J. Georg Friebe

Geboren 1963 in Mödling, aufgewachsen in Rankweil. Studium der Paläontologie und Geologie in Graz mit Dissertation über das Steirische Tertiärbecken. Seit 1993 Museumskurator an der Vorarlberger Naturschau bzw. der inatura Dornbirn.

(Foto: © J. Georg Friebe)

Eulen und Spanner

Februar 2022

Besonderheiten der Nachtfalter-Saison 2021

2021 war ein merkwürdiges Jahr – auch für Schmetterlingsforscher. Dafür waren weniger pandemiebedingte Ausgangsbeschränkungen verantwortlich: Leuchtabende konnten sowohl als berufsbedingt als auch als Maßnahme zur geistigen Erbauung deklariert werden. Und auf großes Publikum legen Lepidopterologen ohnehin keinen Wert. Sie wollen die Vielfalt der ans Licht fliegenden Nachtfalter ungestört dokumentieren. Was aber die Erhebungen wirklich störte, war das Wetter. Entweder war es zu windig oder zu kalt, manchmal auch zu regnerisch, und gar nicht selten verhinderten alle drei Faktoren gemeinsam das Anlocken der Falter. Und so blieb der Leuchtturm zuhause. Dennoch musste ich auf spannende Beobachtungen nicht verzichten: Auch das Licht im Arbeitszimmer zog die Nachtfalter an, und ein offenes Fenster sorgte dafür, dass sie in Reichweite des Kameraobjektivs gelangten. Handelte es sich meist auch um häufige Arten, so waren dennoch Tiere darunter, die den Beobachter besonders erfreuten. Und da das Fenster nach Ausschalten des Lichts offen blieb, fanden die Falter auch wieder den Weg hinaus. Über die Mücken aber freuten sich die Zitterspinnen (die im Laufe des Sommers merklich dicker wurden und für Ansammlungen der für sie unverzehrbaren Chitinpanzer sorgten).
Die Adlerfarneule (Callopistria juventina) ist einer der attraktivsten Eulenfalter im Land. Zwei rosa bis purpurfarbene Binden am Vorderflügel machen ihn unverwechselbar. Die Art wurde im Sommer 2015 am Stutz über Frastanz erstmals für Vorarlberg entdeckt. 2016 zeigte sie sich in Lochau, und seitdem ist sie dort jedes Jahr ein gern gesehener Gast. Dennoch war sie anfangs nicht häufig, und auch erfahrene Lepidopterologen beneideten mich um diese Beobachtungen. Im Sommer 2021 fanden gleich zwei Exemplare am selben Abend den Weg durch das offene Fenster. Und auch aus dem Bregenzerwald wurde der inatura ein Nachweis gemeldet. Wie der Populärname naheliegt, ist der Adlerfarn die einzige Futterpflanze der Raupen. Von Juli bis Anfang Oktober leben sie an und unter den Blättern. Die Raupen überwintern in einem Kokon am Boden, in dem sie sich erst im Frühjahr verpuppen. Die geschlechtsreifen Falter fliegen dann von Juni bis Anfang September. Der Adlerfarn ist in Mitteleuropa weit verbreitet und kann auf nährstoffärmeren Böden nach Kahlschlägen oder Waldbränden Massenbestände bilden. Und er wächst gerne in lichten Wäldern, an Waldrändern oder in Gebüschen. Obwohl es an der Futterpflanze nicht mangelt, ist die Adlerfarneule in Deutschland nur sehr lückenhaft verbreitet. In Bayern wurde sie 2003 gar als ausgestorben/verschollen klassifiziert. In Österreich fehlen Nachweise aus Nordtirol und Salzburg. Limitierender Faktor ist wohl das Klima: Die meisten Funde in Mitteleuropa stammen aus Gebieten mit milden Wintern. Dennoch wäre es verfrüht darüber zu spekulieren, welche Rolle der Klimawandel bei der Ausbreitung von Callopistria juventina in Vorarlberg spielt.
Weniger durch seine Seltenheit denn durch seine Größe, Form und Färbung besticht der Nachtschwalbenschwanz (Ourapteryx sambucaria), auch Holunderspanner genannt. Die schwanzartig verlängerten Spitzen der Hinterflügel mit einem kleinen schwarzen und einem rötlichen Fleck machen ihn leicht bestimmbar. Dass dieser Falter ebenfalls ins Arbeitszimmer einflog, ist nicht weiter verwunderlich, wächst doch ein Holunderstrauch direkt unterhalb des Fensters. Aber auch andere Laubhölzer wie Flieder, Waldrebe und Liguster werden von den Raupen gerne angenommen. Auch dieser Falter überwintert als Raupe. Doch er verpuppt sich nicht am Boden, sondern zwischen zusammengesponnenen Blättern. Die rein nachtaktiven geschlechtsreifen Tiere können zwischen Mitte Juni und Ende Juli angetroffen werden.
Eine nächtliche Erhebung außer Haus soll dennoch erwähnt werden: Anfang Juli waren die ersten Naturvielfalttage im Kleinwalsertal den Schmetterlingen gewidmet. Geboten wurde ein vielfältiges Programm. Wer immer Lust hatte, konnte sich an der Tagfalterzählung beteiligen. Spätabends stand Schmetterlings-Spezialist Peter Huemer am Leuchtturm für Fragen bereit, und die Gäste konnten ihm bei der Arbeit über die Schulter blicken. Die Fledermäuse, die Nachtfalter »zum Fressen gern« haben, wurden ebenso vorgestellt wie die unterschiedlichen Lebensräume am Fuße des Hohen Ifen. Der Austausch zwischen Gästen, Einheimischen und Experten über die Welt der Falter gehörte zu den erklärten Zielen des Projekts. Das Nachtleuchten bildete den wissenschaftlichen Schwerpunkt: In zwei Nächten wurden jeweils vier ausgesuchte Standorte untersucht. Sorgte auch das Wetter für suboptimale Bedingungen, so konnten doch über 200 Falterarten dokumentiert werden. Wissenschaftliches Highlight war der Sumpflabkraut-Bindenspanner (Lampropteryx otregiata). Dieser unscheinbare, braune Falter gilt als der seltenste Falter Westösterreichs. In Kärnten, Ost- und Nordtirol ist er gänzlich unbekannt, lediglich in Salzburg wurde er in wenigen Exemplaren beobachtet. In Vorarlberg war Lampropteryx otregiata erst an einem einzigen Standort gesichtet worden. Nun gelangen im Kleinwalsertal gleich drei Nachweise. Doch das Tier am Leuchtturm war wenig kooperativ und ließ nur ein unscharfes Foto zu – das aber genügte, um die Art eindeutig zu identifizieren. Die Gesamtheit der Funde lässt auf eine vielfältige Fauna schließen, zu deren näheren Erforschung weitere Erhebungen lohnend wären. Es bleibt spannend, was 2022 zu bieten hat.

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