Schnäppchenjagd auf Medikamente
Ab 25. Juni dürfen auch in Österreich Apotheken Medikamente über das Internet vertreiben. Zwar kann man schon jetzt via Internet Arzneimittel kaufen, die kommen aber über zum Teil seltsame Konstruktionen aus dem Ausland – unkontrolliert, und nicht selten sind es Fälschungen. Das soll jetzt alles anders werden. Die Apotheker selbst sind gespalten.
Er sei selbst ziemlich überrascht gewesen, sagt ein Spitzenbeamter des Bundeskriminalamts und in einer eigenen SOKO zuständig für Arzneimittelfälschungen, als er sich nach dem Ausheben eines Fälscherringes die Kunden angesehen habe: Das Potenzmittel Viagra – ganz oben auf der Hitliste der Fälscher – werde zu einem großen Teil von Frauen bestellt. Die Antwort einiger Kundinnen, die das BKA befragte: Sie geben es ihren Männern heimlich – etwa ins Essen gemischt.
Im Herbst wurden bei einer internationalen Großaktion auf einen Schlag hunderte Webseiten stillgelegt, 400 davon waren in Österreich aktiv. Mittlerweile haben Verdächtige gestanden, in den vergangenen zwei Jahren allein in Österreich rund zwölf Millionen Euro mit Fälschungen umgesetzt zu haben. „Da wurden“, erzählt der Beamte, „Webseiten betrieben – sogar mit Verlinkung zu offiziellen Behörden – und Callcenter mit einer österreichischen Telefonnummer. Von der wird man ins Ausland weitergeleitet, aber dort von jemandem betreut, der gut Deutsch spricht. Auch die Konten sind bei heimischen Banken – das Geld wird dann laufend abgeschöpft und weitergeleitet. Die Kunden haben ständig das Gefühl, dass sie immer in Österreich sind und auch der Anbieter hier sitzt. Sie werden sogar wiederholt angerufen und zu neuen Bestellungen verleitet. Die Sendungen wurden in Österreich aufgegeben – versehen mit Absenderadressen von tatsächlich bestehenden Apotheken.“ Das war dann auch der entscheidende Fehler: Als die Fälscher eine Änderung der Posttarife übersahen und die Pakete zu den gefälschten Absendern – echten Apotheken – zurückkamen, schalteten diese die Polizei ein.
„Kunden erkennen bei solchen Versandhändlern einfach nicht, mit wem sie es zu tun haben“, sagt Jürgen Rehak, Präsident der Vorarlberger Apothekerkammer und Chef der Rheinapotheke in Höchst. „Im günstigsten Fall wirkt das bestellte Produkt dann einfach nicht.“ Es gäbe aber Fälle, wo die Wirkstoffe in Fälschungen überdosiert oder unterdosiert sind, wo überhaupt andere Substanzen geliefert oder in Hinterhoflabors irgendwelche Giftstoffe zusammengepanscht werden.
Um diese Fälschungen in den Griff zu bekommen, hat die EU nun zu einem ungewöhnlichen Mittel gegriffen: Der Markt wird liberalisiert. Ab 25. Juni dürfen Apotheken mit Sitz in Österreich offiziell Medikamente im Internet verkaufen. Die Öffnung gilt EU-weit und ist verbunden mit einem Online-Sicherheitslogo, das die Apotheken beantragen müssen und mit dem Kunden auf der Webseite der Arzneimittelbehörde AGES überprüfen können, ob ihr Online-Händler seriös ist. Auffallend bei der heimischen Verordnung, die vom Gesundheitsministerium in Begutachtung geschickt wurde: „Click and collect“-Systeme, wie sie etwa in deutschen Drogerien angeboten werden und Kunden die Möglichkeit bieten, bestellte Waren in Filialen abzuholen, sollen in Österreich nicht gestattet sein.
In Deutschland ist der Versandhandel schon länger erlaubt. Laut Branchenbeobachter IMS Health verbuchte der Umsatz mit Arzneimitteln über den elektronischen und telefonischen Bestellweg im Dezember 2014 ein Plus von 13 Prozent auf 69 Millionen Euro. In Deutschland dürfen auch rezeptpflichtige Medikamente im Versandhandel vertrieben werden, was auch künftig in Österreich verboten sein wird. Im Gesamtjahr 2014 lag die Entwicklung im deutschen Versandhandel im mittleren einstelligen Bereich mit einem Plus von sechs Prozent. Der Marktanteil liegt bei rezeptfreien Produkten bei knapp zehn Prozent.
Wirklich in Fahrt kommen die Onlinehändler aber nicht, positive Ergebnisse meldet kaum einer. Der Grund liegt für den Vorstand des Instituts für Handel, Absatz und Marketing der Universität Linz, Gerhard Wührer, darin, dass die Beratung ein wichtiger Vorteil der Apotheken sei. Entscheidend sei die Nähe zu den Kunden: „Es gibt in Österreich eine flächendeckende Versorgung mit Apotheken. Solange der Versandhandel es nicht schafft, am nächsten Tag zu liefern, hat er hier einen entscheidenden Wettbewerbsnachteil.“
Das sieht auch Jürgen Rehak so: „Dinge des täglichen Bedarfs holt man sich rasch in der vertrauten Apotheke ums Eck. In Vorarlberg wird die Nachfrage nach Online-Medikamenten sogar noch geringer sein als etwa in Deutschland.“ Der Vorarlberger lege mehr Wert auf Qualität, während das Schnäppchenbewusstsein in Deutschland stärker ausgeprägt sei. Rehak kann sich aber vorstellen, dass es auch Apotheken geben wird, die den Versandhandel als zusätzliche Vertriebsmöglichkeit sehen. Ab 25. Juni weiß man mehr.
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