J. Georg Friebe

Geboren 1963 in Mödling, aufgewachsen in Rankweil. Studium der Paläontologie und Geologie in Graz mit Dissertation über das Steirische Tertiärbecken. Seit 1993 Museumskurator an der Vorarlberger Naturschau bzw. der inatura Dornbirn.

(Foto: © J. Georg Friebe)

„Hurra“, sprach der Stein, „seit 18.000 Jahren liege ich im Sonnenlicht!“

März 2023

Wenn es doch nur so einfach wäre, Altersfragen in der Geologie in absolute Zahlen zu fassen. Doch von selbst werden die Steine nicht sprechen. Erst im Labor können wir sie zum Reden bringen, können wir ihnen die gewünschten Informationen entlocken.

Seit sich der Mensch intensiver mit der Erdkruste auseinandersetzt, steht er vor einer – lange Zeit unlösbaren – Frage: Wann sind unsere Gesteine entstanden? Das Erstellen einer relativen Zeitskala stand am Anfang: In einer ungestörten, normal liegenden Folge von Ablagerungsgesteinen befinden sich die ältesten Schichten zuunterst. Je höher man in der Schichtsäule emporsteigt, umso jünger müssen die Ablagerungen zwangsweise werden. Gut voneinander abgrenzbare Gesteinspakete werden nun auch als Zeiteinheiten interpretiert und mit Namen versehen. Solange man dabei in einem in sich geschlossenen, einheitlichen Ablagerungsraum bleibt, funktioniert dies recht gut. Schwieriger wird es, Gesteinsabfolgen über weite Strecke und unterschiedliche Ablagerungsräume hinweg zu korrelieren und in der relativen Zeitskala zu positionieren: So markant ein Wechsel im Gesteinsinhalt auch sein mag – niemand kann garantieren, dass er überall zur selben Zeit erfolgt ist.
Ein weiteres Kriterium musste gefunden werden. Schon früh zeigte sich, dass unterschiedlich alte Ablagerungen auch unterschiedliche Fossilien enthalten. Versteinerte Lebewesen erwiesen sich als weitaus besseres Kriterium, um geologische Zeiteinheiten zu definieren. Und seit Charles Darwin postulierte, dass die Tierwelt einem steten Wandel unterworfen ist, konnte dies auch wissenschaftlich untermauert werden. Fossilien sind auch heute noch das Hauptkriterium, um gleich alte Ablagerungen zu identifizieren und in der relativen Zeitskala einzuordnen. Der weltweite Vergleich von Versteinerungen führte zu einer immer feineren Auflösung der Skala. Dennoch musste das Ergebnis unbefriedigend bleiben: Immer noch fehlen absolute Altersangaben. Und vulkanische Gesteine können in dieser Abfolge nur bedingt, magmatische Tiefengesteine und Umwandlungsgesteine überhaupt nicht untergebracht werden.
Auch dieses Problem sollte gelöst werden: Die Entdeckung der Radioaktivität lieferte den geeigneten Schlüssel. Radioaktive Isotope (unterschiedliche Erscheinungsformen desselben Elements) zerfallen. Sie zerfallen konstant mit gleichbleibender Geschwindigkeit und bilden dabei neue Tochterisotope. Die Halbwertszeit eines Isotops gibt an, nach welcher Zeitspanne nur noch die Hälfte des Ausgangsmaterials vorhanden ist. Immer genauere Messmethoden ermöglichen es, auch die Halbwertszeit immer genauer zu ermitteln. Nun braucht es nur noch ein Ereignis, das die radiometrische Uhr auf „Null“ zurückstellt. Temperatur ist der entscheidende Faktor. Bei Unterschreiten einer bestimmten Temperaturgrenze wird – für jede Mineralart anders – das Verhältnis der Isotope auf einen konstanten, immer gleichen Wert gestellt. Damit ist die Menge des Ausgangsmaterials bekannt. Erst jetzt beginnt der radioaktive Zerfall, und die Uhr fängt an zu ticken. Aus dem Verhältnis von Mutterisotop und Tochter­isotop kann über die Halbwertszeit das Abkühlungsalter errechnet werden. Selbstredend, dass dies bei Ablagerungsgesteinen, die niemals auf mehrere 100 Grad aufgeheizt werden, nicht funktionieren kann. Nun gilt es, innerhalb der Abfolge der Sedimente vulkanische Aschenlagen zu finden, in denen einzelne, frische Mineralkörner radiometrisch datiert werden. Auf diese Art können absolute Altersangaben die relative Zeitskala ergänzen und mit Zahlen versehen.
Doch der radioaktive Zerfall natürlicher Isotope sollte nicht die einzige Grundlage zur Gesteinsdatierung bleiben. Am anderen Ende des Anwendungsspektrums stehen radioaktive Isotope, die in den Gesteinen primär nicht vorkommen. Ihre Entstehung bedarf eines Anstoßes von außen. Wirkt kosmische Strahlung an der Oberfläche eines Gesteins auf Quarz ein, so wird ein sehr geringer Anteil des Siliziums zu radioaktivem Beryllium umgewandelt. Je länger das Gestein der kosmischen Strahlung ausgesetzt ist, umso mehr Beryllium wird gebildet. Die Eiszeitforschung nutzt dies, um das Abschmelzen der Gletscher genauer zu datieren: Findlinge sind große Blöcke, die vom Eis an neue Orte – oft weit ins Vorland – transportiert worden sind. In der Regel wurden sie erst nach dem Freischmelzen von kosmischer Strahlung getroffen. Dies ist der Nullpunkt für die Beryllium-Uhr. Werden Findlinge beprobt, die nach ihrer Deponierung am neuen Ort nicht mehr bewegt wurden, so lässt sich der Zeitpunkt bestimmen, an dem sie von den Eismassen freigegeben worden sind. 
Um das Geschehen zum Ende der letzten, der Würm-Eiszeit in Vorarlberg zeitlich besser einstufen zu können, wurden Findlinge von fünf Lokalitäten im Walgau sowie eines Vergleichsstandorts im Württembergischen Vorland näher untersucht. Wie zu erwarten, lieferten die Proben aus dem Vorland die ältesten Daten: Dort war die Landschaft bereits vor 19.000 Jahren eisfrei. Je weiter wir flussaufwärts in den Walgau hinein blicken, umso jünger werden die Daten: Vor etwas mehr als 16.000 Jahren wurde ein großer Gneisblock bei Muggabill südöstlich von Gurtis (Nenzing) von den Eismassen freigegeben. Doch Findlinge nur wenig talauswärts bei Gurtis liegen bereits seit 18.400 Jahren an der Sonne. Welche Faktoren für den unerwarteten Altersunterschied auf so kurze Entfernung verantwortlich sind, liegt freilich im Dunkeln. Die falsche Einschätzung der Beschattung könnte ebenso eine Ursache sein, wie Messungenauigkeiten. Dennoch liefern die Ergebnisse weitere Hinweise, in welchen Zeiträumen sich der Ill-Gletscher wieder in die alpinen Regionen der Silvretta zurückgezogen hat.

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