Herbert Motter

Der Umgang mit unfreundlichen Befunden

Juli 2022

Die Wirtschaftskammer Vorarlberg bringt erneut das Bildungsmonitoring als Steuerungsinstrument zur Qualitätsentwicklung und -sicherung im Bildungswesen ins Spiel. Es werde Zeit, den Pfad „Prinzip Hoffnung“ zu verlassen.

 

Bildungspolitik wird im Wesentlichen als Verwaltungsaufgabe gesehen. Die wichtigste Stellschraube, um politische Zielsetzungen zu erreichen, ist dabei der sogenannte Input – das also, was staatliche Entscheidungsträger in das Bildungssystem „einbringen“, etwa in Form von Lehrplänen, Personalressourcen oder Bildungsausgaben. Das Abfragen von Bildungsstandards national wie international, etwa durch die PISA-Studie, führt regelmäßig zu hitzigen bildungspolitischen Debatten. Steuernde Maßnahmen bleiben dennoch weitgehend aus. Auch bei uns.
„Die Erfassung von Entwicklungen durch ein Monitoring ist inzwischen im wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und sozialen Leben eines Staates oder einer Region üblich. Und ebenso selbstverständlich ist inzwischen die Aussage, dass Bildung zu den wichtigsten Ressourcen einer modernen Industriegesellschaft gehört. Nur: Bildungsentwicklungen über ein Bildungsmonitoring zu steuern, ist immer noch eher die Ausnahme“, erklärt Prof. Hans Döbert, deutscher Experte für kommunales Bildungsmonitoring.

Bescheidener Output
In Vorarlberg scheint es nicht anders zu sein. Christoph Jenny, Direktor der Wirtschaftskammer Vorarlberg weiß um die Vorteile eines offenen Umfangs mit Bildungsdaten: „Es wird im Vergleich zu anderen Ländern zwar viel Geld und Energie ins Bildungssystem gesteckt, der Output ist aber eher bescheiden.“ 
Die Wirkung mancher Projekte stehe somit zur Debatte. „Über die gesamte Bildungskarriere hinweg weiß man oft nicht, wie die Schnittstellen zusammenpassen. Es stellt sich letztendlich auch die Frage, was mit den vielen ausgewerteten Daten aus PISA und anderen Vergleichsabfragen passiert“, sagt Jenny. Ein sinnvolles Zusammenführen dieser Erkenntnisse fehle vielfach. Über ein Monitoring bekomme man hingegen eine Grundlage, um das Bildungssystem besser steuern zu können. Es gehe damit um Bildungssteuerung und um Bildungsmanagement. „Man sieht über einen längeren Zeitraum, wie sich Dinge in unterschiedlichsten Themenfeldern – vom Kindergarten, über die Schule und Berufsausbildung, bis hin zur Erwachsenenbildung, entwickeln, um dann ein Bild zu bekommen, wo wir stehen. Aber nicht nur Daten sollen ausgewertet werden, sondern wissenschaftlich fundierte Indikatoren müssen definiert werden, die mit den Daten dann sinnvoll zusammengeführt werden und so ein Bild ergeben.“ Damit lasse sich Veränderung diagnostizieren und erklären, ob eine Maßnahme etwas gebracht hat oder nicht.

Stärken und Schwächen eines Systems
Dass es in Vorarlberg ein Bildungsmonitoring braucht, erklärt Experte Döbert folgendermaßen: „Nur so kann verlässlich festgestellt werden, ob, wie und in welcher Hinsicht das Ziel auch erreicht wurde, wo die Stärken und wo die Schwächen des Bildungswesens in Vorarl­berg liegen. Dies kann keines der im Bildungswesen üblichen traditionellen wie auch der sogenannten neuen Steuerungsinstrumente leisten.“
Hinter dem Begriff Bildungsmonitoring verbirgt sich die kontinuierliche, systematische und dauerhafte Beobachtung eines Bildungssystems oder Teilbereiche eines Bildungssystems mit Hilfe wissenschaftlicher Methoden. Das ist die Grundlage für evidenzbasierte Bildungspolitik, das heißt für eine Bildungspolitik, die sich auf empirische Daten stützt und davon ausgehend Maßnahmen ergreift. 
Diese Daten sollen die politisch Verantwortlichen aber auch darin unterstützen, gezielt bildungspolitische und pädagogische Maßnahmen auf den Weg zu bringen, mit denen die Qualität des Bildungssystems gesichert und verbessert werden kann. Kritiker weisen darauf hin, dass die Ausrichtung des Bildungsmonitorings auf eine bestimmte Form von Ergebnissen von Bildungsprozessen, nämlich ausgewählte fachliche Kompetenzen, nur einen sehr kleinen Ausschnitt dessen zeigen kann, was in einer Bildungsbiografie alles gelernt wurde und was einen umfassend „gebildeten Menschen“ ausmacht. Befürchtet wird, dass sich Lehrerinnen und Lehrer vorrangig darauf konzentrieren könnten, ihre Schülerschaft vor allem in jenen Bereichen zu fördern, die mit verschiedenen Tests beim Bildungsmonitoring erfasst werden.

Es braucht politischen Willen
„Ein Bildungsmonitoring stellt nicht nur Daten über institutionalisierte Bildungsangebote und deren Nutzung zur Verfügung, sondern fragt darüber hinaus nach den Chancen von Menschen, sich kulturelle Traditionen und Wissensinhalte anzueignen, ihre Persönlichkeit zu entwickeln und so eigenverantwortlich ihr Leben in Partnerschaft und Familie zu gestalten, beruflichen Ansprüchen gerecht zu werden sowie aktiv am sozialen und politischen Leben teilzunehmen“, entgegnet Döbert den Kritikern. Allerdings, sagt der Bildungsexperte, „müssen ein Monitoring und ein auf seiner Grundlage materialisiertes ,Produkt‘ politisch gewollt sein. Politik und Verwaltung müssen mit den Befunden, auch den weniger erfreulichen, umgehen wollen und können.
Auf den Mehrwert eines kommunalen Bildungsmonitorings angesprochen, hat der Autor mehrerer Bücher über Pädagogik und Bildungskonzepte eine klare Position: „Der Mehrwert eines an Bildung im Lebenslauf orientierten Bildungsmonitoring liegt insbesondere in der Gesamtschau über die Stufen und administrativen Zuständigkeitsbereiche hinweg, in der Verknüpfung zwischen den Teilsystemen, zum Beispiel bei der Untersuchung von Übergängen im Bildungssystem aber auch in einer als Zeitreihe angelegten Darstellung.“
Wenn es auf der gleichen Datenbasis kontinuierlich durchgeführt werde, können Entwicklungen über längere Zeiträume aufgezeigt werden. Insbesondere wird es dadurch möglich, Aufschluss über Veränderungen zu gewinnen, die nach bestimmten bildungspolitischen Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität in Bildungseinrichtungen eintreten. Und der WKV-Direktor fügt an: „Das bislang vorherrschende Prinzip Hoffnung wird dann endlich von faktenbasierten Maßnahmen abgelöst.“

 

Kommentare

To prevent automated spam submissions leave this field empty.