J. Georg Friebe

Geboren 1963 in Mödling, aufgewachsen in Rankweil. Studium der Paläontologie und Geologie in Graz mit Dissertation über das Steirische Tertiärbecken. Seit 1993 Museumskurator an der Vorarlberger Naturschau bzw. der inatura Dornbirn.

(Foto: © J. Georg Friebe)

Von Wintermücken und Frühlingsschwebern

März 2020

Heuer ist ein milder Winter. In den Tallagen hat er kaum Frost und Schnee gebracht, die in „normalen“ Jahren auch die widerstandsfähigsten Insekten in ihre Überwinterungsverstecke treiben. Nur an den wenigen frostigeren Tagen konnte man wirklich keine Insekten entdecken. Doch kaum stieg die Temperatur über den Gefrierpunkt, tanzten auch schon Mücken über sonnenbeschienenen Flecken, oder saßen an den aufgewärmten Hauswänden

Mücken im Winter? – Warum denn nicht! Insekten, die als Geschlechtstiere überwintern, begnügen sich oft nicht mit nur einem warmen Versteck. Als zusätzliche Überlebensversicherung produzieren gar nicht so wenige Arten körpereigene Frostschutzmittel. Glycerin-ähnliche Substanzen in ihrer Körperflüssigkeit verhindern, dass die Tiere vollständig gefrieren. Denn nur wenn das Wasser in ihrem Körper erstarrt, vergrößert sich sein Volumen derart, dass die spitzen Eiskristalle Zellen und Gewebe zerreißen. Der selbst produzierte Frostschutz kann so effizient sein, dass manche Art überhaupt auf ein Versteck verzichtet: Ein Zitronenfalter kann auch schneebedeckt im Freien überleben.
Wintermücken sind eine speziell an die Kälte angepasste Familie aus der Ordnung der Zweiflügler, der Fliegen und Mücken. Sie sind fast weltweit verbreitet und fehlen nur in Afrika. Ihr körpereigener Gefrierschutz macht es möglich, dass sie in den Wintermonaten selbst in Höhenlagen über 3000 Metern angetroffen werden können. Schon bei Temperaturen knapp über 0°C werden sie aktiv. Dann bilden die Männchen ihre auffallenden Tanzschwärme. Durch ihren Flügelschlag erzeugen sie dabei einen – für uns Menschen unhörbaren – artcharakteristischen Summton, der die Weibchen anlockt. Zwar sind ihre durchsichtigen Flügel nur leicht getönt, die Flügeladern aber sind schwarz und können – gemeinsam mit dem dunkelgrauen Körper – auch geringste Strahlungswärme aufnehmen. In unseren Breiten ist nur die Gattung Trichocera anzutreffen, diese aber mit etwa 15 Arten. Betrachtet man nur die häufigen Vertreter, so bleibt die Gattung mit acht Arten durchaus überschaubar – könnte man meinen, denn für das ungeschulte Auge sehen alle diese Mücken gleich aus. Das sicherste Merkmal zu ihrer Unterscheidung sind die Geschlechtsorgane der Männchen. Bei Weibchen und bei fotografierten Tieren liefert die Flügel­aderung wertvolle Hinweise. Ist auch das grundsätzliche Aderungsmuster für alle Arten gleich, so unterscheiden sie sich doch in den Längenverhältnissen einzelner Aderabschnitte. Bei manchen Arten zeigt auch der Körper eine charakteristische Färbung. Mit einer Körperlänge von bis zu acht Millimeter und den auffallend langen Beinen gehören die Trichoceridae zu den größeren Mücken. Auch ihre Antennen sind lang. Auf ihnen sitzen Sinnesorgane zur Wahrnehmung von Geruch und Geschmack, aber auch um feinste Schwingungen zu registrieren. Die Larven der meisten Wintermückenarten leben im Boden unter der Blattstreu. Sie ernähren sich von zerfallenen Pflanzenresten.
Wenn es nun ab Ende März wieder wärmer wird, zählt eine andere, sehr auffällige Fliegenart zu den Frühlingsboten. Der Große Wollschweber (Bombylius major) ist mit bis zu zwölf Millimeter Köperlänge an sich schon recht groß. Sein markantes Aussehen und auch seinen Namen verdankt er einer dichten, pelzig braunen bis gelblich-beigen Behaarung: Manche Menschen kämen gar nie auf die Idee, dieses schwebende Haarknäuel bei den Fliegen einzuordnen. Und doch besitzt er – ein Merkmal das (fast) allen Fliegen gemeinsam ist – nur ein Flügelpaar (lediglich die Schneefliegen sind flügellos). Der zweite Namensteil verweist auf sein typisches Verhalten: Der Wollschweber kann lange an einer Stelle in der Luft verharren, um dann bei Störung rasch davon zu fliegen. Die Färbung der Flügel macht Bombylius major ebenfalls unverwechselbar: Eine breite, nach hinten gezackte, dunkle Binde nimmt die vordere Hälfte des Flügels ein. Die hintere Flügelhälfte ist durchsichtig. Kennzeichnend ist auch der lange Saugrüssel, der meist gerade nach vorne gestreckt ist. Seine Länge beträgt fast die Hälfte des übrigen Körpers. So bedrohlich dies auch aussehen mag, der Wollschweber ist völlig harmlos. Mit seinem Rüssel saugt er lediglich Pflanzennektar. Doch harmlos ist er nur aus menschlicher Sicht. Der Große Wollschweber zählt zu jenen Fliegen, deren Larven sich parasitisch von den Larven anderer Insekten ernähren. Seine bevorzugten Opfer sind Solitärbienen und Grabwespen. Die Weibchen gehen bei der Eiablage kein Risiko ein und deponieren ihre Eier vor den Eingängen der Wirtsnester. Die blassgelben, reiskornförmigen und etwa einen halben Millimeter großen Eier bedecken sie dabei mit Sand. Sind die Larven einmal geschlüpft, so dringen sie mit ihren sehr beweglichen Beinchen selbständig in die Wirtsnester ein. Dort verspeisen sie zunächst den Futtervorrat der Wirtslarven. Ist dieser aufgebraucht, so dient nun das Opfer selbst als Nahrung. In diesem Stadium benötigen die Fliegenlarven keine Beine mehr und sehen aus wie eine typische Made. Der Große Wollschweber überwintert als Puppe, und die geschlechtsreifen Tiere schlüpfen ab März. Nun fliegen sie an Weg- und Waldrändern, auf Lichtungen und Wiesen sowie auch in Gärten.
So unterschiedlich Wintermücken und Wollschweber in Körperbau und Lebensweise auch sein mögen, eines haben beide gemeinsam: Sie sind häufig, und dennoch ist über ihre tatsächliche Verbreitung im Ländle kaum etwas bekannt. Seit ihrer ersten Erwähnung 1909 in der bislang einzigen umfassenden Veröffentlichung über die Fliegen Vorarlbergs und den wenigen in der Datenbank der inatura registrierten aktuellen Beobachtungen klafft eine Dokumentationslücke von über 100 Jahren. In all der Zeit hat die Forschung den Zweiflüglern keinerlei Bedeutung zugemessen.

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