J. Georg Friebe

Geboren 1963 in Mödling, aufgewachsen in Rankweil. Studium der Paläontologie und Geologie in Graz mit Dissertation über das Steirische Tertiärbecken. Seit 1993 Museumskurator an der Vorarlberger Naturschau bzw. der inatura Dornbirn.

(Foto: © J. Georg Friebe)

Giftbewehrte Rivalen – über die tödlichen Beziehungen von Wespen und Spinnen

September 2021

Normalerweise sind die Verhältnisse klar: Was sich im Spinnennetz verfängt, ist potenzielle Nahrung. So gut wie immer landet die Beute im Magen der Spinne, und nicht einmal Wanzen werden verschont (mögen sie auch noch so erbärmlich stinken). Klebt das Opfer einmal an den Spinnfäden, so krabbelt deren Erzeugerin aus ihrem Versteck, um die zukünftige Nahrung mit einer Giftinjektion zu lähmen. Das Opfer wird durch Enzyme vorverdaut, aber nicht unbedingt gleich verzehrt. Sehr oft wird das Insekt in Spinnfäden eingesponnen und als Fresspaket aufbewahrt. Je größer, desto besser – damit hält sich für die Spinne der Aufwand in Grenzen. Kleine Mücken hingegen werden sofort verzehrt. Um sie einzuspinnen, müsste mehr Energie aufgewendet werden, als durch den Verzehr gewonnen werden kann.
Auch unvorsichtige Wespen können sich im Spinnennetz verfangen. Die Spinne ist behände genug, dem Giftstachel der Wespe zu entgehen. Das Schicksal der Wespe scheint besiegelt. Aber manchmal nimmt die Sache – wie neulich beobachtet – eine merkwürdige Wendung: Ob die Wespe (eine soziale Falten­wespe) das Spinnennetz samt dem darin aufgehängten Fresspaket bewusst angesteuert hat, ob sie sich durch Zufall darin verfangen hat – das lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Sie blieb nur kurz an den klebrigen Fäden hängen. Die Radnetzspinne näherte sich bereits der vermeintlichen Beute. Vergebens, denn die Wespe hatte sich rasch aus dem Netz befreit. Aber anstatt in Sicherheit zu fliegen, blieb sie in der Gefahrenzone der Spinnfäden: Das Fresspaket der Spinne hatte ihre Aufmerksamkeit erregt. Mit gezielten Flügelschlägen zerriss sie die Fäden, während ihre Mandibeln und Vorderbeine das eingesponnene Insekt sicherten. Der Spinne wiederum war diese Aktion suspekt: Sie verzichtete auf einen Angriff. So flog schlussendlich die Wespe mit dem Fresspaket des Achtbeiners zu ihrem Nest. Die Spinne aber hatte doppelten Schaden: Das zerstörte Netz war ja rasch wieder repariert, doch der Verlust ihrer Nahrung muss sie hart getroffen haben.
Soziale Faltenwespen sind nicht die einzigen Wespen, und Radnetzspinne sind nicht die einzigen Spinnen. Und damit gibt es Wespenarten, bei denen sich das Räuber-Beute-Verhältnis umkehrt: Die Spinne dient als Nahrungsquelle für den Nachwuchs der Wespe.
Neben manchen alleinlebenden (solitären) Faltenwespen gehört auch die eine oder andere Grabwespe zu den Spinnenräubern. Der deutsche Name der Wespenfamilie Sphecidae ist irreführend. Neben Arten, die wirklich Brutröhren im losen Sediment anlegen, gibt es Grabwespen, die Brutkammern aus Lehm zimmern. Andere strengen sich weniger an und nutzen bereits vorhandene Strukturen: Schilfröhrchen, Mauerspalten, ja sogar Stegplatten aus Kunststoff dienen als Kinderstube für den Nachwuchs. So unterschiedlich die Brutkammern sind, so unterschiedlich ist auch der Nahrungsvorrat, der dort deponiert wird. Die einzelnen Arten konzentrieren sich jeweils auf eine ganz spezielle Beute. So fängt der Stahlblaue Grillenjäger (Isodontia mexicana) fast ausschließlich Eichenschrecken (Meconema spp.) – kleine Heuschrecken, welche die Wespe problemlos fangen und vor allem im Flug transportieren kann. Die Große Lehmwespe (Delta unguiculatum – eine solitäre Faltenwespe) wiederum mauert jeweils zwei bis drei Raupen von Spannern oder Eulenfaltern in ihre Brutkammern ein. Die Orientalische Mauerwespe (Sceliphron curvatum) schließlich bevorzugt Spinnen. Der Forschergeist ist versucht, deren Brutzellen wieder zu öffnen, um auf diese Art einen Überblick über die Spinnenfauna der Umgebung zu erhalten. Fehlanzeige – es sind in erster Linie Jungspinnen, die von der Wespe erbeutet werden. Juvenile Spinnen aber entziehen sich sehr oft der eindeutigen Identifikation: Ihre Geschlechtsorgane (ein wichtiges Bestimmungsmerkmal) sind noch nicht voll entwickelt. 
Wegwespen (Pompilidae) sind begnadete Spinnenjäger. Bei gutem Wetter sind sie leicht von anderen Hautflüglern zu unterscheiden: Anstatt zu fliegen, laufen sie nahe dem Boden auf der Vegetation umher und suchen nach potentiellen Beutetieren. Auf den ersten Blick scheinen sie wenig wählerisch. Nicht spezielle Arten werden bevorzugt, sondern die Wespen konzentrieren sich auf Spinnen mit ähnlicher Lebensweise. Eine Studie aus Großbritannien hat gezeigt, dass trotz allem Präferenzen bestehen. Nur 13 der 30 britischen Spinnenfamilien enthalten Arten, die für die Wegwespen interessant sind, und nur zehn Prozent aller Spinnenarten kommen tatsächlich als Beute in Frage. Die einzelnen Wegwespenarten haben dabei sehr unterschiedliche Strategien entwickelt. Manche verzichten auf eine Kinderstube. Das Weibchen lähmt das Opfer für kurze Zeit und legt ein einzelnes Ei ab. Wenn die Spinne aus ihrer Betäubung erwacht, trägt sie einen tödlichen Gegner mit sich. Die Larve entwickelt sich auf ihrem Wirt, den sie schlussendlich vollständig verzehrt. Andere Wegwespen legen Nester an. Bei der Tönnchenwegwespe (Auplopus carbonarius) bestehen diese ebenfalls aus Lehm, lassen sich aber anhand ihrer Form leicht von den Bauwerken anderer Hautflügler unterscheiden. Sie bevorzugt große Spinnen, die sie am Boden zu ihrem Nest trägt. Nur an schwierigen Stellen wird die Beute an den Spinnwarzen gezogen. Abwärts sind auch Flugsprünge möglich. Beim Transport wären die Beine der Spinne hinderlich – sie werden von der Wegwespe entfernt. Eine dritte Gruppe verschwendet keine Energie für den Beutefang. Als Kleptoparasiten räumen sie die Nester anderer Wegwespen aus, um ihre Brut mit Nahrung zu versorgen.
Manchmal also liefern Spinnen die Nahrung für den Wespen­nachwuchs. Dass ein Fresspaket der Spinne geklaut wird, dürfte eher die Ausnahme sein. Ist aber die Spinne selbst das Opfer, so erfährt sie ein brutales Schicksal: Sie wird von der Wespenlarve bei lebendigem Leib verdaut und verzehrt.

Kommentare

To prevent automated spam submissions leave this field empty.