Raphael Einetter

Archivar im Jüdischen Museum Hohenems, seit 2018 Aktuar des Vereins zur Erhaltung des Jüdischen Friedhofs in Hohenems.

Jüdischer Friedhof Hohenems – Erinnerung und Gegenwart

November 2019

Der Jüdische Friedhof in Hohenems blickt auf eine über 400-jährige Geschichte zurück und erlebte in dieser Zeit viele Veränderungen. Entwicklungen im Herbst 1954 sollten sich maßgeblich auf den heutigen Zustand auswirken. Der Verein zur Erhaltung des Jüdischen Friedhofs in Hohenems kümmert sich nämlich seither um die Pflege und Restaurierung der Begräbnisstätte.

Zeitgleich mit ihrer ersten Niederlassung wurde den zwölf jüdischen Familien im Jahr 1617 das Grundstück am Schwefelberg, am südlichen Ortsende von Hohenems, zugewiesen. Die ältesten Gräber, deren Existenz zumindest schriftlich erhalten geblieben ist, datieren aus den 1740er Jahren. Das Friedhofsgelände wurde in weiterer Folge mehrfach erweitert, und die Fläche wuchs bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts um rund das Achtfache. 1900 konnte mit einem Wasserableitungssystem die Unterspülung des Hangs, welche den Grabsteinen zugesetzt hatte, gestoppt werden. Außerdem fand die bislang letzte Vergrößerung des Areals statt. Dem Engagement des bis 1905 in Hohenems tätigen Rabbiners Aron Tänzer ist es zu verdanken, dass viele Grabstätten heute noch zugeordnet werden können. Während der Friedhof die Zeit des Nationalsozialismus trotz Gräberschändungen einigermaßen unbeschadet, wenn auch verwahrlost, überdauert hatte, war der Fortbestand der Ruhestätte in den Nachkriegsjahren ungewiss.

Baumschule oder Bleistifte?

In Innsbruck war die Israelitische Kultusgemeinde für Tirol und Vorarlberg noch im Wiederaufbau begriffen, als ihr 1950, als Rechtsnachfolgerin der ehemaligen jüdischen Gemeinde, der Hohenemser Friedhof und andere Liegenschaften durch die Rückstellungskommission zugesprochen wurden. In finanziellen Nöten wurde alsbald die Synagoge verkauft. Im Juni 1953 legte der Gemeindevorsteher Rudolf Brüll in einem Brief an den St. Galler Rabbiner Lothar Rothschild dar, weshalb auch die Veräußerung des Friedhofs in Erwägung gezogen werde. So habe ihm die Marktgemeinde Hohenems vorgeschlagen, den Hang als Baumschule zu verwenden, während sich der vorhandene Baumbestand wohl für die Bleistifterzeugung eignen dürfte. Die Grabsteine seien, ungeachtet der Erforschung durch Rabbiner Tänzer, nicht mehr zuzuordnen, weshalb sie kurzerhand entlang der Mauer aufgestellt werden und mit einer zusätzlichen Gedenktafel an ihre Geschichte erinnern sollten. Einige Nachkommen aus Hohenemser Familien, die im schweizerischen Kanton St. Gallen angesiedelt waren, entschlossen sich daraufhin, die Verwaltung des Friedhofs selbst zu übernehmen. Am 1. Oktober 1954 unterzeichneten Willi Burgauer aus St. Gallen als Präsident, der St. Galler Rabbiner Lothar Rothschild als Aktuar und der in Widnau wohnhafte Kurt Bollag als Kassier die Gründungsstatuten. Auf den Schenkungsvertrag vom 15. Dezember folgte der Grundbucheintrag vom 15. Januar 1955 und somit der Übergang des Friedhofs ins Vereinseigentum. Zweck des Vereins war es fortan zum einen, den Bestand durch Renovierungsarbeiten bestmöglich zu erhalten und zum anderen auch weiterhin Beerdigungen durchzuführen. 

Instandhaltung und Restaurierung

Bereits ab 1957 wurden das Eingangsportal sowie die Halle renoviert. 1967 wurde der Friedhof unter Denkmalschutz gestellt. Für die laufenden Erhaltungsmaßnahmen konnte ab 1978 mit Adi Pleterski ein Friedhofsgärtner gewonnen werden, der sich in weiterer Folge genau 40 Jahre um die Pflege der Anlage kümmern sollte. In dieser Zeit wurden einerseits weitere Renovierungsarbeiten durchgeführt, der Friedhof andererseits aber auch inhaltlich erforscht und dokumentiert. Für eine der ersten Ausstellungen des Jüdischen Museums Hohenems im Jahr 1992 fotografierte der Vorarlberger Fotograf Arno Gisinger die Grabsteine, außerdem wurde für manche Steine eine kunsthistorische Beschreibung erstellt, und die noch erkennbaren Inschriften wurden transkribiert und gegebenenfalls übersetzt.
Auf Grundlage des 2010 erlassenen Bundesgesetzes zur Einrichtung des „Fonds zur Instandsetzung der jüdischen Friedhöfe in Österreich […]“ sowie der im Jahr darauf folgenden Richtlinien wurde seitens des Vereins zur Erhaltung des Jüdischen Friedhofs mit den Vorbereitungen zum bislang größten Sanierungsprojekt begonnen. Daran beteiligt waren der heutige Vereinspräsident Yves Bollag sowie der damalige Aktuar Johannes Inama, die vom Architekten Reinhard Rinderer tatkräftig unterstützt wurden. 2012 wurde zunächst eine Bestandsanalyse durchgeführt und eine Kategorisierung der Grabsteine in Zusammenarbeit mit dem Bundesdenkmalamt vorgenommen. Im Jänner 2014 wurden die ersten Fördergelder durch den besagten Fonds genehmigt, welche unter anderem zur Sanierung der westlichen Friedhofsmauer, für Vermessungsarbeiten und Georadaruntersuchungen sowie zur Restaurierung von Grabsteinen verwendet wurden. Weiters wurde das Projekt seitens der Stadt Hohenems und des Landes Vorarlberg finanziell unterstützt. Bis zum Treffen der Nachkommen ehemaliger jüdischer Familien aus Hohenems, welches anlässlich des 400-jährigen Jubiläums der Ansiedlungserlaubnis im Juli 2017 mit rund 200 Personen stattfand, waren die Arbeiten an der Mauer sowie an einigen Grabsteinen abgeschlossen. Seither wurden weitere Grabsteinrestaurierungen durchgeführt; dies ist auch für die kommenden Jahre geplant.
Der Friedhof ist abgesperrt, ein Schlüssel ist beim Jüdischen Museum Hohenems zu den Öffnungszeiten (Dienstag bis Sonntag von 10 bis 17 Uhr) erhältlich. Einen virtuellen Rundgang ermöglicht die Friedhofsdatenbank, die unter
http://tinyurl.com/juedischer-friedhof-hohenems abrufbar ist.

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