Sabine Barbisch

Vom Kult, den eigenen Körper zu formen

Oktober 2015

Das Klischee der von Bodybuildern und Muskelpaketen besuchten Fitnessstudios hat sich in den vergangenen Jahren ordentlich überholt. Immer mehr Menschen aus allen Altersstufen streben nach einem durchtrainierten Körper.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Gesundheit als völliges seelisches und soziales Wohlbefinden. Immer häufiger wird das mit einem durchtrainierten Körper gleichgesetzt. „Die Sensibilität, für den Körper etwas zu tun, ist bei jüngeren und älteren Menschen in den vergangenen Jahren viel größer geworden. Die Menschen wollen etwas für sich und ihre Gesundheit tun“, berichtet Manfred Scheel, Sprecher der Berufsgruppe der Vorarlberger Fitnessbetriebe und selbst Betreiber des Life Fitnessclub 2.0 in Feldkirch, von seinen Erfahrungen. Das unterstreicht auch eine Erhebung des in Wien ansässigen Instituts für Freizeit- und Tourismusforschung: Ein sehr stark wachsendes Sportsegment sind demnach Wellnesstrainings, also Yoga- oder Pilateskurse. Wie Scheel führt das auch Peter Zellmann, der Leiter des Instituts für Freizeit- und Tourismusforschung, auf das steigende Gesundheitsbewusstsein der Menschen zurück. Neben der Wetterunabhängigkeit solcher Trainingsprogramme führt Zellmann auch die Verbreiterung des Angebots als Gründe für die zunehmende Beliebtheit an.  

Es gibt aber noch weitere Ursachen. Scheel führt das gesteigerte Interesse an Fitnessprogrammen und gezieltem Muskelaufbau auf die „von Medien transportierten Bilder von durchtrainierten Schauspielern und Prominenten“ als Beispiel an. „Gerade junge Leute streben danach, wie ihre Vorbilder auszusehen“, weiß Scheel. Um dieses Ziel zu erreichen, sei es aber nicht genug, „ein bisschen was zu tun. Hinter den perfekt aussehenden Körpern von Prominenten steckt viel hartes Training“, gibt er zu bedenken. „Wir leiten unsere Kunden an und zeigen, wie das gelingen kann. Durch die ersten Erfolge schlägt die anfängliche Motivation schnell in Begeisterung um.“

Faktor Internet

Das Bewusstsein für einen sportlichen und gesunden Lebensstil beginnt immer früher. Das zeigt beispielsweise die Studie „Health Behaviour in School-aged Children“. Die groß angelegte Studie wird alle vier Jahre von der WHO in 44 Ländern durchgeführt. Für 2014 wird den Kindern und Jugendlichen in Österreich eine positive Entwicklung in Sachen Gesundheit bescheinigt: Junge Österreicher rauchen weniger, konsumieren seltener Alkohol und essen mehr Obst. Ein Geschlechterunterschied zeigte sich: Während die Mädchen öfter zu Obst und Gemüse greifen, tendieren die Burschen eher dazu, sich zu bewegen und Sport zu treiben. Es ist eine positive Entwicklung, die sich da in Gang gesetzt hat. Doch kaum ist ein Hype etabliert, kommen auch die negativen Seiten zutage: Das Internet ist voll mit Fitnessprogrammen und Tipps zur Gewichtsreduktion, spezielle Apps helfen dabei. Kinder- und Jugendpsychiater aus dem ganzen Land warnen aber vor gefährlichen Trends im Internet. Zu trauriger Berühmtheit hat es der „Thigh Gap“ gebracht, also das Erreichen einer möglichst großen Lücke zwischen den Innenseiten der Oberschenkel bei geschlossenen Beinen. Auch die „Belly Button Challenge“, bei der versucht wird, mit einem hinter dem Rücken herumgeschlungenen Arm den eigenen Bauchnabel zu erreichen, ist eine Gefahr für junge Menschen. Denn die Magertrends aus dem Internet lassen immer mehr in eine Essstörung oder eine regelrechte „Sportsucht“ schlittern. Letzteres wird immer häufiger thematisiert. „Die klinische Relevanz einer Sportsucht ist immer dann gegeben, wenn das Sport- und Bewegungsverhalten die persönlichen Entwicklungen des Betroffenen langfristig und maßgeblich beeinträchtigt, behindert oder unterdrückt“, definieren Oliver Bilke-Hentsch, Klaus Wölfling und Anil Batra in ihrem „Praxisbuch Verhaltenssucht“.

Gesundheit als Ersatzreligion

Manfred Lütz, Psychologe und Theologe aus Köln, geht einen Schritt weiter – er sieht die neue Sensibilisierung für Gesundheit und Sport gar als „neue Religion“, wie er in einem Interview mit „Die Welt“ erklärt: „Die herrschende Gesundheitsreligion feiert ihre Hochämter bei Städtemarathons, die Fitnessstudios sind ihre Wallfahrtskapellen und Diätbewegungen ihre Bußübungen.“ Er führt diese Entwicklung auf das „religiöse Vakuum“, das es gebe, als Grund für die „Empfänglichkeit für Ersatzreligionen“ zurück. Um es in den Worten von Manfred Lütz zu sagen: „Es gibt Menschen, die leben nur noch vorbeugend. Sie begreifen nicht, dass Gesundheit nur eine Rahmenbedingung für das Leben ist, aber nicht das Leben selbst.“

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