirksarzt Dr. [Jodok] Baer [Bregenz].“ Beinahe hundert Jahre später bemerkten Bauarbeiter vermutlich an derselben Stelle eine Unzahl von Knochen. Um den Baufortschritt nicht zu gefährden, wurden diese gemeinsam mit anderem Aushub in die Bregenzerach gekippt. Lediglich ein Backenzahn konnte von einem Heimatforscher gerettet werden. Doch Meinungsverschiedenheiten über Besitzrechte und zukünftigen Verbleib veranlassten den Finder, den Zahn im Zorn von der Schwarzenberger Achbrücke zurück in den Fluss zu werfen, in dem er ihn gefunden hatte. Höhlentaucher konnte ihn in beschädigtem Zustand für die Vorarlberger Naturschau bergen.

Obwohl Reste des Wollhaarmammuts im Voralpenraum gar nicht so selten gefunden werden, ist es kein typisches Tier der Alpen. Ursprünglich vor 800.000 bis 600.000 Jahren im Innern Sibiriens beheimatet, breitete es sich während des Eiszeitalters über weite Teile Eurasiens aus. Sein bevorzugter Lebensraum war die Steppentundra. Im trocken-kalten, kontinentalen Klima lag die Temperatur im Jahresdurchschnitt unter −1 °C und der Jahresniederschlag überstieg 1000 Millimeter nicht. Während der Kaltzeiten zermahlten die Gletscher das Gestein zu Löss- und Sandstaub, der vom Wind über die eisfreien Gebiete verfrachtet wurde. Mehrere Meter mächtig konnte die Lössdecke im Laufe der Jahrtausende werden. Entlang der saisonal trockenen Flussläufe wurde der Staub als Lehmschicht abgelagert. Unter diesen außergewöhnlichen Bedingungen bildete sich ein eigener Landschaftstyp mit einer arten- und vor allem nährstoffreichen Vegetation von Gräsern, Riedgräsern, Kräutern, Zwerg-Birken und Polar-Weiden. Der ganzjährig gefrorene Permafrostboden ließ einen Bewuchs durch größere Bäume nicht zu. Grundsätzliche Aussagen über die damalige Pflanzenwelt lassen sich durch die Analyse des Magen- und Darminhalts tiefgekühlter Mammuts aus dem Permafrost Nordsibiriens ableiten. Wie jedoch in unseren Breiten die Vegetation im Detail ausgesehen haben mag, lässt sich nicht mehr rekonstruieren: Zu wenig der nur spärlich verholzten Pflanzen ist fossil erhalten geblieben. Mit der heutigen Tundra Sibiriens aber kann die Mammutsteppe nur bedingt verglichen werden, denn sie erstreckte sich weit nach Süden. Die Sonneneinstrahlung ist hier anders als im Norden, und damit auch der Zyklus der Jahreszeiten. Und nicht zuletzt fehlt heute in Sibirien die Beweidung durch die inzwischen ausgestorbenen Großtiere.

Das Wollhaarmammut war einer der Bewohner dieser weiten, offenen Grassteppe. Die vergleichsweise engen Täler der Alpen, der Walgau und der Bregenzerwald, lagen am Rand seines bevorzugten Lebensraums. Gelegentlich verirrte sich eines der Tiere auf der Suche nach neuen Weideplätzen hierher. Wann dies geschah, verraten Datierungen mit der Radiokarbonmethode. Im Schesatobel wurde für diejenige Schicht, aus der die Mammutzähne wahrscheinlich stammen, an Holzresten ein 14C-Alter von 21.100 ± 1.300 Jahren vor Heute ermittelt. Das korrigierte Absolutalter ist leider nicht angegeben. Ein Zahn aus einer Kiesgrube in Langen b/Bregenz wurde mit 24.280 ± 110 Jahren vor Heute datiert. Dieses 14C-Alter entspricht korrigiert einem Absolut­alter von 28.490 bis 28.160 Jahren. Beide Funde stammen aus Ablagerungen im Vorfeld des heranrückenden Gletschers, die später vom Eis überfahren wurden. Die Mammuts sind also gegen Ende der wärmeren Interstadial-Zeit, aber noch vor dem Maximum der letzten, der Würm-Vereisung, nach Vorarlberg gelangt, wohl um im Sommer neue Nahrungsquellen zu erschließen. Von diesem Szenario unterscheidet sich der Fund von Au. Hier wäre es durchaus möglich, dass das Tier erst nach Ende der Eiszeit zu Besuch kam. Wir können ruhig annehmen, dass auch in früheren Wärmephasen der Eiszeit Mammuts im Ländle gelebt haben. Ihre Überreste werden wir dennoch nicht finden: Zu gründlich haben die Gletscher der Würm-Eiszeit die älteren Ablagerungen ausgeräumt und vernichtet.

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