J. Georg Friebe

Geboren 1963 in Mödling, aufgewachsen in Rankweil. Studium der Paläontologie und Geologie in Graz mit Dissertation über das Steirische Tertiärbecken. Seit 1993 Museumskurator an der Vorarlberger Naturschau bzw. der inatura Dornbirn.

(Foto: © J. Georg Friebe)

Flugkünstler und Fressmaschine

September 2015

Im Sommer treibt die Sonne den Menschen ans Wasser. Wer abseits der Bäder unterwegs ist, an Seen oder gar im eigenen (Schwimm-)Teich, merkt bald, dass er nicht unter Seinesgleichen allein ist. Neben den so gar nicht geliebten Stechmücken erregt eine Gruppe auffallend großer Insekten unsere Aufmerksamkeit.

Schnell und wendig fliegen die Libellen über das Wasser. So suchen sie nach Nahrung, und sie verteidigen ihr Revier. Libellen sind wahre Flugkünstler, manövrieren präzise und können sogar in der Luft stehen. Wie sie das machen, hat den Menschen von je her fasziniert. Leicht müssen die Flügel sein, und dennoch stabil: Eine Libelle kann sich nicht viel schwerpunktfernes Gepäck leisten. Die Belastung beim Fliegen ist hoch, denn selbst zur Attacke gegen Konkurrenten werden die Flügel eingesetzt. Im Laufe der Jahrmillionen, in denen es Libellen auf der Erde gibt, wurde die Leichtbauweise optimiert. Das Netz der Flügeladern ist schon mit bloßem Auge erkennbar. Zwischen ihnen ist eine dünne Membran aufgespannt. Die Verstrebungen sind nicht starr, sondern durch elastische Gelenke verbunden. So können die Flügel als Ganzes mit gezielten Form­änderungen auf die aerodynamischen Kräfte reagieren. Doch das allein genügt nicht für einen stabilen Flug. Mikrostrukturen verlängern den Weg der Luft an seiner Oberseite, und der Flügel erhält zusätzlichen Auftrieb. Und nicht zuletzt lassen sich die beiden Flügelpaare unabhängig voneinander bewegen. Im Libellenflügel sind aerodynamisches Design, Gewichtsminimierung und Stabilität perfekt vereint: Nur ein bis maximal zwei Prozent des Gesamtgewichts einer Libelle entfällt auf die Flügel.

Libellen sind bunt. Manche sind leuchtend rot, andere schillern metallisch grün, und auch blaue Tiere sind gar nicht selten. Und bei fast allen Arten sind Männchen und Weibchen völlig unterschiedlich gefärbt. So vielfältig wie die Farben sind die Techniken, wie diese zustande kommen. Strukturfarben entstehen durch den inneren Aufbau des Chitin-Panzers. Ihr metallischer Glanz bleibt auch nach dem Tod des Tieres erhalten. Für leuchtende Farben sind Pigmente verantwortlich. Sie sind in die Muskelansätze eingelagert und liegen unter dem durchsichtigen Panzer. Die Farbe reift mit der Zeit, und frisch geschlüpfte Tiere sehen anders aus als ihre älteren Artgenossen. Zersetzen sich nach dem Tod die Muskeln, gehen auch die Pigmente verloren. Die Farben verlöschen, und das Tier wird unansehnlich braun. Doch auch innerhalb des Chitins können sich Pigmente befinden. Sie sorgen dort für dunkelbraune bis schwarze Farbtöne.

Eine Spezialität mancher Libellenarten sind Wachsfarben. Das mattblaue Wachs wird in speziellen Hautdrüsen erzeugt. Fast immer sind es die Männchen, viel seltener die Weibchen, die zum Teil oder ganz von ihm überzogen sind. Wie viel Wachs vorhanden ist, lässt auf das Alter des Tieres schließen. Frisch geschlüpfte Libellen haben noch keine Bereifung. Alte Männchen wiederum zeigen oft Kopulationsmarken: Bei der Paarung umklammert das Weibchen mit den Beinen den Hinterleib des Männchens und reibt dabei Wachs ab. Je stärker die Abnutzung, desto häufiger hat sich das Männchen bereits gepaart.

Apropos Paarung: Was wir als Libelle fliegen sehen, ist das geschlechtsreife Tier, das für Nachwuchs sorgt. Vor der Paarung füllt das Männchen eine Samentasche im vorderen Teil des Hinterleibs. Mit seinen Hinterleibsanhängen packt es das Weibchen hinter dem Kopf. Das Weibchen krümmt nun seinen Körper zum Paarungsrad nach vorne und entnimmt aus dem „Vorratsbehälter“ den Samen. Manche Libellenarten kopulieren innerhalb weniger Sekunden im Flug, bei anderen kann sich die Begattung über lange Zeit hinziehen. Die Eiablage erfolgt oft im Tandem – so verhindert das Männchen, dass im letzten Moment ein Konkurrent zum Zug kommt. Die Eier werden im Flug abgeworfen, abgestreift oder in Pflanzen eingestochen. Bei manchen Kleinlibellen taucht das Weibchen dazu sogar mehrere Minuten unter Wasser.

Fast alle Arten verbringen den weitaus größten Teil ihres Lebens im Wasser. Nur die Winterlibellen, die als Imago die kalte Jahreszeit überdauern, schlüpfen bereits nach wenigen Wochen Larvenzeit. Die wasserbewohnenden Entwicklungsstadien haben nur geringe Ähnlichkeit mit dem fliegenden Tier.

Nichts ist vor so einer „Fressmaschine“ sicher: Selbst kleine Fische zählen zu ihrer Nahrung. Libellenlarven sind keine schnellen Jäger. Nur wenige Arten pirschen sich an ihre Beute an oder verfolgen sie schwimmend. Die meisten Larven lauern getarnt. Erst wenn das Opfer in Reichweite ist, schlagen sie blitzschnell zu. In nur 20 Millisekunden schnellt die Fangmaske vor, greift die Beute mit zwei starken, beweglichen Zähnen und zieht sie zum Mund.

40 Tage bis 5 Jahre dauert – je nach Art – das Leben im Wasser. Um nicht selbst zur Beute zu werden, ist die Libellenlarve durch einen Chitin-Panzer geschützt. Er mag zwar guten Schutz bieten, aber er wächst nicht mit. Zwischen sieben und 15 Mal kriecht das Tier aus seinem zu eng gewordenen Kleid. Um ein voll entwickeltes, geschlechtsreifes Insekt zu werden, muss sich die Larve verändern. Kurz vor der letzten Häutung sucht sie Pflanzen am Ufer. Sie nimmt nun keine Nahrung mehr auf und stellt die Atmung auf Luftsauerstoff um. Schließlich klettert das Tier aus dem Wasser und krallt sich fest. Der Schlupf zieht sich über längere Zeit hin, und auch danach braucht das Tier Ruhe: Panzer und Flügel müssen erst aushärten, bevor die Libelle zu ihrem ersten Flug starten kann.

Kommentare

To prevent automated spam submissions leave this field empty.