Sabine Barbisch

Arno Gisinger: „An Paris begeistert mich die Vitalität“

Mai 2019

Als künstlerischer Fotograf lebt und arbeitet Arno Gisinger seit 2005 in Frankreich. Er hat ein eigenes Atelier, gestaltet Ausstellungen, Bücher und Kataloge und unterrichtet Fotografie an der Universität Paris 8.
In „Thema Vorarlberg“ erzählt er, ob sich damit all‘ seine Träume erfüllt haben, was die Fotografie mit unserem Verständnis von Geschichte verbindet und was eine ehemalige Bäckerei im Herzen von Paris damit zu tun hat.

Ich erinnere mich gerne daran zurück, wie ich barfuß im warmen Sommerregen vom Schwimmbad in der Riebe nach Hause gelaufen bin oder im Winter Schitouren im frischen Pulverschnee unternommen habe“, so beschreibt der 1964 geborene Arno Gisinger seine Kindheit in Götzis. Aus dieser Unbeschwertheit entwickelte sich bei Gisinger als Jugendlicher aber sehr schnell ein Bewusstsein für politische und gesellschaftliche Fragen: „Jugendproteste, die Anti-Atomkraft-Bewegung, ein wenig später kamen auch kritische Fragen nach den Gründen für die mangelnde Auseinandersetzung mit der jüngeren Zeitgeschichte in Österreich dazu.“ Einen klassischen Berufswunsch entwickelte der heute 55-Jährige während dieser Zeit nicht, vielmehr waren ihm Ideale wie Selbstbestimmung, persönliche Erfüllung in der beruflichen Tätigkeit, die Zusammenarbeit mit anderen, das Unterrichten und die Kreativität, kombiniert mit einem kritischen Blick auf die Gesellschaft, wichtig. So entschied er sich nach der Matura Geschichte und Germanistik an der Universität Innsbruck zu studieren. Zwischen 1990 und 1994 folgte das Studium der Fotografie an der École nationale de la photographie im südfranzösischen Arles. „Die Idee, in Frankreich zu leben und zu arbeiten, ist über die Auseinandersetzung mit der französischen Kultur und vor allem mit der Fotografie entstanden. Ich habe in Arles Fotografie studiert und mich nach einem Intermezzo in Österreich – als freischaffender Fotograf, Ausstellungsmacher in Innsbruck, Lehrbeauftragter an der Universität Innsbruck und an der Fachhochschule Vorarlberg – 2005 für eine Übersiedlung nach Paris entschieden. Das war keine leichte Sache. Volles Risiko“, erzählt Gisinger. Paris sei eben nicht nur eine Weltstadt mit einer unglaublichen kulturellen Dichte, sondern auch so etwas wie die Hauptstadt der Fotografie. „Hier konzentrieren sich die großen sozialen und politischen Fragen, die unsere postindustriellen Gesellschaften beschäftigen: Paris war für mich immer ein Brennspiegel Europas.“ 

Für ihn persönlich waren die größten Herausforderungen anfangs ökonomischer Natur. „Der Überlebenskampf als Selbstständiger ist hart und die Konkurrenz besonders groß. So manche, die Paris ‚erobern‘ wollten, haben die Stadt wieder verlassen oder halten dem permanenten Druck und Stress nicht stand“, weiß Gisinger, der sich heute – 15 Jahre später – sehr glücklich schätzt mit seiner Frau und seinem Sohn aus erster Ehe in Frankreich leben und arbeiten zu können: „Insofern haben sich eigentlich alle Träume erfüllt.“ 

Eine ehemalige Bäckerei im Herzen von Paris

Arno Gisinger arbeitet als künstlerischer Fotograf in Paris – völlig frei, ohne kommerzielle Aufträge. Er hat ein eigenes Atelier und gestaltet Ausstellungen, Projekte, Bücher und Kataloge. An der Universität Paris 8 unterrichtet er Fotografie und leitet Forschungsprojekte im Bereich der Bildenden Kunst und Fotografie: „Ich arbeite mit unglaublich vielen Menschen zusammen, aber eben als Ein-Mann-Betrieb.“ Sein Spezialgebiet sind die visuelle Geschichte und die Frage, wie die Fotografie in den vergangenen zwei Jahrhunderten unser Verständnis von Geschichte und Erinnerung verändert haben.
Seit er sich vor knapp 15 Jahren für ein Leben in Frankreich entschieden hat, lebt er im Zentrum von Paris, im zehnten Bezirk: „Ich wohne in einer ehemaligen Bäckerei, die wir mit dem Vorarlberger Architekten und Schreiner Martin Bereuter zu einem kleinen Loft umgebaut haben.“ An Paris fasziniert den künstlerischen Fotografen neben dem Stadtbild vor allem das Aufeinandertreffen von so vielen unterschiedlichen Kulturen und Sprachen auf so engem Raum: „Mich begeistern die täglich neuen Impulse und die Vitalität, die von dieser Stadt ausgehen.“ 
Wegen dieser Faszination für die Metropole Paris und vor allem auch aus beruflichen Gründen kann es sich Arno Gisinger nicht vorstellen, wieder nach Vor­arlberg zu ziehen: „Ich habe nach wie vor sehr viele berufliche und familiäre Kontakte nach Vorarlberg. Ich schätze das Land sehr, seine Lebensqualität und seine Menschen. Aber ehrlich gesagt, fühle ich mich ohnehin als Europäer und lebe am liebsten dort, wo ich berufliche Erfüllung finde und meine Lieben um mich habe.“ Auch „Ländle-Patriotismus“ oder politische „Heimat-Tümelei“ sind ihm gänzlich fremd. Gisinger: „Das Wichtigste für mich ist die Akzeptanz des Anderen als Chance für die eigene Identität. Und natürlich die europäische Idee. Vor fast genau 75 Jahren ging der Zweite Weltkrieg zu Ende. Und vor hundert Jahren – am Ende des Ersten Weltkrieges – herrschte in Vorarlberg Hunger. Wenn man sich dieses Land mit seiner Hochkonjunktur heute ansieht, ist das kaum zu glauben. Meine Generation gehört zu den privilegiertesten aller Zeiten in Europa.“

 

Arno Gisinger ist freischaffender Fotokünstler in Paris, er unterrichtet an der Universität „Paris 8“.

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