Leonie Dreher

1983, ist Klassenlehrerin an der Volksschule Wolfurt Bütze, Schulentwicklungsbegleiterin für digitale Schulentwicklung mit Schwerpunkt Primarstufe an der PH Vorarlberg und Mentorin für digitale Bildung beim Verein „Plattform für Digitale Initiativen“ in Dornbirn.

Vom Lesen, Problemlösen und Smartwatch-Schulregeln Digitalisierung an Volksschulen

Oktober 2021

Die ersten PCR-Gurgeltests sind absolviert, der Unterricht hat nach den Ferien wieder Fahrt aufgenommen und auch die Eröffnungskonferenzen an den Volksschulen sind erledigt. Neben den aktuellen Covid-Maßnahmen und vielen Diskussionen, wie der eigene Schulstandort trotz Lehrermangel den Unterricht bestmöglich abdeckt, gab es in vielen Konferenzzimmern einen weiteren Punkt, der besprochen wurde: Sind Kinder-Smartwatches nur mit oder auch ohne „Schulmodus“ erlaubt? Oder verbannen wir diese Uhren lieber in die Schultaschen zu den auf lautlos eingestellten Handys, die erst nach dem Verlassen der Schule herausgeholt werden dürfen?
So unterschiedlich die Antworten darauf an den einzelnen Schulstandorten sind, eines haben diese aber gemeinsam: Immer mehr Schüler*innen im Volksschulalter sind mit digitalen Geräten ausgestattet. Und genauso verschieden wie die Schulregeln zu Handys & Co ist auch die Annäherung der Volksschulen an das Thema „Digitalisierung“. 
Getan hat sich hier seit Beginn der Pandemie viel, wie sich an vielen Schulen eindrücklich zeigt. Wurden Tage vor dem ersten Lockdown oft noch überstürzt über Mitteilungshefte E-Mail-Adressen von Eltern abgefragt, ist der Messenger-Dienst SchoolFox für die Kommunikation mit den Eltern seit letztem Schuljahr nicht nur von der Bildungsdirektion für die Primarstufe empfohlen, sondern wird auch von einer Mehrheit der Volksschulen im Land tatsächlich verwendet und hat die Elternkommunikation deutlich vereinfacht.
In den Volksschulen herrscht aber oft noch immer eine gewisse Ratlosigkeit. Soll das, was mit Start der Pandemie oft wortwörtlich über Nacht mit viel Einsatz und persönlichem Engagement erlernt werden musste und durchaus eine Erleichterung darstellt, auch tatsächlich ein Schritt zur digital-inklusiven Schule sein? Oder ist es vielleicht sogar besser, im Unterricht auf zusätzliche Bildschirmzeit zu verzichten?
Nicht nur mit Blick auf Durchdringung der Lebenswelt der Kinder durch digitale Medien – so haben schon weit über die Hälfte der Kinder im Volksschulalter ein eigenes Smartphone – wäre es zu kurz gegriffen, Digitalisierung in der Volksschule auf die Aspekte der Elternkommunikation oder die Unterrichtsvorbereitung zu reduzieren oder aber auch davon auszugehen, dass die Kinder im Volksschulalter als „Digitale Natives“ die digitale Welt ohne Begleitung sowieso allein erschließen.
Tatsächlich ist es so, dass bereits nach der Pubertät eine „Digitale Kluft“ durch die Klassenzimmer geht. Da gibt es die Kinder, die im Aufwachsen mit Medien begleitet werden, einen aktiven und kreativen Umgang damit lernen dürfen und kompetent mit Informationen umgehen (lernen). Und dann gibt es die Kinder, die diese Begleitung durch das Elternhaus nicht haben und eher zu einem passiven, konsumtiven Gebrauch neigen. Die Volksschule als gemeinsamer Lernort für (fast) alle Kinder muss mit Blick auf Chancengerechtigkeit allen die Möglichkeit bieten, im Medienhandeln so begleitet zu werden, dass dieses die Grundlage für die Teilhabe an unserer Gesellschaft darstellt. 
Früher waren es Bud Spencer und der erste eigene Game Boy, heute sind es oft Influencer, Konsole oder Smartphone: Medien und ihre Helden sind bei Heranwachsenden stark mit der eigenen Identität verbunden. Bieten Schulen Platz für Themen aus der Lebenswelt der Kinder, stärkt dies das Vertrauen der Kinder. Die Hoffnung, dass sie sich im Falle von Problemen, schwierigen oder sogar gefährlichen Situationen etwa in sozialen Netzwerken, mit diesem Vertrauen an Erwachsene wenden, lässt sich in der Arbeit mit Kindern immer wieder bestätigen. 
Nicht nur der Blick auf die Lebenswelt der Kinder spricht für digitale Themen in Volksschulen. Auch für den Unterricht ergeben sich Chancen, die genützt werden wollen. So ist etwa eine direkte Rückmeldung an die Schüler*innen in Übungsphasen ein wesentlicher Aspekt von Lernerfolg. In der Unterrichts­praxis ist dies oft nicht möglich. Digitale Lernprogramme können hier eine große Hilfe für die Lehrpersonen darstellen und jedem Kind individuell und ohne Zeitverzögerung Rückmeldung geben, ob die Aufgabe richtig gelöst wurde, Hilfe bieten oder neue Aufgaben bereitstellen, die im Idealfall einen etwas höheren Schwierigkeitsgrad aufweisen. Wenn Kinder sich mit dem Gefühl „Die Aufgabe ist zwar schwierig für mich, aber ich kann sie noch lösen“ herausgefordert fühlen, steigt die Motivation beim Lernen spürbar und natürlich auch das Glücksgefühl beim Lösen der Herausforderung. Andere Gamification-Elemente können nicht nur, aber besonders einfach mit digitaler Hilfe, für automatisierendes Üben eingesetzt werden, etwa Punkte, die gesammelt werden können, Badges oder Rankings. 
Selbstverständlich soll digitale Kompetenz die elementaren Kulturtechniken Lesen, Rechnen und Schreiben nicht verdrängen, wohl aber als Querschnittskompetenz ergänzen. Wenn man bedenkt, dass ein diesjähriger Erstklässler den Lehrabschluss frühestens 2033 in der Tasche haben wird und die Matura im ersten Anlauf 2035 bestehen kann, es das erste Smartphone mit allen Veränderungen für unsere Gesellschaft aber erst seit etwa dieser Zeitspanne gibt, kann man von ungewissen zukünftigen Anforderungen für die Jahrgang 2035-Maturanten sprechen. Kommunikation, Kollaboration, Problemlösen, kritisches Denken und Kreativität als Grundlage für selbstgesteuertes, lebenslanges Lernen sind Kompetenzen, die unsere Kinder auf die noch ungekannten Herausforderungen vorbereiten sollen. Große Schlagworte, die unsere Kleinen im Mathe- oder Deutschunterricht spielerisch beim Tüfteln über kindgerechten Programmierumgebungen und beim Erstellen eigener Produkte wie (E)-Books und Erklärvideos erproben können. Große Schlagworte, die unsere Kleinen also gerade in der Volksschule ganz unaufgeregt und im geschützten Rahmen erlernen können.

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