J. Georg Friebe

Geboren 1963 in Mödling, aufgewachsen in Rankweil. Studium der Paläontologie und Geologie in Graz mit Dissertation über das Steirische Tertiärbecken. Seit 1993 Museumskurator an der Vorarlberger Naturschau bzw. der inatura Dornbirn.

(Foto: © J. Georg Friebe)

Was wäscht der Waschbär?

Oktober 2021

Der Waschbär, eine invasive Art, ist im Land heimisch geworden. Als frühester Nachweis in Vorarlberg gilt ein Tier, das um 1976 in Schoppernau geschossen worden ist.

Sie sehen ja possierlich aus, und die Kinder erfreuen sich im Feldkircher Wildpark an den munteren Gesellen mit dem geringelten Schwanz und der schwarzen Gesichtsmaske. Auf der Strecke bleibt dabei aber die Frage, warum ein Immigrant aus Nordamerika überhaupt in einem Park für heimische Wildtiere gezeigt wird. Gehört der Waschbär denn wirklich zur Wirbeltierfauna Vorarlbergs? Die Antwort ist ebenso einfach wie zwiespältig. Ja, der Waschbär (Procyon lotor) kann heutzutage in Vorarlberg als etabliert gelten. Sprach man anfänglich noch von einzelnen Gefangenschaftsflüchtlingen, so sind die wiederholten Sichtungen inzwischen ein deutlicher Hinweis darauf, dass sich auch im Ländle eine stabile Waschbären-Population eingefunden hat. Und nein, denn der Waschbär hat hierzulande eigentlich gar nichts verloren. Er besitzt ein erhebliches Gefährdungspotenzial für die biologische Vielfalt der heimischen Wildtiere und gilt daher EU-weit als invasive Art. Aber wie kam er überhaupt nach Europa?
Das ursprüngliche Verbreitungsgebiet des Waschbären erstreckt sich von Panama über Mittelamerika und fast die gesamten USA bis hin zum Süden Kanadas. In den 1920er-Jahren kam der Kleinbär in Europa als Pelztier in Mode. Hier ließ er sich leicht in Farmen züchten. Selbstredend hatte das eine oder andere Tier wenig Lust, als Bestandteil eines Pelzmantels zu enden. Immer wieder gründeten solche Flüchtlinge kleine Populationen, die ebenso rasch wieder erloschen. Auch erste Ansiedelungsversuche blieben ohne Erfolg. Der wesentliche Grundstein für die Besiedelung Mitteleuropas aber war die absichtliche Freisetzung von zwei Paaren am 12. April 1934 am Edersee in Hessen. Das Preußische Landesjagdamt befürwortete diese Aktion, um dadurch „die heimische Fauna zu bereichern“. Knapp 30 Jahre später zählte die Population bereits mehr als 600 Tiere, und langsam wurde man sich bewusst, dass die „Bereicherung“ ins Gegenteil umgeschlagen hatte: Schäden in Obstgärten und Waldungen wurden offensichtlich, und der Waschbär wurde nun (nach Aufhebung des gesetzlichen Schutzes 1954) von staatlicher Seite bekämpft. Der Erfolg blieb aus. 1970 wurde der Waschbärenbestand in Hessen bereits auf 20.000 Stück geschätzt. Im Osten Deutschlands sorgten die Kriegswirren des Jahres 1945 dafür, dass aus drei Pelzfarmen Waschbären in größerer Anzahl in die freie Wildbahn entkommen konnten. Auch ihnen gelang es, eine stabile Population zu bilden. Aus diesen beiden Freisetzungsgebieten stammt die Hauptmasse der mitteleuropäischen Tiere. Die beiden Gruppen lassen sich genetisch unterscheiden. Einwanderung aus Frankreich spielt hingegen eine geringere Rolle.
Als frühester Nachweis in Vorarlberg gilt ein Tier, das nach Mitteilung von Bauern 1976/1977 in Schoppernau geschossen worden ist. Gab es anfangs nur wenige Abschüsse, so mehren sich seit 2008 die verifizierten Beobachtungen. Als faunenfremdes Element genießt der Waschbär keine Schonzeit. Die Rote Liste der Säugetiere Vorarlbergs empfiehlt sogar, „rechtliche Grundlagen dafür zu schaffen, dass die Neozoen Nutria und Waschbär in Vorarlberg ausgerottet werden“. Ob dies freilich gelingen kann, sei dahingestellt: Der Waschbär kann die Verluste durch eine vermehrte Reproduktion, aber auch durch Zuzug rasch wieder wettmachen. 
Warum diese Tierart unerwünscht ist, wird bei Betrachtung von Verhalten und Nahrungspräferenzen erkennbar: Waschbären sind Allesfresser. Im Frühjahr stehen Kleintiere auf dem Speiseplan – von Würmern und Insekten über Fische und Amphibien bis hin zu Vögeln und Kleinsäugern reicht das Beutespektrum. Aufwendig zu jagende Tiere spielen eine geringere Rolle: Warum sich anstrengen, wenn Hasen- und Geflügelställe eine leichte Beute versprechen? Im Herbst bevorzugen sie kalorienhaltige pflanzliche Kost (Obst und Nüsse), um sich genügend Winterspeck anzufressen. Vor allem in der kalten Jahreszeit zieht es die Waschbären in die Nähe des Menschen. Dachböden, Scheunen, Brücken und Bauruinen bieten sich als warme Schlafquartiere an – nicht immer zur Freude der menschlichen Besitzer. Und wird in der freien Natur das Nahrungsangebot knapp, so bleibt im Siedlungsraum der Tisch reich gedeckt. Die Tiere machen sich gerne über Gartenfrüchte, Kompost und Abfälle her. Und selbst eine auf der Terrasse im Kunststoffgefäß verwahrte Schwarzwälder Kirschtorte ist vor einem Waschbären nicht sicher: Das Tier kann die Dose problemlos öffnen.
Die Torte wird der Waschbär sofort verzehrt haben. Andere Nahrung aber wird „gewaschen“. Dabei betastet das Tier die Nahrungsmittel (und manchmal auch andere Gegenstände) mit seinen Vorderpfoten sorgfältig, um sie zu prüfen. In Gefangenschaft wird die Nahrung dabei gerne zur (nicht zu weit entfernten) Wasserstelle getragen. Ist der Weg zum Wasser aber zu lang, so werden die „Waschbewegungen“ auch im Trockenen ausgeführt. Eine Reinigung ist definitiv nicht das Ziel – bisweilen ist die Nahrung nach dem „Waschen“ sogar schmutziger als zuvor. Im Freiland dienen Kleintiere des Bach- und Seeufers als gerne angenommene Nahrung. Waschbären jagen nachts und können die meist unter Wasser versteckte Beute weder riechen, hören oder sehen. Sie müssen sich bei der Jagd ganz auf ihren Tastsinn verlassen. Unter Verhaltensforschern herrscht daher die Annahme vor, dass das „Waschen“ der Nahrung eine Ersatzhandlung darstellt, welche die Suche nach Kleintieren am Ufer imitieren soll.

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