J. Georg Friebe

Geboren 1963 in Mödling, aufgewachsen in Rankweil. Studium der Paläontologie und Geologie in Graz mit Dissertation über das Steirische Tertiärbecken. Seit 1993 Museumskurator an der Vorarlberger Naturschau bzw. der inatura Dornbirn.

(Foto: © J. Georg Friebe)

Verästelte Nicht-Pflanzen in Stein konserviert

April 2019

„Ich habe da eine versteinerte Pflanze gefunden ...“ – Noch ohne den Stein gesehen zu haben, stellen sich erste Vermutungen ein, was da wirklich entdeckt worden sein könnte. Meist zerstreut bereits die Nachfrage nach dem Fundort die letzten Zweifel: Um eine Pflanze handelt es sich mit Sicherheit nicht. Und dennoch befindet sich der aufmerksame Wanderer in bester Gesellschaft: Als Kaspar Maria von Sternberg im Jahr 1833 die Gattung Chondrites erstmals beschrieb, erging auch er sich in Mutmaßungen, worum es sich bei diesem Fossil handeln könnte.

Vom Vorderälpele oberhalb von Feldkirch über die Nordflanke des Walgaus und des Großen Walsertals, über das hintere Laternsertal bis in die Gegend von Schoppernau und weiter zum Walmendinger Horn im Kleinwalsertal zieht sich die Zone, in der in Vorarlberg das Fossil Chondrites gefunden werden kann. Und dort ist es auch gar nicht selten: Dunkle, verästelte, manchmal sternförmige, filigrane Strukturen zeigen sich auf den hell angewitterten Schichtflächen des Gesteins. Im frischen Bruch aber ist die Versteinerung nur schwer zu erkennen: Solange die Oberfläche des Steins noch nicht von Wasser und Säuren verändert wurde, ist sie selbst dunkel, und der Farbunterschied zwischen Umgebungsgestein und Fossil fällt kaum auf.
Die dunklen Verzweigungen, die an die blattfreien Äste der Bäume im Winter erinnern, lassen tatsächlich spontan an eine versteinerte Pflanze denken. Daher hatten auch die Pioniere der Paläontologie zu Beginn des 19. Jahrhunderts keine Ahnung, was da nun wirklich in ihren Naturalienkabinetten lag. Restlos geklärt ist dies heute noch nicht. Bereits elf Jahre vor Sternberg meinte ein französischer Forscher, in diesen Strukturen versteinerte Wasserpflanzen erkennen zu können. In Anlehnung an die Seetang-Gattung Fucus prägte er den Namen Fucoides, der bis heute (manchmal eingedeutscht als Fukoiden) durch die (Fach-)Literatur geistert. Obwohl dieser ältere Name eigentlich Vorrang hätte, musste er verworfen werden: Zu unterschiedlich sind die damit belegten Strukturen. Andere Forscher dachten an Algen, und so fand die Bezeichnung Algacites Eingang in den wissenschaftlichen Diskurs. Er ist heute zu Recht wieder aus den Publikationen verschwunden. Auch Kaspar von Sternberg dachte an Pflanzen. Bei der Benennung der Versteinerung ließ er sich vom Knorpeltang leiten, der wissenschaftlich als Chondrus bezeichnet wird.

Chondrites wurde lange als ein Problematikum betrachtet, und noch in einem Lehrbuch aus dem Jahr 1910 findet sich die Feststellung „Die Chondriten sind wegen ihres dürftigen Erhaltungszustandes zwar im ganzen fragwürdige Gebilde, und es ist keineswegs festgestellt, ob dieselben auch in der Tat immer pflanzlicher Natur sind. Der Einfachheit halber aber wollen wir sie doch hier [d.h. bei den Algen] behandeln.“ Doch in der Folgezeit setzte sich eine neue Betrachtungsweise durch: Wurde die dunkle Farbe zuvor als inkohlte Pflanzensubstanz interpretiert, so zeigten neue Analysen eine deutliche Dominanz von Tonmineralen bei nur geringer Beimischung von Kohlepartikeln. Für die Färbung wurde nun Eisen verantwortlich gemacht. Eine neue Erklärung musste gefunden werden.
Chondrites gilt heute als Spurenfossil, als versteinerte Lebensspur eines Tiers. Damit drängten sich neue Fragen ins Blickfeld der Forscher. Wer war der Verursacher, und auf welche Art und Weise hat er die Spuren produziert? Viele Lebensspuren sind Zeugen der Fortbewegung. Nicht selten geht dies mit Nahrungsaufnahme einher: Seeigel wühlen sich durch den weichen Schlamm, fressen, war sie verdauen können, und füllen mit dem ungenießbaren Material den Gang hinter sich. Schnecken kriechen auf dem Meeresboden und weiden dabei dünne Mikrobenmatten ab. Ruhespuren entstehen, wenn sich ein Tier nur kurz niederlässt, um später wieder weiter zu schwimmen. Rollmarken und Schleifspuren sind die Folge, wenn ein (leeres) Gehäuse von der Wasserströmung bewegt wird. Und manche Krebse bauen ausgedehnte Wohnröhren, die auch von anderen Meeresbewohnern gerne als Zuflucht angenommen werden. Doch keine dieser Verhaltensweisen kann die Entstehung von Chondrites befriedigend erklären.

Die selten mehr als einen Millimeter breiten „Ästchen“ gehen von einem zentralen Punkt aus. Sie folgen der Schichtfläche, verzweigen sich, um dann blind zu enden. Sie sind augenscheinlich nicht an der Oberfläche entstanden. Doch Wühlspuren scheiden aus, denn wie sollte die zielgerichtete Fortbewegung im Schlamm solche Strukturen erzeugen? Vor und zurück, dann mit leicht geänderter Richtung wieder vor, gefolgt vom nächsten Rückzug – das alles ergibt keinen Sinn. Wohnröhren eines kaum einen Millimeter dicken Tiers erscheinen gleich unwahrscheinlich. Lange wurden wurmartige Lebewesen als Verursacher angenommen, die in einer senkrechten Röhre im Schlamm lebten. Von dort – so dachte man – erkundeten sie mit ausstülpbaren Tentakeln die Umgebung auf der Suche nach Nahrung, zogen die Tentakel wieder zurück, um in einem neuen Ast weitere Nahrung zu erschließen. Doch auch diese Erklärung geriet ins Wanken, als erkannt wurde, dass die Spuren in sauerstoffarmen Lebensräumen entstanden sind. Heute gilt Chemosymbiose als die plausibelste Erklärung. Manche Bakterien können Schwefelwasserstoff oxidieren. Dabei wird Energie frei und Kohlenstoff gebunden, aus dem wiederum Kohlenhydrate und Enzyme produziert werden. Der (immer noch unbekannte) Verursacher von Chondrites legte das verästelte Röhrensystem an, um darin Schwefelbakterien als Energielieferanten zu kultivieren. Erst diese ermöglichten ihm ein Überleben unter widrigen, sauerstoffarmen Bedingungen am Meeresgrund in zwei- oder dreitausend Meter Wassertiefe.

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