Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Das ist nicht der Auftrag, den der Mensch auf der Welt hat“

April 2020

Wirtschaftsvordenker Franz Kühmayer im Interview – über den Aufstieg der Maschinen, den unbeliebtesten Wochentag und falsches Effizienzstreben.

Die Welt steht aktuell völlig im Fokus der Corona-Krise. Wann kehren wir wieder zum Normalzustand zurück?
Nie mehr – und das ist auch gut so. Diese schlagartige, massive Krise ist die prototypische Disruption, und wir durchlaufen gerade die ersten Schleifen: Schock, Leugnung, Anstrengung. Die guten Nachrichten sind: Wir wissen, dass darauf Hoffnung, Überwindung und Enthusiasmus über das Erreichte folgen werden. Der Blick nach vorne hilft also. Und der offenbart, dass wir nicht eine mehr oder weniger kurze Unterbrechung zwischen einem „normalen“ Vorher und einer Fortsetzung danach haben werden. Die Zukunft von gestern gibt es heute nicht mehr. Jetzt gerade entsteht etwas Neues. Wenn die Organisation des Dringendsten abgeschlossen ist, stellen sich Menschen zunehmend auch grundlegende Fragen. Der Corona-Virus ist ein Evolutionsbeschleuniger. 

Lässt sich dieses Neue schon erahnen?
Die Keime der Zukunft werden in diesen Tagen gesät: Menschen haben blitzartig mobiles Arbeiten und Home­office gelernt. Wir erkennen, wer die wirklich systemrelevanten Positionen besetzt – nämlich Ärztinnen, Sozialarbeiter, Erntehelfer. Wir staunen, wie anfällig unsere Systeme und Prozesse sind, und gleichzeitig, wie agil und flexibel der Mensch ist. Wir haben live miterlebt, dass plötzlich völlig neue Formen der Kooperation und Solidarität auftreten. Wir spüren, wer uns in diesen Tagen unterstützt, zu seinem Wort steht, wer Vertrauen und Zuversicht stiftet, und wo viel beschworene Unternehmenswerte sich tatsächlich bewähren – oder eben auch nur hohle Phrasen geblieben sind. Wir lernen daraus nicht nur, wie wir die aktuelle Situation bewältigen, sondern auch mit wem. In der Krise werden Beziehungen gestaltet. 

Sie sagten in einem Interview, es gebe in den Unternehmen mehr als genug ‚Handwerker der Macht‘, dagegen mangle es an Träumern, Visionären und Philosophen ...
In einer Zeit, die sich so dynamisch verändert, brauchen wir nicht noch mehr Verwalter, wir brauchen mehr Gestalter. Es wird nicht ausreichen, wenn wir nur versuchen, uns innerhalb der gegebenen Grenzen bestmöglich zu bewähren. Wir werden diese Grenzen verschieben und neu denken müssen. Und dafür braucht es meiner Meinung nach tatsächlich etwas, was weit über diesen berühmten Tellerrand hinausgeht, dafür braucht es Träume, dafür braucht es Vorstellungen von morgen, dafür braucht es aber auch mehr Kultur. 

Rufen Sie auch deswegen aus: ‚Willkommen im Zeitalter der Emotionen‘?
Das ist ein Ausdruck dessen, dass wir uns erst gar nicht auf einen Wettlauf gegen die Maschinen einlassen sollten. Da können wir nur verlieren. Wer die Probleme dieser Welt ausschließlich analytisch, kognitiv, mit kühlem Verstand lösen will, der vergisst zwei Dinge. Erstens: Maschinen können schneller und besser denken, rechnen, analysieren. Zweitens: Uns ist die Deutungshoheit auf der Kommandobrücke ohnehin schon abhandengekommen. 

Der Aufstieg der Maschinen in der Arbeitswelt ist für Sie dennoch ‚keine Hiobsbotschaft‘.
Nein. Das ist vielmehr eine frohe Botschaft und ich sage Ihnen auch, warum. Den Menschen unterscheiden im Wesentlichen zwei Eigenschaften von der Maschine: Der Mensch ist ein soziales Wesen. Und der Mensch ist ein schöpferisches Wesen. Maschinen sind beides nicht, sie sind weder sozial noch schöpferisch, und sie werden das auf lange Sicht hinaus auch nicht sein. Welche menschlichen Tätigkeiten werden also an Bedeutung gewinnen? Berufe mit diesen beiden menschlichen Eigenschaften! Es wird immer die Frage gestellt, in welchen Bereichen die Roboter den Menschen den Beruf wegnehmen werden. Ich finde das lustig. 

Warum?
Es wäre doch viel hilfreicher, diese Frage umgekehrt zu formulieren: Welchen Beruf würden Sie denn gerne einem Roboter wegnehmen? Denn da lautet die Antwort: „All das, was ein Roboter jetzt macht, will ich eigentlich eh nicht tun.“ Technologie hat Arbeit bisher schon grundsätzlich leichter gemacht, sie wird unsere Arbeitswelt auch langfristig komfortabler machen, davon bin ich überzeugt. Die Digitalisierung wird uns damit auch näher zu unserer Menschlichkeit bringen, weil sie das in uns hervorbringt oder das höher bewertet, was dem Menschen ohnehin zugutekommt. Und das ist doch keine Hiobsbotschaft, oder?

Kommt darauf an. Für unkreative Menschen kann der prognostizierte Wegfall von Routinetätigkeiten durchaus auch eine Bedrohung sein. 
Ich glaube, das ist eine Frage des Menschenbildes, das man da vor sich herträgt. Und ich habe ein positives Menschenbild. Ich sage: Der Mensch an sich ist kreativ, er beschäftigt sich gerne mit Neuem, mit seinen Mitmenschen und mit der Gesellschaft, er will Positives beitragen. Es ist vielmehr die Arbeitswelt, in der unsere schöpferische Kraft verkümmert. Wobei die Sache ja paradox ist: Die Menschen wurden in den vergangenen Jahrzehnten dazu gedrillt, in der Arbeit so zu funktionieren, wie ihnen vorgeschrieben wird, und heute wundert man sich, dass die Menschen in ihrer Arbeitswelt nicht kreativ sind. Übrigens, wenn man fragt, welches denn der beliebteste Wochentag ist, was kommt als Antwort, was glauben Sie?

Der Freitag.
Und der unbeliebteste?

Ein Hamsterrad sieht von innen aus wie eine Erfolgs­leiter.

Der Montag.
So ist es. Freitag ist der beliebteste, Montag der unbeliebteste Wochentag. In der Tat hat die heutige Erwerbsarbeit viele Facetten, die der Art und Weise, wie der Mensch geschaffen ist, letztlich nicht entgegenkommen. Und dabei geht es gar nicht so sehr um mechanische oder kognitive Tätigkeiten, es geht um Routine-Tätigkeiten. Diese Routine-Tätigkeiten aber werden als erstes durch Digitalisierung ersetzt. Der Mensch ist ohnehin nicht dazu gemacht, im Büro Akten von links nach rechts zu schlichten, das ist nicht der Auftrag, den der Mensch auf der Welt hat. Das können Maschinen besser, daher werden sie in der voranschreitenden Digitalisierung auch zunehmend besser werden. Und wenn uns diese Dinge, die ja letztlich dazu beitragen, dass der Montag der unbeliebteste und der Freitag der beliebteste Tag ist, von Maschinen abgenommen werden, na, umso besser, vielleicht kehrt sich die Sache ja um, und der Montag wird in Zukunft zum beliebtesten Tag …

Was gibt Ihnen da Mut? Angesichts der vielen apokalyptischen Szenarien, die da medial vom Ende der Arbeit und von wegfallenden Berufen verbreitet werden?
Diese Szenarien geistern durch die Medien, weil das dankbare Prognosen sind. Katastrophenmeldungen rufen Überlebensinstinkte hervor, darauf springen die Menschen an. Deswegen sind Trendforscher, die etwas verkaufen wollen, immer dann besonders erfolgreich, wenn sie sagen: „Achtung, alles wird schlechter!“ Ich aber glaube das Gegenteil, ich glaube, dass alles besser wird. Und wenn Sie mich jetzt fragen, woher ich diesen Glauben nehme …

… was hiermit geschieht …
… dann sage ich: Alle Daten weisen darauf hin. Wir haben auf der gesamten Welt mehr Wohlstand, als wir je zuvor hatten, wir haben eine geringere Kindersterblichkeit, eine längere Lebenserwartung, wir haben bessere Gesundheitsdaten. Es ist eigentlich egal, welche substanziellen Daten man da nun über die Welt anstellt, alle zeigen nach oben. Aber das ist keine Selbstverständlichkeit für die Zukunft. Es gibt den Spruch, dass die berühmte gemähte Wiese auch gleichzeitig die rutschigste Wiese ist. Und daher ist der Blick nach vorne auch einer, der uns zur Handlung verpflichtet und zu der Fragestellung, wie wir all das unseren Kindern und unseren Enkelkindern in verantwortungsvoller Weise weitergeben können.

Und wer ist gut gerüstet in dieser Welt, die – wie Sie sagen – ‚ständig in Erregung und Bewegung‘ ist?
Gut gerüstet in dieser Welt sind Humanisten im besten Sinne dieses Wortes, und das sind vor allem Menschen, die für sich erkennen, dass Leistung Erkenntnis verhindert. Das ist ein Gedanke, der uns in unserem wirtschaftlichen Treiben nicht angenehm entgegenkommt.

Nicht angenehm? Das klingt fast ketzerisch.
Ja. Das ist auch gut so. Wir brauchen auch mehr Ketzer. Natürlich ist es gut, Ergebnisse zu produzieren und Leistung zu erbringen, das ist ja unbestritten. Aber wenn ich das auf die Spitze treibe, dann führt das dazu, dass man den Blick nur nach innen wendet, in die eigene Organisation hinein, im Versuch, Leistung zu steigern. Wo kann man noch ein Prozent mehr Effizienz herausholen? Wie kann man noch härter und noch schneller arbeiten? Dabei verliert sich aber die Perspektive, dass sich die Welt komplett verändert hat. Wenn Sie fragen, wer erfolgreich sein wird, dann sage ich: Erfolgreich sind diejenigen, die erkennen, dass ein Hamsterrad von innen aussieht wie eine Erfolgsleiter. Für den Hamster schaut das sehr erfolgreich aus, was er da den ganzen Tag macht. Aber in Wahrheit geht nichts weiter. Und dieses Bild ist in vielen Organisationen zu finden. Daher heißt der wirkliche Erfolg: aussteigen. Aber nicht aussteigen, um nichts zu tun, sondern aussteigen, um schöpferisch tätig zu sein und festzustellen, welche Perspektiven man mittel- und langfristig auf dieser Welt hat und welche neuen Entscheidungen zu treffen sind.

Die Welt wird immer komplexer, immer undurchschaubarer, obwohl immer noch mehr Daten gesammelt und alles und jeder vermessen wird, das ist bizarr.
Ein Teil dieser Komplexität entsteht ja auch aus dem Datensammeln. Ich sage da stets: Wir haben eine Inflation der Daten, aber eine Deflation des Handelns. Ich glaube, dass wir in der Fülle an Information, die uns zur Verfügung steht, sozusagen am Ende der Welt, am Ende der Erkenntnis, angekommen sind und dass uns der analytische Blick alleine nicht mehr weiterhilft. Wir brauchen mehr Orientierungswissen und weniger einzelnes Faktenwissen in dieser komplexen Zeit.

Die Angst der Menschen vor der immer komplexer werdenden Welt ist allerdings nicht neu. Alwin Toffler, ein US-Zukunftsforscher, hatte bereits 1970 geschrieben, dass die Komplexität immer mehr Menschen überfordere, also wiederholt sich da nur die Geschichte?
Die Geschichte wiederholt sich insofern, als in wiederholter Form die Erkenntnisse der Wissenschaft eine Zeitlang brauchen, bis sie in der Realität ankommen. Wir wissen ja auch nicht erst seit Greta Thunberg, dass wir einen vom Menschen gemachten und beschleunigten Klimawandel haben, auch das sind Erkenntnisse bereits aus den 1970er-Jahren. Wobei: Es braucht niemand zu glauben, dass es nur im Moment drunter und drüber geht und ab morgen dann wieder Ruhe herrscht. Wenn wir Corona und Digitalisierung abgehakt haben, dann ist morgen wieder Frieden, das wird ja nicht so sein. Die Komplexität steigt immer weiter, und daher müssen wir anders an diese Probleme herangehen.

Sie sagen: ‚Unsere Perspektive auf den Wandel und die Zeit danach ist geradezu naiv, und auf der politischen Ebene ist überhaupt eine intellektuelle Wüste zu beklagen.‘
Ich vermag in der aktuellen Politik, und das ist weder parteipolitisch noch regional gemeint oder ausschließlich auf Österreich bezogen, nur wenig Verständnis für den Wandel der Welt zu erkennen. Wir brauchen in diesem Bereich ein intellektuelles Aufrüsten. Denn die Digitalisierung beendet nicht nur ein Kapitel Industriegeschichte, sie beendet auch ein Kapitel Sozialgeschichte. Die Art und Weise, wie wir Wirtschaft denken, war die Antwort auf das industrialisierte Zeitalter. Es war eine erfolgreiche Antwort, das möchte ich betonen. Vor uns liegt aber ein neues Zeitalter, wir haben Substanzielles zu klären, etwa die Frage, ob grenzenloses Wachstum machbar ist. Und daher brauchen wir auch eine neue Antwort auf die Frage, wie Wirtschaft und Gesellschaft morgen ausschauen sollen. Wenn es wirklich zur vierten industriellen Revolution kommt, wird nach ihr sehr vieles anders sein.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person Franz Kühmayer

einer der einflussreichsten europäischen Vordenker der neuen Arbeitswelt, arbeitet als Trendforscher am Zukunftsinstitut in Frankfurt und ist Unternehmensberater und Autor. Der Österreicher, der Physik und Informatik studiert und eine Vielzahl weiterer Ausbildungen absolviert hat, lebt in Wien.

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