Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Das ist ein guter Ort“

April 2021

Geht es nach dem Willen der Stadt Feldkirch, soll das 1949 gegründete und seit Dezember 2019 geschlossene Café Feurstein nicht mehr aufsperren, zumindest nicht mehr in seiner alten Form. Doch gegen die Absicht der Stadt formiert sich breiter Widerstand. Im Gespräch erklärt Architekt Roland Gnaiger (69), was das Café so besonders und auch überregional bedeutsam macht. An den Verantwortlichen übt der emeritierte Universitäts­professor Kritik: „Kennen, verstehen und lieben diese ihre eigene Stadt?“ Ein Gespräch über Architektur, Zeitdokumente – und „letzte Raritäten“, die es in Vorarlberg vor der Zerstörung zu bewahren gilt.

Herr Professor, was ist denn das Café Feurstein? Was macht seinen Reiz, sein Flair, auch seine Bedeutung aus?
Ich möchte dazu eingangs betonen: Wir müssen uns bewusst sein, dass im historischen Vergleich eine Bilanz über das Architekturschaffen der vergangenen 80 bis 90 Jahre sehr ernüchternd ausfällt. Es gibt Ausnahmen, und wir stehen diesbezüglich in Vorarlberg nicht schlecht da, aber diese beziehen sich fast ausschließlich auf Bauten, das heißt auf Einzelobjekte. In aller Regel besuchen wir historische Ortszentren, wenn wir in eine italienische, in eine deutsche oder in irgendeine andere europäische Stadt reisen. Auf Vorarlberg bezogen, heißt das: Die städtebauliche Qualität der Feldkircher Altstadt ist einmalig. 

Es gibt nichts Vergleichbares?
Nein. Es gibt nichts Vergleichbares. Bregenz lebt vom See, hat aber nicht diese städtebaulichen und räumlichen Qualitäten, Dornbirn entfaltet rund um den Marktplatz und in den Villenvierteln Charme, aber nicht in annähernder Fülle. Und auch wenn Hohenems aufgeholt hat, reicht das nicht an Feldkirch heran. Selbst in Feldkirch reduziert sich alles auf das im Mittelalter angelegte Stadtzentrum; in den Randbereichen und Außenbezirken gibt es kaum Orte, wegen derer man die Stadt besuchen wollte.

Sie sprechen von städtebaulichen und räumlichen Qualitäten …
Es scheint überhaupt das edelste Ziel der Architektur zu sein, gute Orte zu schaffen. Die Qualität der Feldkircher Altstadt ist nicht nur den gelungenen Straßenzügen, den Plätzen und den hochwertigen Bauten zu verdanken, sondern auch Kleinoden wie dem Café Feurstein und ein paar anderen. Zusammen machen diese den Reiz der Stadt aus. Man geht dort gerne hin und erinnert sich leicht und gerne daran. 

Was ist denn in Ihrem Verständnis ein guter Ort?
Ein „guter Ort“, das kann eine ganze Stadt sein, oder ein Teilbereich einer Stadt, ein Straßenzug, ein Platz oder auch eine Siedlung, eine Häusergruppe, die sich aufeinander bezieht und als Mehrwert Außenraum schafft, ein Park, ein Bürgerservice, eine Apotheke – oder eben ein Caféhaus. Einen „guten Ort“ verstehen Menschen intuitiv. Auch wenn er mitunter ein „Sich-Einleben“ erfordert. Ein gelungener Ort muss nicht vermittelt werden, er erklärt sich selbst. Damit sind wir bei Ihrer Eingangsfrage, was „das Feurstein“ ausmacht: Kaffeehausbesucher, Stammgäste, Touristen, Laien und Fachleute empfinden übereinstimmend das Café Feurstein als einen guten Ort! Als Architekt unterscheide ich mich von einem Laien übrigens nur insofern, als ich zusätzlich definieren und beschreiben kann, was die Besonderheit oder Qualität guter Orte ausmacht. 

Und was ist nun diese besondere Qualität beim Café Feurstein?
Zum einen die Lagegunst: im Zentrum der Stadt, in einem stattlichen Haus, unter Arkaden, in unmittelbarer Nachbarschaft zum Rathaus … selbst im Gefüge der Altstadt ein unverwechselbarer, stimmungsvoller Ort. Ein Ort, der sich auch von Fremden leicht finden lässt. Und dann setzt das Feurstein die dichte Qualität der Stadt von der Straße über die Arkade und Fassade bis in die Tiefe der Innenräume fort.
Das Feurstein ist also nicht nur wegen seiner Lage etwas Besonderes?
Die Lage ist der Auftakt. Im Inneren geht es so weiter. Die Sitzplätze liegen an den Wänden, die Größe und Proportionen der Räume sind dafür entscheidend. Menschen lieben in Lokalen die Mitte nicht, sie suchen Sicherheit, Überblick, Intimität, diese bietet das Café  Feurstein. Darüber hinaus offeriert es sehr unterschiedliche Situationen: Sitzgruppen, die Nischen bilden, von jeweils anderer Größe und Privatheit. An solchen Orten finden sich Gäste in unterschiedlichsten Zusammensetzungen ein. Man findet in den Räumen für verschiedenste Anlässe und Gelegenheiten die passenden Bedingungen. Wenn man so etwas neu macht, ohne Verständnis für Architektur, fehlt es an diesen Qualitäten. Beispiele dafür gibt es zuhauf. Menschen gehen ungern oder selten in Lokale, in denen architektonische Grundregeln missachtet wurden. 

Und dann ist da auch noch das Interieur des Feursteins …
Ja, auch das zeichnet das Café Feurstein aus: ein moderater Vorbote der 50er-Jahrgestaltung, mit einem kräftigen Schuss gediegener Bürgerlichkeit und einem Anklang an die Gestaltungsgewohnheiten seiner Gäste. Diese verbindliche, nicht radikale Haltung vermittelt Designkultur der Nachkriegszeit einer Bürgerstadt, wie sie Feldkirch immer war und wohl bis heute ist – im guten Sinne konservativ. Und noch etwas kommt dazu …

Das da wäre?
Die Innengestaltung ist originell und von feinster handwerklicher Qualität. Das Formverständnis, die Sorgfalt der Ausführung und die Liebe, die in Gestaltung investiert werden, wirken zurück und in die Zukunft und sprechen BesucherInnen direkt an. Da sind wir wieder beim Laien, der sich intuitiv angesprochen und eingeladen fühlt. Die Möbel im Café Feurstein haben Jahrzehnte überdauert und können das weitere Jahrzehnte tun. Das ist ein zusätzlicher Qualitätsbeleg – auch im Sinne von Nachhaltigkeit. Möbel von der Stange und von Einrichtungsdiscountern werden meistens nach zehn, fünfzehn Jahren gegen neueren Trash ausgetauscht. 

Das Bundesdenkmalamt kommt in einem Gutachten unter anderem zur Aussage, dass das Feurstein das letzte verbliebene Kaffeehaus der Nachkriegszeit mit historisch gewachsener Ausstattung ist, mit dieser Einrichtung Zeugnis ablegt von der einstigen Kaffeehauskultur und damit auch überregionale Bedeutung hat.
Jenseits seiner zeitlos gültigen Qualitäten ist es auch ein relevantes Zeitdokument der Nachkriegsjahre, für die wir im Lande kaum vergleichbare Beispiele kennen. Wir sind in Vorarlberg bezüglich Kaffeehauskultur und den damit verbundenen Lebensformen – der Muße, der Geselligkeit, des Unterbrechens von Routine, des gepflegten Austauschs oder der Eigenbrötlerei – nicht reich gesegnet. Dafür ist das Feurstein unverzichtbar. Den Denkmalschutz interessiert primär die historische Dimension. Ich betone, dass es neben dem Design auch um den Erhalt damit verbundener Lebensformen geht. Umso mehr in unserer atemlosen, schnelllebigen, an Zahlen orientierten Zeit. 

Identitätsstiftend ist auch so ein Wort, das im Zusammenhang mit dem Feurstein auftaucht. Ist ein solches Lokal auch Identität?
Danke für dieses hilfreiche Stichwort! Menschen suchen in Städten – und auch sonst wo – nach Orientierung, nach Punkten, die eine gewisse Einprägsamkeit und Wiedererkennbarkeit auszeichnet. Diese lassen uns mit Orten vertraut und heimisch werden. Wenn ich mich beispielsweise im Oberland zu einem Arbeitsgespräch treffen soll, dann ziehe ich die Feldkircher Altstadt als Treffpunkt vor, und dort entweder das Café Feurstein oder das Café Zanona. Das sind Orte von ausgesuchter Sorgfalt und Qualität der Gestaltung, die dieser Stadt ihre Identität verleihen, auch weil man die Stadt über diese Identität, pathetisch formuliert, liebgewinnt. Es verdichtet den Reiz einer Stadt, wenn sie aus möglichst vielen solcher Orte besteht. Eine Stadt kann in ihren Außenräumen und Hausfassaden noch so schön sein, wenn diese Schönheit nicht in die Tiefe der Häuser vordringt, fehlt etwas Entscheidendes. Anhand schwer bombengeschädigter, nach dem Krieg wiedererrichteter deutscher Städte ist das zu belegen. 

Die Stadtverwaltung ist anderer Ansicht. 
Man fragt sich, ob sich jemand mit dieser Haltung solch eine Stadt überhaupt verdient. So jemand weiß offensichtlich nicht, welche Perlen er in Händen hält. Wenn es an kunsthistorischem Verständnis mangelt, sollte wenigstens das Wissen da sein, dass Orte wie das Feurstein für den Tourismus wesentliche Devisenbringer sind. In Feldkirch einkaufen, essen, sich zu Arbeitsabsprachen treffen, in einem Kaffeehaus sitzen, das gehört alles zusammen, deswegen kommt man ja überhaupt erst in die Stadt. Im Übrigen wird es in Zukunft wieder eine starke Bewegung zurück in unsere Stadtzentren geben. 

Eine Rückwärtsbewegung?
Ja. Wenn der Hype um die Einkaufszentren an den Peripherien abebben wird, weil Menschen durchschaut haben, wie flach, eindimensional, kurzlebig und lieblos deren Gestaltung ist, wird es zu dieser Bewegung kommen. Da stehen wir erst am Anfang, aber das wird in zehn, zwanzig Jahren richtiggehend relevant werden. Und wenn man sich dann Orte wie das Feurstein „versaut“ hat – man kann das gar nicht anders sagen – hat man einfach auch Kapital verspielt.

Das Bundesdenkmalamt will die Unterschutzstellung des Cafés samt Ausstattung, die Stadt, Eigentümerin des betreffenden Gebäudes, sich für die künftige Nutzung aber „alle Möglichkeiten offenhalten“. Sie stößt sich vor allem am Mobiliar, das nicht der Stadt gehört, das eine „künftige Nutzung aber massiv einschränken“ würde. Die Verantwortlichen sehen offenbar nichts Erhaltungswürdiges am Feurstein …
Ja, weil es an Feingefühl und Sachverstand fehlt. Man fragt sich: Kennen, verstehen und lieben die Verantwortlichen ihre eigene Stadt? Von privaten Hauseigentümern kennen wir es ja, dass in kurzatmiger Perspektive nur noch an die kurzfristige Verwertung gedacht wird. Aber eine Stadtverwaltung sollte ausreichend Verständnis für den eigenen genetischen Code haben, und verstehen, was Feldkirchs Reiz und Charme ausmacht. Es ist schwer zu verstehen, dass man in der heutigen Zeit über so etwas überhaupt noch reden muss!

Muss man verstehen, weshalb man in Feldkirch solch einen zentralen Punkt überhaupt in Frage stellt? Wenn die Argumente offenbar alle auf Seiten einer Erhaltung stehen?
Nein, das muss man nicht! Dass man einen so guten Ort überhaupt in Frage stellt, ohne Not, das ist nicht zu verstehen. Wir sind in Vorarlberg aufgrund des Niveaus zeitgenössischer Architektur zwar privilegiert. Diese schafft gute Häuser und gute Innenräume, sie schafft mitunter auch zeitgenössische Lokale wie das Museumscafé in Bregenz, das geglückt ist und stark frequentiert wird. Aber von gelungenen Siedlungen und Quartieren sind wir noch weit weg. Und ganz weit weg sind wir von etwas, das auch nur entfernt den Vergleich mit einem historischen Stadtzentrum aushalten würde, also den Vergleich mit Ensembles in einer nennenswerten Dimension. Einen gleichwertig niveauvollen Ersatz können wir nicht bieten. Somit müssen wir bedingungslos schützen, was wir vor der Zerstörungswut der Boomjahre gerettet haben.

Vorarlberg sollte mit den letzten noch bestehenden Kleinoden also umso bewahrender umgehen?
Ja. Wir haben in den letzten Jahrzehnten unendlich viele Kleinode vernichtet. In Feldkirch sind mit dem Feurstein noch das Hecht und das Zanona zu vergleichen. Denn auch das Zanona kann man nicht hoch genug wertschätzen. Solche Orte dürfen nicht verloren gehen, der Schaden für die Stadt und für das Land wäre zu groß. In Bregenz hat es früher wunderschöne Lokale gegeben, Gaststätte von ausgewählter Qualität, die allesamt ersatzlos zerstört wurden. Es gilt die letzten Raritäten, die allerletzten guten historischen Orte wie das Café Feurstein, zu bewahren, für die historische Zeugenschaft, für die Qualität der Städte, für deren Identität – und als „Heimat“ für die Menschen. 

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Zur Person

Roland Gnaiger * 1951 in Bregenz, gilt als einer der vielseitigsten und anerkanntesten Architekten Österreichs. Der emeritierte Universitätsprofessor – Gnaiger hatte von 1996 bis 2019 das Architekturstudium an der Kunstuniversität Linz geleitet – hat zahlreiche Schlüsselbauten der Neuen Vorarlberger Bauschule realisiert und viermal den Österreichischen Bauherrenpreis gewonnen. Durch seine zahlreichen Vorträge, Interviews, Ausstellungsbeiträge und Juryteilnahmen hat Gnaiger weit über die Architektur­szene hinaus Aufmerksamkeit erlangt.

Kommentare

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Super Gespräch!! So ein Cafe muss erhalten bleiben!!!
Absolute Zustimmung. Danke!
Danke für die treffenden Worte und die scharfe Kritik an der Stadtverwaltung!