J. Georg Friebe

Geboren 1963 in Mödling, aufgewachsen in Rankweil. Studium der Paläontologie und Geologie in Graz mit Dissertation über das Steirische Tertiärbecken. Seit 1993 Museumskurator an der Vorarlberger Naturschau bzw. der inatura Dornbirn.

(Foto: © J. Georg Friebe)

Was totes Holz mürbe macht

März 2018

Champignon, Steinpilz, Eierschwamm, Parasol, dazu noch Morcheln und Trüffeln – darüber reicht bei den meisten die Artenkenntnis der Pilze kaum hinaus. Aber was war das nur für ein Männlein, das da im Walde steht? – Ach ja, Giftpilze gibt es auch noch. Wer im Wald nach Speisepilzen sucht, sollte besser die eine oder andere Art zusätzlich kennen. Aber nach der Anzahl aller in Vorarlberg vorkommenden Pilzarten gefragt, werden auch passionierte Pilzsammler passen. Denn es sind mehr, als man vermuten würde – und noch längst nicht alle wurden entdeckt.

Mit Stand 2014 waren in Vorarlberg 1485 Pilzarten dokumentiert. Doch das sind nur die Großpilze, deren Fruchtkörper mit freiem Auge erkennbar sind. Schimmelpilze beispielsweise wurden hier noch gar nicht berücksichtigt, ebenso wenig die Flechten, die heute (unter Vernachlässigung ihres Symbiosepartners Alge) zu den Pilzen gerechnet werden. Aber die Forschung geht weiter: Seit dieser letzten umfassenden Bestandsaufnahme sind einige Arten neu hinzugekommen.

Die Pilzwelt der leicht zugänglichen Wälder und Wiesen Vorarlbergs ist bereits recht gut erforscht. Interessant wird es aber in abgelegenen Gegenden, im Hochgebirge und in Wildnisgebieten. Daher war es für Isabella und Werner Oswald eine spannende Herausforderung, im schwer zugänglichen Saminatal (grenzüberschreitend) auf Pilzsuche zu gehen. Um es vorweg zu nehmen – es hat sich gelohnt: Im Vorarlberger Anteil des Untersuchungsgebietes konnten sie drei Arten, in Liechtenstein sogar sieben Arten als neu für das jeweilige Land nachweisen.

Das Saminatal ist ein spezielles Untersuchungsgebiet: Teile davon wurden in das Österreichische Naturwaldreservate-Programm des Bundes aufgenommen. In ihnen ist die Holznutzung stark eingeschränkt. Andere Bereiche sind gar als Europaschutzgebiet ausgewiesen. Aber auch im übrigen Tal erschwert das steile Gelände eine intensive Bewirtschaftung. Dementsprechend hoch ist der Anteil an Totholz. Ist ein Baum einmal abgestorben, so wird er von den verschiedensten Organismen als Lebensraum geschätzt. Dass der tote Stamm nicht auf ewig stehen bleibt, dass er für Tiere erschlossen wird, dafür sorgen spezielle Pilze. Sie zersetzen das Holz und führen seine Biomasse wieder dem Naturkreislauf zu. Natürlich wurden solche Holzzersetzer schon bisher im Rahmen von pilzkundlichen Erhebungen dokumentiert. Im Saminatal aber bot sich dem Forscherehepaar (und Gastforschern) die einmalige Gelegenheit, ein besonderes Augenmerk auf die holzabbauenden Arten zu legen. Unter ihnen fand sich manche Besonderheit.

Einer der spektakulärsten Funde ist der Rosarote Zwerg-Tellerling (Clitopilus tillii). Dieser nur wenige Millimeter kleine Pilz mit kräftigen Lamellen auf der Innenseite ähnelt einer Muschel. Die Art wurde erstmals in Niederösterreich gefunden und 1998 als neu für die Wissenschaft erkannt. Alle österreichischen Funde beschränkten sich bisher auf einen einzigen Graben. Nun ist die Art – als zweite Fundregion Österreichs – auch aus dem Saminatal nachgewiesen. Außerhalb des Bundesgebiets wurden je ein Fund aus Frankreich sowie aus Kanada bekannt – wobei der „Kanadier“ nach genetischen Untersuchungen vielleicht doch einer anderen Art angehören könnte.
Ein weiterer Erstfund für Vorarlberg ist der Münzenförmige Nacktbecherling (Psilopezia nummularia). Wer beim Gattungsnamen an „narrische Schwammerln“ denkt, liegt falsch. Der Namensbestandteil „psilo“ (glatt, kahl, nackt) weist lediglich auf die Oberflächenbeschaffenheit des Becherlings hin. Mit der halluzinogenen Pilzgattung Psilocybe (Kahlköpfe) ist dieser Holzzersetzer nicht einmal ansatzweise verwandt.

In Vorarlberg gar nicht so selten – sofern man den Winzling entdeckt – ist der Kleinsporige Grünspanbecherling (Chlorociboria aeruginascens). Nein, eigentlich ist dieser Pilz leicht erkennbar. Bereits das vom Myzel, dem Pilzgeflecht durchzogene Totholz fällt auf, noch lange bevor der Pilz Fruchtkörper bildet: Es ist leuchtend kupfergrün verfärbt. Selbst nach dem Absterben des Pilzes bleibt diese Farbe erhalten. Der Farbstoff gilt als sehr lichtbeständig. Das befallene Holz wurde daher seit der Renaissance imprägniert, poliert und für Intarsien verwendet. Fruchtkörper werden nur bei genügender Feuchtigkeit gebildet. Kleine, metallisch grüne, gestielte Becherchen erscheinen dann auf dem Holz. Eine der englischen Bezeichnungen lautet folgerichtig „Elfcub“, der „Elfenpokal“. Trotz seiner relativen Häufigkeit wurde der Kleinsporige Grünspanbecherling nur im Liechtensteiner Teil des Saminatals gefunden.

Insgesamt 583 Pilzarten konnten Isabella und Werner Oswald im Rahmen des Forschungsprojekts dies- und jenseits der Landesgrenze dokumentieren. Mehr als die Hälfte davon sind Holzzersetzer. Manche fallen auch dem Wanderer auf, andere wiederum sind so klein und unscheinbar, dass es schon ein geschultes Auge braucht, um sie zu entdecken. Pilze sind unberechenbar und es ist unmöglich vorherzusagen, wann sie Fruchtkörper ausbilden. Sie können jahrelang als Myzel unbemerkt in ihrem Substrat leben, bevor sie dann, sobald es ihnen günstig erscheint, das ausbilden, was wir als „eigentlichen“ Pilz wahrnehmen. So muss auch diese Studie eine unvollständige Momentaufnahme bleiben. Freuen wir uns also auf neue Entdeckungen!

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